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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0059
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werden konnte, waren der Verwendbarkeit der Wirkerei aus technischen Gründen keine
Grenzen gezogen L)-

Auch grobe kilimartige Wollwirkereien wurden in Griechenland als Gewandstoffe
verarbeitet; hierher gehören die thrakischen Mäntel, die auf attischen Vasenbildern des
5. Jahrhunderts (Abb. 6) zu sehen sind2). Die Wirkarbeit ist hier an den für die Technik
charakteristischen Verzahnungen des Ornaments sofort zu erkennen; eine weitere Bestätig
gung erbringt die Wiederkehr derselben Muster auf spätantiken Wirkereien aus Ägypten3).

Im 5. Jahrhundert, als mit der Blüte hellenischer Kultur das plastische Empfinden in
der Kunst maßgebend wurde, tritt im Stil der griechischen Tracht ein merklicher Wechsel
ein. Die Zeiten des assyrischen Geschmacks waren überwunden und mit ihnen verschwin?
den die buntgewürfelten Kleiderstoffe aus der Tracht der Hellenen. Nur als Kennzeichen
asiatischer Sitten haben sie sich in der Vasenmalerei vom 5. Jahrhundert ab erhalten; wenn
Troer, namentlich Paris, oder Perser und Amazonen dargestellt werden, sind ihre Kleider,
insbesondere die ungriechischen langen Hosen und Ärmel farbig geschacht, gerautet oder
in dicht gereihten Zackenbändern gemustert (Abb. 7 u. 8).4) Die in der Vasenmalerei immer
wiederkehrenden Zickzackmuster der Asiatengewänder mögen ein konventionelles Mittel
sein, um den Gegensatz orientalischer Buntheit und schlichter hellenischer Tracht auszu?
drücken; wo der Maßstab des Kunstwerks die Wiedergabe von Einzelheiten gestattet, kommen
als Merkmale orientalischer Stoffe auch die Tiermuster wieder zum Vorschein. So trägt
auf dem großen Mosaikbild der Alexanderschlacht in Neapel, einem griechischen Werk des
3. Jahrhunderts vor Chr., ein vornehmer Perser im Gefolge des Darius Beinkleider, die mit
Reihen geflügelter Greifen oder Rosse gemustert sind, nicht unähnlich den persischen Seiden?
Stoffen der Sassanidenzeit.5) Auch für die starke Farbigkeit persischer Gewänder bietet das
Mosaik, ebenso wie der stilistisch sehr verwandte bemalte Alexandersarkophag aus Sidon
lehrreichen Aufschluß.

Für die Griechen selbst sind in klassischer Zeit ungemusterte Stoffe die Regel gewor?
den. In entschiedener Minderzahl nur erscheinen auf den Bildern der rotfigurigen Vasen
des 5. Jahrhunderts und der Folgezeit Gewandstoffe mit gewebter Musterung. Und in
dieser kommt bereits der griechische Geschmack zur Geltung. Die Muster sind lockerer,
leichter und zierlicher geworden. Streumusterartig werden in schräg sich kreuzenden
Reihen oder in regelmäßigen Abständen, reihenweis versetzt, wechselnde Bildungen aus

x) Es sind auch im Mittelalter, als die Seidenweberei schon in höchster Blüte stand, noch feine und
leichte Stoffe durch Wirkerei hergestellt worden. Das bedeutendste Stück der Art ist das byzantinische
Grabtuch des Bischofs Günther von Bamberg aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, vgl. Tafel 57; technisch
gleichartig sind die aus Seide gewirkten Reste vom Grabgewand des Bischofs Bernard de Lacarre von
Bayonne (1188—1213) im Clunymuseum, mit kufischer Schrift; ferner eine spanisch=arabische Seidenwirkerei
mit Figuren im Katalog der Textilsammlung Miquel y Badia T. 9 Nr. 1. Von spanischer Seidenwirkerei ist
auch der Mantel aus dem Grab des Königs Fernando (f 1252), geschacht mit den Wappenzeichen von
Castilien und Leon in den Feldern wechselnd; abgebildet im Album de la Real Casa en la Exposicion de
Barcelona 1S88 S. 70. Schließlich sind aus China in Mengen ganz gewirkte leichte Seidengewänder von
feiner Textur vorhanden, die zwar der Neuzeit angehören, aber auf einer Wirkkunst von alter Tradition
beruhen. Fragmente solcher Art aus dem 8. oder 9. nachchristlichen Jahrhundert hat Dr. v. Lecoq in Turfan
für das Berliner Museum für Völkerkunde geborgen.

2) Vgl. auch die Durisvase bei Furtwängler u. Reichhold, T. 48.

;i) Gerspach, Les tapisseries coptes flg. 91. — Auch heut noch werden in Ghardaia in Algier die
Gewänder der Mzabiten (Beispiele in der Stoffsammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums) ganz aus
bunter Wolle gewirkt und es ist beachtenswert, wie sehr deren Muster den Thrakermänteln des 5. Jahr»
hunderts v.Chr. ähneln; ein Zeugnis dafür, daß gleiche technische Bedingungen und Zwecke auch zu gleichen
Ornamenten führen können.

') Vgl. Furtwängler u. Reichhold T. 6, 30, 61, 62, 79, 75, 76, 88, 89, 109, 116.

•') F. Winter, Das Alexandermosaik, Farbentafel.

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