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DIE ENTSTEHUNG DER BAROGKKUNST

Eindrücken verwandelt -— malerisch behandelt, als ob ein Schüler
Tizians hier und dort seine Glanzlichter aufgesetzt hätte. Dabei geben
die Figuren durchaus nicht eine rein optische Illusion, sind nicht wie
die gemalten der Venezianer der klassischen Periode in Licht und
Schatten aufgelöst, oder wie bei den Manieristen in übersinnliche Ab-
straktionen verwandelt, sondern im Gegenteil in den Hauptumrissen
haarscharf begrenzt und durch eine packende sinnliche Gegenwart
und Unmittelbarkeit wirksam. Seit jeher hat man die zarte Behand-
lung des Fleisches bewundert; die Muskeln sind weich, unendlich feine
Senkungen und Hebungen in gleitenden Kurven, die ganze Behand-
lung nicht fernsichtig, sondern nahsichtig und mit der größten Sorg-
falt durchgeführt. Auch das schöne Material, blendend weißer Carrara-
marmor, spielt eine Rolle. Es handelt sich aber durchaus nicht nur um
formale Probleme. Mehr als früher hat eine solche Gruppe offen-
kundige erzählende Bedeutung. Die Fabel als solche sollte interessie-
ren, der Konflikt zwischen Lüsternheit und Keuschheit sollte den Be-
schauer packen; er spielt jedenfalls eine viel größere Rolle als in der
Darstellung ähnlicher Themen in der Statuarik der Antike oder der
Renaissance. In das gegenständlich Fesselnde wird auch die Auswahl
der Formen einbezogen: offenbar sollten die beiden Gestalten als Ver-
körperung der höchsten sinnlichen Schönheit erscheinen, wobei sich
der Künstler in den Formen und Proportionen praxitelischen Typen
nähert. Besonders beim Kopf des Apollo ist dies deutlich, dazu kommt
aber eine Haarbehandlung, die an Werke der römischen Kaiserzeit
erinnert. Mit dieser Idealität der Formen verbinden sich natura-
listische Motive: in der Fleischbehandlung, in der Darstellung des
Bodens, der Baumrinde, der Blätter. Zu den Momenten, die im Gegen-
satz zur älteren Statuarik stehen, gehört die überaus starke Betonung
des Psychischen: beide Gestalten sind aus jeder normalen Lebens-
stellung herausgerissen durch die sie beherrschende Empfindung, die
besonders in den Köpfen zum Ausdruck kommt. Verhältnismäßig
maßvoll bei Apollo, dessen gespannter Blick und offener Mund vibrie-
rende Aufregung verraten; viel stärker bei Daphne: sie fühlt, daß
Apollo sein Ziel erreichen wird, wirft die Hände Hilfe suchend nach
oben und wendet den Kopf halb herum, wie um zu sehen, ob der Ver-
folger schon hinter ihr sei; in höchster Angst verzerrt sich das Gesicht,
die Augen brechen und weit öffnet sich der Mund zu einem Ver-
zweiflungsschrei. Rein formal bilden die Figuren in Stellung und

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