ALTERSBESTIMMUNG DES TEMPELS.
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Der Bau felbft fagt uns aber nicht, wie alt er ift. Bis jetzt fehlen uns ähnliche Bauten
aus Campanien, die zum Vergleich dienen könnten; denn einftmals zweifellos vorhanden gewefene
alte Tempelanlagen in Kyme find theils in früheren Decennien zerftört — fo das Heraion —
theils fchlummern fie noch; übrigens wäre es fraglich, ob wir aus folchem Vergleich viel lernen
könnten, da Campanien füdlich des Vefuv fchwerlich zur directen Intereffenfphäre Kyme's ge-
hörte: eher möchte man Verbindungslinien nach Sicilien hinüber fuchen56).
Es war ganz richtig, wenn Benndorf, Metopen von Selinuvt 26 die Echinosfchwingung
benutzte, um das relative Alter der zahlreichen Tempel in Selinus feftzufteilen; es ift aber
durchaus nicht gefagt, daß das für Selinus gewonnene Ergebniß nun auch auf Pompeji an-
wendbar fei. Wir glauben auch mit Durm, Puchstein u. a., daß Bafilica und Demetertempel
in Pacstum dem großen Tempel näher flehen, und nicht, wie man früher wohl gewollt hat,
etwa in das dritte Jahrhundert gehören; aber die plattgedrückte Form des Echinos allein hätte
uns nicht bewogen, einen jüngeren Anfatz für unmöglich zu halten; ebenibwenig wie jetzt, wo
wir die Bildhauerkunft des fechften Jahrhunderts beffer kennen als noch vor fünf Jahren, jemand
aus der fteilen Echinosform des Athenatempels auf Aegina Entftehung des letzteren inmitten
des fünften Jahrhunderts würde erfchließen mögen: man müßte dann ja ebenfo argumentiren
für den pififtratifchen Burgtempel, von deffen Echinosform die seginetifche nicht wefentlich ver-
fchieden ift57). Je weiter man lieh vom Mittelpunkt der griechifchen Cultur entfernt, und nun
gar ins Barbarenland hinein — denn an die griechifehe Colonie Pompeji wird wohl Niemand mehr
glauben, — um fo mehr verliert die Kunftform die Fühlung mit dem Mutterlande, umfomehr
ift fie geneigt, ftehen zu bleiben auf dem Punkte, auf welchem fie bei der erften Uebertragung
war, oder fleh allenfalls von diefem Punkte aus in felbftändiger Weife weiterzubilden. Es genügt,
an das Verhältniß der etruskifchen zur griechifchen Kunft zu erinnern; auch das Alter der Tempel
von Selinus ift nur ein relatives, und des öfteren hat man auf die ifolirte Lage der Stadt hingewiefen,
um gewiffe Eigenthümlichkeiten auch an den älteften Metopen zu erklären, die eine fpätere Ent-
ftehungszeit derfelben anzudeuten geeignet wären, als fie der Augenfchein zunächft nahelegen würde.
Dem alten dorifchen Tempel eigen ift bekanntlich eine lange enge Cella, fowie ein eng
geftelltes Pteron, das nur durch einen fchmalen Gang von der CellawTand getrennt ift. Alle
Tempel von Selinus weifen noch dies Verhältniß auf; erft an dem großen Apollontempel be-
ginnt die Cella etwas kürzer, der Zwifchenraum zwifchen Wand und Pteron größer zu werden.
