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Molsdorf, Wilhelm; Heitz, Paul [Editor]
Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts (Band 12): Die niederländische Holzschnitt-Passion Delbecq-Schreiber [Teil 1] — Straßburg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.21232#0027
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der Menschen anzusehen, bewahrt unser Meister eine wohl-
tuende Zurückhaltung, und selbst in dem Momente, wo
die Darstellung des Leidens Christi den Höhepunkt er-
reicht, macht sich sein gesundes Empfinden, auch dem
menschlichen Mitgefühle Rechnung zu tragen, geltend. Und
so schiebt er unmittelbar vor dem Akt der Anheftung Christi
ans Kreuz jene außerordentlich selten dargestellte Szene
ein, wie die Kriegsknechte Jesu den letzten Trunk anbieten.

Mit dem guten Geschmacke verbindet unser Meister
ein tüchtiges Können. Die Zeichnung ist fast durchgehends
recht befriedigend, und auch das Streben, die Darstel-
lungen perspektivisch richtig wiederzugeben, nicht ohne
Erfolg. Die menschliche Gestalt zeigt — abgesehen von
den Körpern des Adam und der Eva in der Vorhölle —
selbst bei recht komplizierten Stellungen gute Formen-
bildung, und Gebärden wie Mienenspiel sind höchst
charakteristisch. Gerade in der Behandlung des Gesichts-
ausdruckes offenbart der Meister eine große Begabung,
und die Feinheit der Schattierung, mit der sich die Trauer
z. B. bei der Grablegung Christi (Bl. 19) auf den Ge-

sichtern der einzelnen Personen wiederspiegelt, ist gerade-
zu erstaunlich.

Auch der Schnitt der Blätter verrät eine geübte Hand,
die selbst bei der Ausführung von Kleinigkeiten an Sorg-
falt nicht nachläßt.

Zweifellos wird der künstlerische Eindruck der Holz-
schnitte durch die ebenso geschmackvolle wie saubere
Kolorierung nicht unwesentlich erhöht. Bilder wie die
Annagelung Christi ans Kreuz (Bl. 16) und der Kruzifixus
(Bl. 17) zeichnen sich durch einen Farbenreiz aus, den
man wohl bei Miniaturen zu finden gewohnt ist, aber nicht
bei ausgetuschten Formschnitten. Daß die Blätter recht
bald nach ihrer Herstellung, vermutlich noch vor dem Ein-
kleben in die Handschrift koloriert wurden, ist bereits
früher hervorgehoben. Ob aber die Ausmalung der Holz-
schnitte auf unseren Meister selbst zurückzuführen ist,
bleibt eine offene Frage, so sehr man auch geneigt sein
mag, den feinen Geschmack, der sich in der Zusammen-
stellung der Farben offenbart, seinem Einflüsse zuzu-
schreiben.
 
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