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Richter, Ludwig; Eckert, Karla
Die heilige Genoveva — Der Kunstbrief, Band 36: Berlin: Mann, 1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.72964#0007
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DAS WERK

Die Legende erzählt von einem harten, entbehrungsreichen
Leben der Heiligen in der Einöde; Richter macht daraus den
lieblichsten Aufenthalt inmitten einer von Vogelgezwitscher
erfüllten romantischen Waldeinsamkeit. Aus dem nackten,
von Hunger und äußerster Not abgezehrten Weibe der Er-
zählung, die sich von Wurzeln und wilden Kräutern nährt
und deren einzige Freude das Gebet ist, wird unter seinem
verklärenden Pinsel eine holdselige blonde Märchengestalt mit
langem seidigem Haar und schönen Gewändern (Abb. 3). Mit
anmutig geneigtem Haupte und fromm gekreuzten Händen
sitzt sie im warmen Sonnenschein auf dem Wiesenfleckchen
vor ihrer Felsenwohnung und schaut dem Spiel ihres Kna-
ben mit den beiden Kaninchen zu, eingehüllt und behütet
von der feierlichen Stille des Waldes. So friedvoll und selig
in sich selber ruhend stellten die alten deutschen Maler die
Mutter Gottes dar. Auch die Natur um sie herum ist von
tiefstem Frieden erfüllt. Dunkle hohe Tannen stehen gegen
den blauen Himmel, machen ihn undurchdringlich und ge-
heimnisvoll, die scheuen Tiere gesellen sich zutraulich dem
Menschen zu, über den blumigen Waldboden rieselt eine klare
Quelle, aus jeder Felsspalte dringen Blüten (Abb. 8). Es ist ein

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