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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0070
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auf das Ornament der römischen Mosaik?
pavimente griechische Meister aus Ale*
xandria, der Heimat des opus alexandri?
num, starken Einfluß ausgeübt haben').
Aus dem Palast Theoderichs (489—526)
in Ravenna sind zwei Mosaikboden er?
halten; das Muster des größeren bilden
lediglich die der Wirkerei geläufigen Ver?
bindungen von Rauten und Quadraten;
bei dem kleinern Bruchstück (Abb. 22) 1
umziehen Flechtbänder die achteckigen,
mit Bandgeflecht gefüllten Sterne aus zwei
durchsteckten Quadraten, also das Lieb?
lingsmotiv der gewirkten Tunikaeinsätze.
Andere Denkmäler treten hinzu, um die
Datierung der Flechtmusterwirkereien auf
das 6. Jahrhundert sicherzustellen. In der
Dioskorideshandschrift der Wiener Hof?
bibliothek, zu Byzanz im ersten Viertel

des 6. Jahrhunderts geschaffen, ist das Abb. 23. Buchmalerei, Byzanz Anfang 6. Jahrh.

Bild der Bestellerin Juliana Anicia

(Abb. 23) von Flechtbändern umrahmt, die in der Art der Wirkereien zu Kreis? und Stern?
formen sich verschlingen2). Dasselbe Sternfeld kehrt dann wieder als gewirkter Mittelein?
satz auf der erwähnten Altardecke in den Mosaiken von S. Vitale zu Ravenna 5) und ferner
auf den Gewändern der Begleiterinnen der Kaiserin Theodora in dem berühmten Mosaik?
bild derselben Kirche (geweiht 547). Durch diese mehrfachen Analogien wird nicht nur
eine sichere Zeitbestimmung der gewirkten Flechtmuster gewonnen; man sieht auch, daß
von einem besonderen koptischen Stil hierbei erst recht nicht die Rede sein kann, daß viel?
mehr dieselben Wirkmuster wie in Ägypten auch in Byzanz und Italien getragen wurden.
Die Geltungsdauer solcher Muster ist sicherlich nicht auf die Zeit Justinians beschränkt
geblieben; sie wirken im polygonalen Flechtornament der westmuslimischen Kunst nach,
und einzelne Motive kommen in der arabischen Seidenweberei Spaniens (vgl. T. 41, 44 a)
wieder zum Vorschein.

In den bisher vorgeführten Hauptgattungen der spätantiken Wirkerei, den figürlichen
Darstellungen alexandrinischen Stils nebst ihren Degenerationen und den Blatt? und Flecht?
mustern, sind noch keinerlei Spuren der gleichzeitigen Seidenweberei zu bemerken. Es gibt
keine wiederkehrenden Rapportmuster, keine genau symmetrische Musterverdopplung, wie
sie die Seidenweberei mit sich bringt. Immer bleibt die Zeichnung, so roh und entartet die
Ausführung auch sein mag, für die zu schmückende Fläche abgepaßt. Auch die persischen
oder ostasiatischen Einflüsse, nach denen in den spätantiken Seidenmustern so eifrig gefahn?
det worden ist, fehlen vollständig. Unter den Fabelwesen der gewirkten Bilder trifft man
nicht die der griechischen und orientalischen Kunst von Alters her gemeinsamen Formen,
wie die Sphinx, die Greifen und Flügelrosse, sondern allein die spezifisch griechischen Bil?
düngen, Kentauren, Satyrn, Tritonen und andere Seewesen. Das Bestehen eines bis min?

1) In diesem Sinn wären der Mosaikboden mit Nillandschaft aus Praeneste und pompejanische Mo*
saiken mit ägyptischen Einzelheiten im Museum von Neapel anzuführen.

2) Damit sind zu vergleichen die Wirkereien: Forrer, Gräberfunde von Achmim T. III 5; Gayet
L'art copte S. 324; Gayet, Le Costume en Egypte Nr. 302, 285.

3) Errard, L'art byzantin III, T. XII, 3.

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