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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0054
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Stiere, Vögel, Sphinxen, Greifen und Steinböcke, symmetrisch zu Zweien einander gegen?
über gestellt, das ganze Bestiarium der assyrischen Fabelwesen ist hier beisammen. Das
Gewand selbst aber, das eigentliche Gewebe, ist glatt und ungemustert. Und ebenso ist es
bei vielen Hunderten assyrischer Gewandfiguren: Kunstreiche Handarbeit an den Rand?
besätzen, verbunden mit ganz schlichten gewebten Stoffen.

Selten und fast nur bei den Figuren der Könige selbst sind Gewänder aus gemusterten
Stoffen zu sehen. So trägt der König Sargon im Louvrel) ein gewürfeltes Unterkleid und
einen mit Rosetten gemusterten Mantel. Die Blüten sind so regelmäßig in versetzten Reihen
über die Fläche verteilt, daß die Herstellung durch Weberei vorauszusetzen ist. Das Gleiche
gilt wohl für die in farbigen Glasuren dargestellten Gewänder der persischen Krieger im
Louvre, die vom Palast Darius I in Susa herstammen. Das Muster besteht aus Reihen von
Rosetten oder von Rechtecken mit einfacher, gradliniger Innenzeichnung ägyptischen Stils,
bleibt also noch ungefähr auf derselben Stufe wie die Stoffe der Skulpturen aus Ninive.
Das ist alles, was über die altorientalische Musterweberei den assyrischen und achämenidischen
Denkmälern zu entnehmen ist.

Es ist klar, daß solche Stoffe, deren einfache Muster schon auf früher Stufe in j eder Bunt?
weberei entstehen und in der Tat in Griechenland mindestens schon im 6. vorchristlichen
Jahrhundert nachweisbar sind, nicht den langwährenden Ruhm der babylonischen Textilien
begründen konnten. 2) Von den Tagen Homers bis in die römische Kaiserzeit ist den textilen
Kunstwerken Vorderasiens die Bewunderung der Griechen und Römer treu geblieben. In
der Ilias zuerst ist die Rede von „schönen Gewändern reich an Erfindung, Werken sidonischer
Frauen, die der göttliche Held Alexandros selbst aus Sidon gebracht, unendliche Wege durch?
schiffend". Aus späteren Berichten ist zu ersehen, daß mit den „babylonica peristromata"
weniger Gewandstoffe als vielmehr große Decken oder Wandteppiche gemeint sind, auf
denen die Fabeltiere des Orients, Kriegsbilder, Jagden und mythologische Vorgänge dar?
gestellt waren, dieselben Gegenstände, die den Inhalt der assyrischen Skulpturen und der
altorientalischen Kunst überhaupt ausmachen. Plinius nennt ungeheure Preise, die Metellus
Scipio und Nero für derartige babylonische Arbeiten gezahlt haben, Beträge, die hinter den
höchsten Aufwendungen des Sammeleifers unserer Tage für alte Wirkteppiche und Gobelins
nicht zurückbleiben. Auch das zeigt, daß der Ruf der vorderasiatischen Textilkunst, für
die der Gattungsname babylonisch gebräuchlich war, sich auf große bildmäßig ausgeführte
Werke gründete.

Auf dem Webstuhl können derartige einzeln gearbeitete Textilbilder nicht ausgeführt
werden. Der eigentliche Webstuhl ist auch in seiner ältesten Form mit einer mehr oder
minder künstlichen Vorrichtung versehen, um für die Einführung der die Gewebebreite
quer durchlaufenden Schußfäden eine Fachöffnung zwischen den straff gespannten Kett?
fäden herzustellen. Für jeden Schuß muß durch Tritte oder Aufzüge der Bindungsart des
Gewebes und dem Muster entsprechend ein Teil der Kettfäden mechanisch gehoben, der
andere gesenkt werden. Durch die schwierige mechanische Vorrichtung und die musterge?
rechte Aufteilung der Kettfäden wird der Weber in Stand gesetzt und zur Ausnützung seiner
langwierigen Vorarbeit darauf angewiesen, ein gegebenes Muster beliebig oft zu wieder?
holen. Da in der alten Weberei die Durchführung der Schußfaden mit dem Weberschift?
chen immer freihändig erfolgte, ist die Breite des Gewebes und somit auch die Größe des
regelmäßig wiederkehrenden Musters, der Rapport, eng begrenzt. Für die Erzeugung um?
fangreicher Teppiche oder Wandbehänge mit einheitlich entworfener Darstellung, wie über?

') Botta u. Flandin, Monuments de Ninive I T. 12, 14; II T. 105.

2) Die darauf bezüglichen Schriftstellen sind von L. Stephani in den Comptes rendus der Petersburger
Akademie 1864 S. 127, 1866 S. 145, 1878—79 S. 105 zusammengestellt.

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