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Molsdorf, Wilhelm; Heitz, Paul [Hrsg.]
Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts (Band 12): Die niederländische Holzschnitt-Passion Delbecq-Schreiber [Teil 1] — Straßburg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.21232#0024
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ZEIT UND ORT DER ENTSTEHUNG DER PASSION.

Mehrfach ist bei der Beschreibung der einzelnen
Passionsblätter auf verwandte Darstellungen Bezug ge-
nommen, und wie die beigegebenen Abbildungen zeigen,
ist die Uebereinstimmung zum teil eine recht weitgehende.
Da für die zeitliche wie örtliche Bestimmung unserer
Passion diese Beziehungen von großer Wichtigkeit sind,
ist zunächst ihr Abhängigkeitsverhältnis richtig zu stellen.

Daß bei der Abendmahlsdarstellung (Bl. 2) und dem
Schlußverhör vor Pilatus (Bl. 12) unser Formschneider
nach dem Meister J A M von Zwolle beziehungsweise nach
Martin Schongauer gearbeitet hat, und nicht umgekehrt,
bedarf keiner weiteren Erörterung. In beiden Fällen
handelt es sich um das Herausgreifen bestimmter Momente
aus künstlerisch bedeutend höher stehenden Vorlagen
unter wesentlicher Reduzierung der gesamten Szenerie.
Auch die Annahme einer gemeinsamen Quelle, aus der
Kupferstich wie Holzschnitt geschöpft haben könnten, ist
ausgeschlossen, da sich trotz wesentlicher Verschieden-
heiten wiederum eine bis ins kleinste gehende Ueber-
einstimmung zeigt, und zwar gerade bei so unwesent-
lichen Stücken, denen schon der Zufall in der einen oder
anderen Darstellung eine vom Urbilde mehr oder weniger
abweichende Gestalt gegeben hätte. Zudem ist es ja
auch in der Geschichte der graphischen Künste eine
keineswegs außergewöhnliche Erscheinung, daß der Holz-
schnitt beim Kupferstiche Entlehnungen gemacht hat,
während der umgekehrte Fall äußerst selten ist.

Leider wissen wir über den Meister J A M von
Zwolle (auch Meister mit dem Schabeisen oder der
Weberschütze genannt) so gut wie nichts. Er gehörte —
wenn auch seine Tätigkeit in Zwolle zweifelhaft sein

mag — jedenfalls der niederländischen Schule an und
erinnert in seiner Art vielfach an den im letzten Jahr-
zehnt des 15. Jahrhunderts tätigen Maler Geertgen tot
S. Jans.1 Da weder Geburts- noch Todesjahr des Meisters
von Zwolle bekannt sind, ergibt sich aus der Anlehnung
an ihn für die Datierung der Passion kein sicherer An-
haltspunkt.

Etwas besser sind wir über Martin Schongauer unter-
richtet, aus dessen Stichen die Vorlage für den Holz-
schnitt des zweiten Verhöres Christi vor Pilatus genommen
ist. Mag auch die Annahme des Geburtsjahres um 1448
etwas schwanken, sein 1491 angesetzter Tod ist ein zu-
verlässiges Datum, und da die Passion aus stilistischen
wie technischen Gründen mit Ausnahme der Dornen-
krönung, des Christus am Kreuz und der Auferstehung
mit Recht in die mittlere Epoche der Wirksamkeit des
Meisters, d. h. gegen das Ende der siebenziger Jahre,
verlegt wird,2 so gibt dieser Zeitpunkt auch den frühestens
zulässigen Termin für die Entstehung unserer Holz-
schnitte ab.

Weit zahlreicher sind die Berührungspunkte mit den
Illustrationen der sog. xylographischen Ausgaben des
Speculum h. s. Nicht weniger als sieben Blätter (1. 7.
10. 15. 16. 18. 19) zeigen eine engere oder weitere Ver-
wandtschaft mit den Holzschnitten dieses im Mittelalter

1 Vgl. F. Lippmann: Der Kupferstich. 3. Aufl. Berl. 1905, S. 39. —
Ueber die nicht sicher feststehende Lebenszeit des früh verstorbenen Geertgen
tot S.Jans siehe M. J. Friedländer imjahrbuch d. Preuß. Kunstsammlungen
XXIV, 62.

2 Vgl. W. v. Seidlitz: Martin Schongauer als Kupferstecher, im Re-
pertorium f. Kunstwiss. Bd. 7 (1884), S. 169 f. und H. Wendland: Mart. Schon-
gauer als Kupferstecher. Berl. 1907; letztererrechnet die Passion zu den Wer-
ken im «werdenden Stil 1474—79».
 
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