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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0111
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bis heute — nach 1300 Jahren — kaum etwas eingebüßt haben. Die in Byzanz beliebten
dunkelroten und violetten Purpurfarben sind der alexandrinischen Gruppe fremd; hier be?
herrscht die Wirkung das volle Kirschrot des Grundes, von dem sich die Muster in weiß,
grün, rot, gelb oder braun, hell? oder dunkelblau abheben. Auch schwarz kommt zur Ver?
Stärkung der Umrißzeichnung vor; das Weiß ist als einzelner Faden ganz rein, in den durch?
weg geköperten Geweben aber erhält es durch die sichtbaren Bindungen der roten Kettfaden
eine warme, mehr oder minder rötliche Abtönung. Die vielfarbige Ausführung figürlicher
Muster ziemlich großen Maßstabs war den Webern anscheinend noch eine ungewohnte Auf?
gäbe. Man sieht an verschiedenen Stoffen, daß die richtige, der Zeichnung entsprechende
Verteilung der farbigen Schußfäden ihnen Schwierigkeiten bereitete. Das Auskunftsmittel
der Broschierung, die bei vielfarbigen oder golddurchwebten Stoffen eine wenig beanspruchte
Farbe nicht durch die ganze Breite, sondern nur an den vom Muster verlangten Stellen
einschießt, war ihnen nicht geläufig. