Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0100
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Händen zwischen zwei friedlich sitzenden symmetrischen
Löwen ist der ständige Typus der frühchristlichen Kunst, so?
wohl auf der römischen Seite,1) als im alexandrinischen Kunst?
bereich gebräuchlich. '-) In Textur und Farbe ist das Daniel?
fragment dem Josephstoff ziemlich ähnlich.

Dieselbe zarte Textur und die schlichte, kühle Färbung
der drei Figurenstoffe zeigen auch einige ornamentale Gewebe,
von denen eines im Berliner Kunstgewerbemuseum aus Ägypten
herstammt.3) Sandfarbig auf braunem Grund sind kleineTauben,
Enten und Pfauen hintereinander herschreitend, alle in derselben
Richtung von links nach rechts dargestellt und durch ebensolche
Blattpflanzen getrennt, wie sie zwischen den Figuren des Joseph?
Stoffes angebracht sind. Ein anderes Gewebe gleicher Textur
in Sens (Abb. 55), grün und hellgelb auf sandfarbenem Grund,
nähert sich schon mehr dem Stil von Antinoe. Die Pflanzen sind
bereits symmetrisch gezeichnet und die Tiere stehen sich paarweis
gegenüber. Aber die Paare werden aus je zwei verschiedenen
Tieren, Greifen und Enten gebildet. Die Musterbildung folgt
also noch dem antiken Grundsatz des Gleichgewichts, nicht
der absoluten Symmetrie, die erst den ausgereiften Seidenstil
der Spätantike kennzeichnet.

Auf Grund dieser Eigentümlichkeit ist die ganze Gruppe
spätestens dem 5. Jahrhundert zuzuweisen und im Stil des Maenadenstoffes liegt nichts,
was einer Entstehung zur Zeit des Asterius um 400 widersprechen würde. Der Umstand,
daß ein Stück der Gattung von Ägypten aus in den Handel kam, genügt zur Herkunfts?
bestimmung nicht; neben dem Nilland könnte auch Syrien in Frage kommen.

An dieser Stelle ist noch der Nereidenstoff (Abb. 56) einzureihen, der lange Zeit als
das älteste Denkmal antiker Seidenweberei angesehen wurde. Gottfried Semper hatte zuerst
ein Bruchstück davon mit einer in klassischem Sinn gezeichneten Ergänzung veröffentlicht,4)
die seine Entstehung in der Blütezeit römischer Kunst wahrscheinlich machte. Das wirk?
liehe Aussehen des Gewebes bleibt aber hinter dieser verschönerten Darstellung nicht un?
erheblich zurück. Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich und die Berliner Stoff?
Sammlung besitzen davon mehrere Stücke, die aus der Valeriakirche ob Sitten, der alten
Römerstadt Sedunum im Rhonetal herstammen. Das Muster, hellrot auf grünem Grund
in feiner Körperbindung gewebt, läßt sich nicht vollständig wiederherstellen. Der ganze
Rapport bestand wahrscheinlich aus vier wagrechten Reihen, jede aus einer laufenden
Akanthusranke gebildet, die in ihren Windungen Nereiden umschließt. Der Oberkörper
der Frauen ist nackt, die Beine von einem schön gefalteten Gewand umhüllt. In jeder Reihe
ist die Zeichnung verschieden; eine Nereide, auf einem Hippokampen sitzend, trägt in steil
erhobener Hand einen Fruchtkorb, die andere von einem Delphin getragen, schlägt die Leier.

Die Nereiden und Seewesen zählen zu den beliebtesten und verbreitetsten Darstel?
lungen der ganzen spätantiken Kunst und sind daher an sich zur Ortsbestimmung nicht ge?
eignet, obschon sie auch in der ägyptischen Wirkerei (Abb. 57) vorkommen. Doch ist ein
besonderer Hinweis auf Ägypten in dem auf senkrecht hochgerichtetem Arm getragenen

1) Z. B. ein Ravennater Sarkophagrelief Venturi I fig. 194.

2) Vgl. den gefärbten Leinenstoff der Berliner Stoffsammlung, abgeb. Strzygowski, Orient oder Rom
r. 6; weiteres Material ist daselbst S. 95 aufgezählt.

;) Abgeb. in Pascos Katalog der Collection des Tissus anciens Miquel y Badia T. 30 nr. 29.
') Semper, Der Stil I S. 180.

Abb. 57. Ägyptische Wirkerei,
6.-7. Jahrh. Kgm. Berlin.

42
 
Annotationen