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Den Eingang zu den Gräbern finden wir vielfach gegen Mittag gelegen; man
fachte alfo eine nord-füdliche Richtung der Hauptaxe des Grabes zu erhalten. Eine
beftimmte Orientirung ift übrigens nicht nachzuweifen; eben fo wenig ift die An-
nahme aufrecht zu halten, dafs der Todte mit dem Kopfe nach Norden lag, da
fehr viele Gräber triclinienartig eingerichtet find und bei diefer Anlage die ge-
dachte Annahme von vornherein hinfällig wird.
Bei den Tempeln wurde fchon auf die Verwandtfchaft der religiöfen An-
fchauungen der Etrusker der früheften Jahrhunderte mit denen der Äegypter hin- Y
gewiefen und auf die fpätere Verähnlichung der etruskifchen Götterlehre mit der
griechifchen. Das Gleiche finden wir bei den Anfchauungen über das Fortleben
der Seele, und diefe Anfchauung giebt den Schlüffel für die Einrichtung und Ge-
ftaltung der meiden Gräber, namentlich derjenigen, welche ein architektonifches
Intereffe für uns bieten. Die Anfchauungen über das Fortleben der Seele haben
ja auch in Aegypten im Laufe der Jahrtaufende Wandlungen erfahren; nach Maspero63)
kann die ältefte wie folgt gefäfft werden: Was beim letzten Athemzuge des Menfchen
nicht zu Grunde ging, was überlebte, war bei den Aegyptern der »Kat-, der
»Doppelte«, d. i. ein zweites Exemplar des Körpers aus einer weniger dichten
Materie, als der urfprüngliche, ein Schemen, das Individuum Zug für Zug wieder-
gebend, das Kind als Kind, die Frau als Frau, den Mann als Mann. Diefes
Doppelbild (diefe Doppelgeftalt) muffte man wohnen und einrichten in einem Haufe,
angepafft feiner neuen Exiftenz, umgeben von Gegenftänden, die ihm ehemals zum
Gebrauche dienten, und es namentlich mit Nahrungsmitteln verfehen, welche fein
Leben zu unterhalten beftimmt waren. Solches erwartete es von der Frömmigkeit
der Seinen; diefe erhielt es von ihnen an beftimmten Tagen auf der Schwelle feiner
guten und ewigen Wohnung dargebracht. Diefe Spenden follten es wieder beleben
und die abhängige, fchleichende, unfichere Exiftenz diefes ewig hungrigen und
dürftigen Phantoms verlängern, das ftets bedroht war, durch die Nachläffigkeit feiner
Nachkommen zu vergehen. Die' erfte Pflicht der Lebenden war, die Todten keinen
Hunger und keinen Dürft leiden zu laffen; denn eingefchloffen in das Grab, konnten
fie nicht felbft für ihre Bedürfniffe forgen; es war Sache der Söhne, die Väter und
Grofsväter nicht zu vergefien, fie durch Fleifch, Brot und Getränke zu nähren.
Vergafs man diefe heilige Pflicht, fo wurden die Todten gegen die Lebenden auf-
gebracht, und deren Zorn war zu fürchten.
Diefe Auffaffung ift aber nicht einzig bei den Aegyptern zu finden. Diefen
Doppelgeftalten entfpricht Zug für Zug das »stSwXov« der Griechen und der
»Schatten« der Lateiner.
Griechen und Lateiner glaubten gleichfalls, dafs die Idole und Schattet im*
Bereiche ihrer Wohnung (Grabkammer) ein unterirdifches Leben anfingen, das nichts
anderes fei, als die Fortfetzung des irdifchen Dafeins. Der Todte blieb fo bei den
Lebenden; er blieb durch die Nahrungsfpenden in enger Beziehung mit diefen,
für welche er als Gegenleiftung feine Protection gab. Diefer Glaube fcheint allen
alten Völkern in 'den früheften Perioden ihres Dafeins gemeinfam gewefen zu fein.
Nur durch diefen laffen fich auch die alten etruskifchen Grabkammern mit ihren
wohnhausartigen Einrichtungen, angefüllt mit Waffen, Schmuck und Hausgeräthen
aller Art, erklären.
53) Perrot, G. et Ch. Chipiez. Hifioire de l'arl dam rantiquite. Egypte. Paris 1882. Chap. III: L'architecture
funeraire. S. 129 u. ff.
