Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0082
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
einer römischen Weberei der Arnostadt anzusehen.1) Es braucht kein sehr bedeutender Be?
trieb gewesen zu sein, aber schon allein der Bestand einer Seidenweberei in einer italienischen
Provinzstadt zu einer Zeit, als die an den Reichsgrenzen brandenden Wogen der Völker?
Wanderung schon weit ins Land hereinschlugen, läßt doch auf eine starke Lebenskraft und
Expansionsfähigkeit des römischen Seidengewerbes schließen.

Dabei hatte es ein halbes Jahrtausend lang mit der unregelmäßigen, oft unzulänglichen
Zufuhr des chinesischen Rohstoffs zu kämpfen, einem Mißstand, der zeitweilig zu verderbe
liehen Mandelskrisen sich steigerte. Das römische Reich befand sich dem Seidenhandel
gegenüber in einer entschieden ungünstigen Lage. Heyd in seiner Geschichte des Levante*
handels, Pariset, F. Hirth, Reinaud und andere haben sich bemüht, aus den griechischen,
chinesischen und arabischen Quellen die Wege des Orienthandels zu erkunden, auf denen
auch die Seide nach dem Westen gelangte. Die Aufgabe ist schwierig, nicht allein wegen
der Spärlichkeit und Unklarheit der Quellenschriften, sondern noch mehr, weil mit den
politischen Verhältnissen in den weiten Gebieten, die die Seide zu durchlaufen hatte, bevor
sie in Antiochia, Alexandria oder Konstantinopel mündete, sich jeweils auch die Möglich?
keiten und Bedingungen des Güteraustausches änderten. Während der älteste Verkehr von
China über Land durch Innerasien nach dem Oxusgebiet, dann durch das Partherreich der
Arsakiden an den Euphrat und nach Syrien ging, kam im 2. Jahrhundert nach Chr. der See?
handel hinzu. Die chinesischen Annalen berichten,2) daß im Jahr 166 eine Gesandtschaft
des Kaisers Marcus Aurelius Antoninus über Annam nach China gekommen sei, zum ersten?
mal, da vorher die Parther den Weg versperrten, weil sie im Seidenhandel Chinas die Ver?
mittler bleiben wollten. Hirth nimmt an, daß diese Bahnbrecher des Seeverkehrs zwar nicht
römische Gesandte, aber Kaufleute aus der römischen Provinz Syrien gewesen seien, die eine
durch Kriegsunglück und Pest erzwungene Untätigkeit der Parther für sich ausnützten. Es
ist nicht wahrscheinlich, daß der direkte Seeweg dem römischen Orienthandel lange Zeit
offen blieb; denn seit die Sassaniden im 3. Jahrhundert ihr persisches Reich zu einer ansehn?
liehen und den römischen Ostprovinzen oft gefährlichenMachtstellung emporgehoben hatten,
wurden die Syrer von den unmittelbaren Beziehungen zu China abgedrängt und auch aus
dem Seehandel mit Indien ausgeschaltet. Dessen Hauptader war westwärts auf den Unter?
lauf des Euphrats gerichtet, ein wichtiges Umschlagsgebiet, das zur Arsakidenzeit den Rö?
mern noch zugänglich war, später jedoch in die Gewalt der Sassaniden geriet.

Die Wandlungen im Seeverkehr und die Änderungen der Karawanenstraßen durch
Innerasien brauchen hier nicht weiter verfolgt zu werden, denn bei allem Wechsel ist das
für die Seidengeschichte wichtigste Endergebnis unverändert geblieben: Auf welchem Wege
immer die chinesische Seide dem Westen zugeführt wurde, ob zu Land über den Oxus oder
durch Indien und zu Wasser, in jedem Fall gelangte sie zuerst in die Hand der Perser. Nur
durch deren Vermittlung konnten die syrischen Händler und später der rhomäische Comes
commerciorum als der zum Seidenankauf allein bevollmächtigte Vertreter seines Landes das
Rohmaterial in Empfang nehmen. Das Handelsmonopol der Perser lastete drückend auf
dem römischen Textilgewerbe nicht bloss wegen der Verteurung, mehr noch durch die Be?
schränkung des Rohstoffs. Persien war selbst, mindestens seit dem 4. Jahrhundert, Sitz der
Seidenweberei geworden und ein erheblicher Teil der Zufuhr chinesischer Gespinste wurde
im Lande selbst verarbeitet. Nur der Überschuss über den eigenen Bedarf konnte die
Grenzen überschreiten. Die persische Weberei war auf den Absatz ihrer Erzeugnisse in das
römische Reich bedacht; in der Charta Cornutiana5), der Stiftungsurkunde einer römischen
Landkirche, die deren Textilbesitz aufzählt, werden schon im Jahre 471 persische Stoffe

') J. Braun, Zeitschrift f. christl. Kunst 1910, IX.

-) F. Hirth, China and the Roman Orient S. 42 und Chinesische Studien S. 17.
) Abgedruckt in Duchesnes Ausgabe des Liber pontificalis I.

29
 
Annotationen