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Richter, Ludwig; Eckert, Karla
Die heilige Genoveva — Der Kunstbrief, Band 36: Berlin: Mann, 1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.72964#0009
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Auch die Schule gibt ihm wenig, dafür aber öffnet ihm die
kleine Stichsammlung seines Vaters ebenso wie die Sagen
und Märchen, die ihm ein junges Mädchen der Nachbarschaft
in stillen Abendstunden beim Schein eines trüben Küchen-
lämpchens vermittelt, den Blick in eine größere und schönere
Welt: „Ich hörte hier das Märlein vom Aschenbrödel mit
besonderem Wohlgefallen von ihr vorgetragen, wobei ich
immer ganz entzückt und verwundert bald das hübsche rosige
Gesicht, bald die gelben Haare betrachtete, die so reizend vom
Lämpchen erleuchtet waren, und bald war mir das Märchen-
bild und die Erzählerin zu einer Person verschwommen. Hier
aus diesem Rembrandtschen Helldunkel leuchteten mir zu-
erst die schönen alten Geschichten entgegen; zwei rote
Mädchenlippen und zwei gläubige Kinderaugen waren die
lebendigen Verkünder einer Wunderwelt, die niemals alternd
in ewiger Jugend grünt und duftet."
Die Lehrzeit bei dem Vater und später auf der Dresdener
Akademie bei zwei zopfigen Landschaftern Graff und Schu-
bert, wo er die „gerundete Lindenmanier" und die „gezackte
Eichenmanier" und die Formeln der akademischen Land-
schaft lernt, Gipse zeichnet und Berghem und Dietrich
kopiert, gibt ihm zwar einiges Handwerkszeug in die Hand,
befriedigt seine künstlerische Sehnsucht jedoch sehr wenig.
In lebendige Berührung mit der jungen schöpferischen
Kunstbestrebung seiner Zeit kommt er erst durch seine Reise
nach Rom, die der Buchhändler Arnold, sein alter Gönner,
dem Mittellosen ermöglicht. „Nun kam ich nach Rom, und
von allen Seiten wurde mein durstiger hilfsbedürftiger Geist
angeregt; ich war überglücklich, und ein reiches Leben und
Streben begann." - „Ich war mit einem Schlage frei von
dem Druck ägyptischer Dienstbarkeit, die hoffnungslos auf
meinem Leben lastete und den eingeborenen Trieb nicht
nur hemmte, sondern mit der Zeit zu vernichten drohte.
Mit einem Zuge wurde der Vorhang weggeschoben, und der
selige Blick sah das gelobte Land vor sich liegen, das Land
einer bisher hoffnungslosen Sehnsucht, wohin der Weg nun
gebahnt war."

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