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KAIRO.

ihr Haupt nach Süden, d. i. nach Mekka weist, fie felbft aber auf die rechte Seite zu liegen
kommt. Sobald die Grabesöffnung mit Sand und Steinen verfchloffen ift, bleibt nur noch übrig,
den Verftorbenen zu erinnern, wie er fich gegen die beiden Grabesengel zu verhalten habe, ein
Gebrauch, der übrigens von Vielen mifsbilligt wird. Einer der Fikis kauert Geh vor der nun
verfchloffenen Grabesöffnung nieder und lagt: «O Diener Gottes, Sohn eines Knechtes Gottes und
einer Magd Gottes! Wiffe, dafs jetzt zwei Engel zu Dir kommen werden, um Dich zu befragen.
Wenn fie Dich fragen: ,Wer ift Dein Herr?' fo antworte: .Allah ift mein Herr.' Fragen fie: ,Wer
ift Dein Prophet?' fo erwiedere: ,Mohammed ift mein Prophet'» u. f. w. Wie viel Altägyptifches
findet der Kenner des Todtenbuchs (Bd. IL, S. 66) auch in dielen Formeln, deren lieh der
Verftorbene im Jcnieits gleichfam als Waffe oder Talisman zu bedienen hat!

Die Mohammedaner glauben, dafs die menfchliehe Seele unmittelbar nach dem Tode von
den dazu beftimmten Engeln entweder zu Gott oder in die Hölle getragen wird und dort einen
Vorgefchmack des Ire erwartenden Loofes erhalt, dann aber zu dem Körper zurückkehrt und bei
ihm bleibt, indem fie fich unter das Grabtuch auf der Bruft des Leichnams niederläfst. Sie hört
Alles, was ihr gelagt wird, und man kann fie darum auf das Kommende vorbereiten. Nach kurzer
Zeit ericheinen auch die beiden Grabesengel, Munkar und Nekir (auch Näkir und Nekir) genannt,
zwei fchwarze Geftalten mit fürchterlichen Zähnen, langen, bis auf die Erde herabhängenden
Haaren, blitzenden Augen und donnernder Stimme, ungeheure Eifcnftangen in der Hand haltend.
Wenn die Seele, die man fich nicht gröfser denkt als eine Biene (die des Gottlofen ift gröfser,
weil von weniger feinem Stoff), fie bemerkt, fo verkriecht fie fich in die Nafe des Körpers, der
dadurch neu belebt wird und fich aufrichtet, um das nun beginnende Verhör über fich ergehen
zu laffen. Befteht der Verftorbene daffelbe, fo wird fein Grab ihm weit und bequem gemacht, ein
Einblick in das Paradies und leine Freuden wird ihm geftattet, und dabei vergilst er die Zeit, lo
dafs fie ihm bis zum jüngften Tage wie ein Augenblick vergeht. Bleibt er den Engeln auf
ihre fünf Fragen die Antw,ort fchuldig, fo fchlagen fie ihn mit ihren Eifcnftangen fo heftig
nieder, dafs er bis in die fiebente Erde verfinkt; diefe aber fpeit ihn wieder in lein Grab zurück
und fiebenmal wiederholt fich die gleiche Folter. Die Phantafie der Orientalen hat fich dielen
Dingen mit Vorliebe zugewandt und die Schickfale der Seele in vielen, freilich einander ott völlig
widerfprechenden Schriften gefchildert.

Möge dem Sehech Ali die Erde leicht fein! Bei feinem frifch gcfchloffenen Grabe werden
die Fikis, die Träger und Klageweiber foglcich bezahlt und unter die inzwilchen zufammen-
geftrömten Armen Brode, Datteln und Fett vcrtheilt. Das Leiehengcfolge begibt fich einzeln in
die Stadt zurück. Wir besdeiten den Sohn des Verftorbenen bis an lein Haus, das noch lange
eine Stätte des Jammers und der Klage bleibt, denn an den erften drei Abenden verfammeln lieh
dort die Freunde, um in Ruhe neben einander fitzend unter Gebeten und Koranlektüre des Todten
zu gedenken. An jedem der folgenden Donnerstage, bis vierzigmal die Sonne untergegangen ift,
verfammeln fich die Nachbarinnen und Freundinnen der Familie des Verftorbenen im Trauerhaufe,
um die Todtenklage anzuftimmen, und am Freitag in der Frühe gehen die Hinterbliebenen hinaus
auf den Friedhof, legen Palmenzweige oder Schilf auf den Grabftein nieder und vertheilen Brod,
Datteln und andere Nahrungsmittel an die Armen. Solches zu thun ift Pflicht bis zum vierzigften
Tage, aber auch fpäter noch bleibt, wie wir wiffen, das Grab des lieben Entfchlafenen eine
Wallfahrtsftätte, bei der man durch Gaben der Mildthätigkeit in fchöner Weile das Andenken
theurer Verftorbener in Ehren zu erhalten fucht.
 
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