Handbuch der Architektur. II. 2. 5
Den Eingang zu den Gräbern finden wir vielfach gegen Mittag gelegen; man
fachte alfo eine nord-füdliche Richtung der Hauptaxe des Grabes zu erhalten. Eine
beftimmte Orientirung ift übrigens nicht nachzuweifen; eben fo wenig ift die An-
nahme aufrecht zu halten, dafs der Todte mit dem Kopfe nach Norden lag, da
fehr viele Gräber triclinienartig eingerichtet find und bei diefer Anlage die ge-
dachte Annahme von vornherein hinfällig wird.
Bei den Tempeln wurde fchon auf die Verwandtfchaft der religiöfen An-
fchauungen der Etrusker der früheften Jahrhunderte mit denen der Äegypter hin- Y
gewiefen und auf die fpätere Verähnlichung der etruskifchen Götterlehre mit der
griechifchen. Das Gleiche finden wir bei den Anfchauungen über das Fortleben
der Seele, und diefe Anfchauung giebt den Schlüffel für die Einrichtung und Ge-
ftaltung der meiden Gräber, namentlich derjenigen, welche ein architektonifches
Intereffe für uns bieten. Die Anfchauungen über das Fortleben der Seele haben
ja auch in Aegypten im Laufe der Jahrtaufende Wandlungen erfahren; nach Maspero63)
kann die ältefte wie folgt gefäfft werden: Was beim letzten Athemzuge des Menfchen
nicht zu Grunde ging, was überlebte, war bei den Aegyptern der »Kat-, der
»Doppelte«, d. i. ein zweites Exemplar des Körpers aus einer weniger dichten
Materie, als der urfprüngliche, ein Schemen, das Individuum Zug für Zug wieder-
gebend, das Kind als Kind, die Frau als Frau, den Mann als Mann. Diefes
Doppelbild (diefe Doppelgeftalt) muffte man wohnen und einrichten in einem Haufe,
angepafft feiner neuen Exiftenz, umgeben von Gegenftänden, die ihm ehemals zum
Gebrauche dienten, und es namentlich mit Nahrungsmitteln verfehen, welche fein
Leben zu unterhalten beftimmt waren. Solches erwartete es von der Frömmigkeit
der Seinen; diefe erhielt es von ihnen an beftimmten Tagen auf der Schwelle feiner
guten und ewigen Wohnung dargebracht. Diefe Spenden follten es wieder beleben
und die abhängige, fchleichende, unfichere Exiftenz diefes ewig hungrigen und
dürftigen Phantoms verlängern, das ftets bedroht war, durch die Nachläffigkeit feiner
Nachkommen zu vergehen. Die' erfte Pflicht der Lebenden war, die Todten keinen
Hunger und keinen Dürft leiden zu laffen; denn eingefchloffen in das Grab, konnten
fie nicht felbft für ihre Bedürfniffe forgen; es war Sache der Söhne, die Väter und
Grofsväter nicht zu vergefien, fie durch Fleifch, Brot und Getränke zu nähren.
Vergafs man diefe heilige Pflicht, fo wurden die Todten gegen die Lebenden auf-
gebracht, und deren Zorn war zu fürchten.
Diefe Auffaffung ift aber nicht einzig bei den Aegyptern zu finden. Diefen
Doppelgeftalten entfpricht Zug für Zug das »stSwXov« der Griechen und der
»Schatten« der Lateiner.
Griechen und Lateiner glaubten gleichfalls, dafs die Idole und Schattet im*
Bereiche ihrer Wohnung (Grabkammer) ein unterirdifches Leben anfingen, das nichts
anderes fei, als die Fortfetzung des irdifchen Dafeins. Der Todte blieb fo bei den
Lebenden; er blieb durch die Nahrungsfpenden in enger Beziehung mit diefen,
für welche er als Gegenleiftung feine Protection gab. Diefer Glaube fcheint allen
alten Völkern in 'den früheften Perioden ihres Dafeins gemeinfam gewefen zu fein.
Nur durch diefen laffen fich auch die alten etruskifchen Grabkammern mit ihren
wohnhausartigen Einrichtungen, angefüllt mit Waffen, Schmuck und Hausgeräthen
aller Art, erklären.
53) Perrot, G. et Ch. Chipiez. Hifioire de l'arl dam rantiquite. Egypte. Paris 1882. Chap. III: L'architecture
funeraire. S. 129 u. ff.
Handbuch der Architektur. II. 2. 5