— Das völlige Gegentheil diefes alten Schemas zeigt der Grundriß des pompejaner Tempels,
wie er nunmehr endgültig feftgeftellt worden ift. Das Verhältniß der Länge zur Breite ift für
die Cella etwa wie 2:1, ein Verhältniß, das fich in griechifchen Peripteraltempeln früherer Zeit
nie findet;S); von den Tempeln des fünften Jahrhunderts wird der Parthenon diefem Verhältniß
am nächften kommen; je fpäter, um fo häufiger begegnet man einer Annäherung an dasfelbe;
fo namentlich in der helleniftifchen Zeit. Und entfprechend diefer jüngeren Cellaform ift auch
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Der Bau felbft fagt uns aber nicht, wie alt er ift. Bis jetzt fehlen uns ähnliche Bauten
aus Campanien, die zum Vergleich dienen könnten; denn einftmals zweifellos vorhanden gewefene
alte Tempelanlagen in Kyme find theils in früheren Decennien zerftört — fo das Heraion —
theils fchlummern fie noch; übrigens wäre es fraglich, ob wir aus folchem Vergleich viel lernen
könnten, da Campanien füdlich des Vefuv fchwerlich zur directen Intereffenfphäre Kyme's ge-
hörte: eher möchte man Verbindungslinien nach Sicilien hinüber fuchen56).
Es war ganz richtig, wenn Benndorf, Metopen von Selinuvt 26 die Echinosfchwingung
benutzte, um das relative Alter der zahlreichen Tempel in Selinus feftzufteilen; es ift aber
durchaus nicht gefagt, daß das für Selinus gewonnene Ergebniß nun auch auf Pompeji an-
wendbar fei. Wir glauben auch mit Durm, Puchstein u. a., daß Bafilica und Demetertempel
in Pacstum dem großen Tempel näher flehen, und nicht, wie man früher wohl gewollt hat,
etwa in das dritte Jahrhundert gehören; aber die plattgedrückte Form des Echinos allein hätte
uns nicht bewogen, einen jüngeren Anfatz für unmöglich zu halten; ebenibwenig wie jetzt, wo
wir die Bildhauerkunft des fechften Jahrhunderts beffer kennen als noch vor fünf Jahren, jemand
aus der fteilen Echinosform des Athenatempels auf Aegina Entftehung des letzteren inmitten
des fünften Jahrhunderts würde erfchließen mögen: man müßte dann ja ebenfo argumentiren
für den pififtratifchen Burgtempel, von deffen Echinosform die seginetifche nicht wefentlich ver-
fchieden ift57). Je weiter man lieh vom Mittelpunkt der griechifchen Cultur entfernt, und nun
gar ins Barbarenland hinein — denn an die griechifehe Colonie Pompeji wird wohl Niemand mehr
glauben, — um fo mehr verliert die Kunftform die Fühlung mit dem Mutterlande, umfomehr
ift fie geneigt, ftehen zu bleiben auf dem Punkte, auf welchem fie bei der erften Uebertragung
war, oder fleh allenfalls von diefem Punkte aus in felbftändiger Weife weiterzubilden. Es genügt,
an das Verhältniß der etruskifchen zur griechifchen Kunft zu erinnern; auch das Alter der Tempel
von Selinus ift nur ein relatives, und des öfteren hat man auf die ifolirte Lage der Stadt hingewiefen,
um gewiffe Eigenthümlichkeiten auch an den älteften Metopen zu erklären, die eine fpätere Ent-
ftehungszeit derfelben anzudeuten geeignet wären, als fie der Augenfchein zunächft nahelegen würde.
Dem alten dorifchen Tempel eigen ift bekanntlich eine lange enge Cella, fowie ein eng
geftelltes Pteron, das nur durch einen fchmalen Gang von der CellawTand getrennt ift. Alle
Tempel von Selinus weifen noch dies Verhältniß auf; erft an dem großen Apollontempel be-
ginnt die Cella etwas kürzer, der Zwifchenraum zwifchen Wand und Pteron größer zu werden.
— Das völlige Gegentheil diefes alten Schemas zeigt der Grundriß des pompejaner Tempels,
wie er nunmehr endgültig feftgeftellt worden ift. Das Verhältniß der Länge zur Breite ift für
die Cella etwa wie 2:1, ein Verhältniß, das fich in griechifchen Peripteraltempeln früherer Zeit
nie findet;S); von den Tempeln des fünften Jahrhunderts wird der Parthenon diefem Verhältniß
am nächften kommen; je fpäter, um fo häufiger begegnet man einer Annäherung an dasfelbe;
fo namentlich in der helleniftifchen Zeit. Und entfprechend diefer jüngeren Cellaform ift auch