Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0088
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
sehen Rohstoffs beibehielt und fortführte. Einen Stilwechsel hat die Seide nicht von vorn*
herein und sofort herbeigeführt, nur eine allmähliche Veränderung des schon Vorhandenen
insofern, als das zarte Gespinst aus China eine viel feinere Zeichnung und daher im weiteren
Verlauf ein Aufsteigen zu reicheren Ornamenten ermöglichte, als der vergleichsweis rauhe
Wollfaden sie zugelassen hatte.

Das gänzliche Fehlen chinesischer Einflüsse nicht nur in den rein griechischen Streu?
mustern, sondern weiterhin in der spätantiken Textilkunst überhaupt, ist nicht verwunden
lieh. Wenn gemusterte Stoffe aus China in das römisch?griechische Kulturgebiet gelangt
sind, was nirgends überliefert, aber wohl möglich ist, so begegneten sie doch während der
ersten sechs Jahrhunderte nach Chr. noch einer selbstbewußten und in sich gefestigten spät?
antiken Kunst, die zur Aufnahme so fremdartiger Elemente, wie China sie vermutlich dar?
bot, nicht empfänglich war. Es lohnt sich kaum, dieser Frage nachzugehen, denn so lange
uns von rein chinesischen Textilmustern spätantiker Zeit gar nichts bekannt ist, bleibt das
Bemühen ziemlich hoffnungslos, ihre Spuren im griechischen Webeornament aufzufinden.1)

Für die Entstehungszeit der Streumusterstoffe gibt die Gründung der Hadriansstadt im
2. Jahrhundert die unterste Grenze, soweit die Stoffe in Antinoe selbst gewebt worden sind.
Bei den daselbst gefundenen Stücken und auch bei mehreren in Sens ist letzteres als sicher
anzunehmen, denn sie hängen durch mancherlei Einzelheiten des Ornaments mit den jüngeren
nachweislich antinoischen Seidengeweben der griechisch?ägyptischen Richtung augenschein?
lieh eng zusammen. Ich werde darauf noch zurückkommen. Es ist jedoch nicht wahrschein?
lieh, daß dieser Stil auf Antinoe beschränkt war; die frühen Streu? und Rautenmuster haben
keinen örtlichen, sondern einen allgemein griechischen Charakter und sie werden ungefähr
ebenso in Alexandria, Karthago, in Syrien und Byzanz gemacht worden sein und wo sonst
noch die hellenistische Buntweberei in Betrieb stand.2) Leider haben wir keine Anhalts?
punkte, um syrische Stoffe, die doch einen beträchtlichen Teil der antiken Seidenerzeugung
ausgemacht haben müssen, als solche zu erkennen. Da aber die hellenisierten Industrie? und
Handelsstädte von Syrien und Ägypten ein ziemlich gleichartiges Kulturgebiet bildeten, in
dem die nationalen Unterschichten der eingeborenen Bevölkerung nur wenig mitsprachen,
sind einschneidende Stilunterschiede in ihren ältesten Seidengeweben nicht vorauszusetzen.
In Ägypten sind Streumuster und Diagonalmuster der vorgeführten Art vereinzelt auch
außerhalb Antinoes zu Tag gekommen und gewisse Qualitätsunterschiede lassen auf ver?
schiedene Betriebsorte schließen.5) Ebenso sind im byzantinischen Kunstkreis ähnliche
Webemuster durch Buchmalereien und Mosaikbilder nachzuweisen: ein Gewölbemosaik im
erzbischöflichen Palast zu Ravenna (Capeila S. Pietro Crisologo) aus der ersten Hälfte des

') Strzygowski hat im Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen 1903 S. 175 in einem Aursatz „Seiden*
stofte aus Ägypten; Wechselwirkungen zwischen China, Persien und Syrien in spätantiker Zeit" bei der Be*
sprechung eines daselbst fig. 16 abgebildeten ägyptischen Seidenstoffes, der unseren beiden Abbildungen 34
und 65 sehr ähnlich, nur etwas gröber ist, die Meinung ausgesprochen, daß diese Rautenmuster von China
herstammen. Als Beweis zeigt er fig. 18 eine mit linearem Netzmuster überzogene Bronzevase aus dem Poku*
tulu, dem bekannten im 12. Jahrh. nach Chr. zusammengestellten Katalog chinesischer Sakralbronzen. Wenn
man nun die Wahl hat, die Rautenmuster spätgriechischer Stoffe entweder von sehr gleichartigen griechischen
Webemustern klassischer Zeit abzuleiten, oder aber von chinesischen Bronzen der Shangdynastie, das heißt
aus dem 2. Jahrtausend vor Chr., oder sie gar aus dem trüben Gewässer der „Kunst des Stillen Ozeans" herauszu-
fischen, so kann die richtige Entscheidung einem unbefangenen Gemüt nicht schwer fallen. Rautennetze an
sich sind ein Allerweltsmotiv und wenn man aus dem Gebiet der Webeornamentik herausgeht, kann man sie
an vielen Stellen nachweisen, die mit den antiken Stoffen sich ebensowenig berühren, wie die chinesischen
Shangbronzen.

'-) Beiläufig sei erwähnt, daß viele Einzelmotive dieser Streumuster sehr ähnlich auch im Formenschatz
der weströmischen, sogenannten aretinischen Rotgeschirre vorkommen.

:i) Hierher gehören die Stoffe des German. Museums, Hampe Gewebekatalog fig. 8, 9, 10, 12, 13 und
Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen 1903 fig. 16 u. 17.

34
 
Annotationen