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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0074
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Rautenmuster (vgl. T. lc. Abb. 32, 33) nachgewirkt, bald
Einzelmotive, Enten, symmetrische Papageienpaare, Brust?
bilder und anderes entlehnt. Als Beispiel kann ein farbiges
Einsatzstück im Wiener Kunstgewerbemuseum (Abb. 27)
dienen; das Brustbild gleicht in der ungewöhnlichen Tracht, mit
den vorn auf der Brust durch eine Rundfibel geschlossenen
Mantelenden, in der Kopfbedeckung und den hinter den
Schultern aufflatternden Bändern, dem seitwärts gerichteten
Blick so genau den Brustbildern eines freilich viel feiner ge?
zeichneten spätgriechischen Seidengewebes in Sens (vgl.
Abb. 46), daß die Benützung dieses Originals durch den Wir?
ker nicht bezweifelt werden kann.

Da die Seidenweber von Antinoe im 6. Jahrhundert, viel?
leicht schon im fünften, persische Motive in ihren Musterschatz
aufgenommen haben (worauf ich zurückkommen werde), sind
durch die Nachahmung solcher Stoffe sassanidische Formen
auch in die dortige Wirkerei übergegangen. Das ist die ein?
Abb. 28_ Wollwirkerei aus Antinoe • St u innerhalb der gesamten ägyptischen Textilkunst vor?

6. Jahrh. iextiimuseum Lyon. ° ° o j tr

arabischer Zeit, wo mit Bestimmtheit persischer Einfluß nach?
weisbar ist. Seine Stärke und Bedeutung ist besser bei der Vorführung der Seidenstoffe von An?
tinoe zu untersuchen; hier genügt es, auf einige sprechende Beispiele hinzuweisen. Ein in An?
tinoe gefundenes Wirkstück des Lyoner Textilmuseums (Abb. 28) zeigt weiße Flügelpf erde in
roten Kreisen auf blauem Grund, in versetzten Reihen regelmäßig wiederholt.1) Der Wirker
hat dem gröberen Wollfaden gemäß sein Seidenvorbild vereinfacht und dabei die eigentlich per?
sischen Merkmale, die reiche Pferdeaufschirrung und die flatternden Bänder beseitigt, auch
an Stelle der sonst breit entfalteten Flügel seinen sehr naturalisierten Pferden nur ein paar
bescheidene Stummel auf den Rücken gesetzt. Trotzdem ist an der persischen Abstammung
des Motivs kein Zweifel, denn Pegasusstoffe rein sassanidischen Stils sind in Antinoe mehr?
fach gefunden worden (vgl. Abb. 48 u. 49). Die merkwürdigste Vermischung griechischer
und sassanidischer Elemente veranschaulicht eine stattliche, etwa dreiviertel Quadratmeter
große Wirkdecke aus Antinoe in Lyon,2) die leider nicht vollständig genug ist, um die ur?
sprüngliche Form und Verwendung erkennen zu lassen. Im oberen Teil ist auf blauem
Grund ein typisches Seidenmuster des Antinoestils nachgewirkt, Kreise und Achtecksterne
mit dreifarbigen Herzen dazwischen. Daran grenzt eine Bildwirkerei mit teils griechischen,
teils persischen Figuren: Unten thront ein sassanidischer König mit wallenden Locken, die
Knie auseinandergespreizt und beide Hände auf den Schwertknauf gestützt, also in der
typischen Haltung des Khosrau Parvis (590—628) auf der bekannten Glasschale in Paris.
Darüber entsendet ein persischer Reiter in gelbem Rock und roten Hosen aus dem Sattel
rückwärts seinen Pfeil auf eine Amazone, die nach griechischer Art durch die entblößte
Brust und den Peltaschild gekennzeichnet wird. Weiterhin schleppt ein Reiter, rückgewendet
in ein Horn blasend, einen gefangenen Neger hinter sich her, und oben werden noch zwei
Bogenschützen in steifer Haltung, die Pferde hinter sich an den Gürtel gebunden, sichtbar.
Diese zwei Figuren fast achaemenidischen Stils müssen offenbar, wie der thronende Sassa?
nide, persischen Vorbildern entnommen sein, während die Amazone und anderes alle Merk?
male des Seidenstils von Antinoe aufweisen. Das Stück ist höchst lehrreich dafür, wie frei

') Als Kennzeichen antinoischer Arbeit sind die dreifarbigen über den Grund verteilten Herzen her*
vorzuheben, die grade so auf anderen Wirkereien und Seidenstoffen gleichen Fundorts (vgl. Taf. 2d, Abb. 44)
vorkommen.

2) Ein kleineres Bruchstück davon im Guimetmuseum.

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