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Kämmerer, Christian; Kellmann, Thomas; Lufen, Peter Ferdinand
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,2): Nördlicher Teil: mit den Städten Bad Gandersheim und Dassel, den Ortsteilen der Stadt Einbeck (einschließlich der 2013 eingemeindeten Ortsteile der Gemeinde Kreiensen) und der Gemeinde Kalefeld — Altenburg: E. Reinhold Verlag, 2018

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65342#0371
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nen Bahnsteig der örtliche, lichte, grau-gelbe
Sandstein verwendet. Die ehemals zweigleisi-
ge Hauptstrecke als Teilstück der Verbindung
vom Rheinland nach Berlin führte von Braun-
schweig in den sogenannten Weserdistrikt.
Unweit südlich der Ortslage befindet sich
der Geländeeinschnitt mit der Einfahrt in den
884 m langen Naenser Eisenbahntunnel. Das
in Naturstein repräsentativ gestaltete Mund-
loch zur westlichen Tunnelzufahrt von 1865 ist
erhalten.
Über dem Dorf liegt an höchster Stelle die
Ev.-Luth. Kirche St. Georg mit dem ehemali-
gen Kirchhof, Im Oberdorf 16. Auf dem über
Jahrhunderte genutzten Kirchhof ist mit einer
dichten Belegung mit bis zu drei Schichten
übereinander zu rechnen. 1821 wurde die mit-
telalterliche Vorgängerkirche abgebrochen.
Laut der Braunschweiger Landesaufnahme
von 1758 handelte es sich um ein massives
Langhaus mit Speicherstock in Fachwerk
und einen gleichfalls massiven Westturm:
„ist unten gemauret und mit Holz übersetzet.
Der Turm aber ist ganz gemauret. Das ganze
Gebäude ist alt und mit Sollingsteinen gede-
cket“. Von 1824 bis 1829 wurde an gleicher
Stelle die heutige Kirche für 5179 Taler er-
richtet. Der eingezogene Westturm und der
rechteckige Saalbau sind als verputzte Mas-
sivbauten in Kalkbruchstein mit Gliederungen
in Werkstein zeitgleich entstanden. Der histo-
rische Zugang zum Kirchhof erfolgt über eine
zweiläufige Außentreppe mit jeweils fünf Stu-
fen und Zwischenpodest, flankiert von zwei
Eichen, der direkt auf das Westportal ausge-
richtet ist. Diese Erschließung wurde erst in
jüngster Zeit durch eine barrierefreie Zufahrt
von der Seite ergänzt. Abermals führen vier
Stufen zum Portal im Westturm der Kirche.
Das Westportal wird von einem Quadermau-
erwerk mit versenkten Lagerfugen und zwei
im dorischen Stil gearbeiteten Wandvorlagen
flankiert. Abgeschlossen wird es durch einen
mächtigen Architrav mit gerahmtem Inschrif-
tenfeld (ohne Inschrift) und einer profilierten,
weit ausladenden Verdachung in Form eines
Gesimses. Der mächtige, eingerückte West-
turm mit drei Geschossen wird durch ein
schlichtes Gesimsband auf Höhe der Traufe
des Saalbaus horizontal gegliedert. Im obers-
ten Turmgeschoss sind die Fensteröffnungen
halbkreisförmig ausgebildet. Die Eckquade-
rung wurde bei der letzten Erneuerung des
Außenputzes auf Sicht herausgearbeitet. Sie
fügt sich in die klare, kubistische Struktur
des klassizistisch geprägten Baus nicht ein.
Historische Fotografien zeigen einen kantig
verputzten Bau mit verdeckter, möglicher-


Naensen, Im Oberdorf 16, Kirche von Süden, Kellmann, 03.04.2016.

weise nur geschlämmter Eckquaderung, die
eine konstruktiv notwendige Verstärkung der
Gebäudeecken bildet. Unmittelbar über dem
Portal ist eine halbkreisförmige Fensteröff-
nung mit der inschriftlichen Datierung 1824
im Scheitelstein angeordnet. Der sich nach
Osten anschließende, flach gedeckte Saal-
bau mit geradem Chorschluss auf rechtecki-
ger Grundfläche wird je Längswand über
drei hohe, rundbogig geschlossene Fenster-
bahnen belichtet. Ein Portal an der östlichen
Schmalseite führt zur Sakristei und zum Trep-
penaufgang der Ostempore. Die nach Stein-
acker „in einem massigen, dorisierenden Stil“
(Steinacker [1910], S. 467) gehaltene Kirche
ist stark von einem an Revolutionsarchitektur
erinnernden Klassizismus der süddeutschen
Weinbrenner-Schule geprägt. Das Mauerwerk
aus einem verputzten Kalkbruchstein wird
durch die Eckquaderung, den Fundamentso-
ckel, die Fenster- und Türgewände sowie die
Gesimsbänder aus einem licht gelben Sand-
stein gegliedert, wie er in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts auch bei den Kirchen in
Stroit und Ammensen sowie beim Empfangs-
gebäude des Naenser Bahnhofes verwendet
wurde. Allein der Architrav über dem Portal
ist in einem roten Sandstein gearbeitet. Die
historische Eindeckung mit Sandsteinplat-
ten wurde im späten 20. Jahrhundert durch
Hohlpfannen ersetzt, die auch bei der jüngst
erfolgten Neueindeckung in Verbindung mit
einem Unterdach verwendet wurden.

Das Innere der Kirche zeichnet sich durch
eine bemerkenswerte Raumschöpfung mit
baufester Ausstattung aus der Entstehungs-
zeit aus. Es ist weitgehend geprägt von ei-
ner auf Vereinfachung angelegten Moderni-
sierung im Jahr 1964. Die Westempore mit
der modernen Orgel und die Ostempore mit
Kanzelaltar bilden einen in das Rechteck des
Saalbaus eingestellten, ovalen Zentralraum
mit einem großen Kronleuchter in Messing von
1903 (i) im Zentrum. Die nach Osten in Sei-
tenemporen auslaufende Westempore ruhte
auf ursprünglich acht, seit 1964 nur noch vier
dorischen Säulen. Die Seitenemporen wurden
zusammen mit vier Säulen in einer Reihe nach
Osten eingekürzt, die Kanneluren und Kapi-
telle der verbliebenen Säulen abgehobelt.
Davon abweichend ist die Altarwand mit Kan-
zel und Ostempore im Unterbau mit Pilastern
gegliedert. Unter der Westempore hängt ein
sechsarmiger, klassizistischer Kronleuchter in
Urnenform. Er ist in einer Stifterinschrift auf der
Krone mit 1825 datiert. Auch die sechs sieben-
armigen, nicht elektrifizierten Wandleuchter in
Messing an den Längsseiten sind mit den Na-
men der Stifter versehen. Sie stammen eben-
so wie der zentrale Kronleuchter mit zwei mal
zwölf Armen aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Auf dem Altar steht ein Kruzifix, das zusam-
men mit den beiden vollplastischen, ebenfalls
farblich gefassten Standfiguren, Maria und
Johannes, eine Kreuzigungsgruppe bildet.
Der Corpus wurde zwischenzeitlich erneuert,

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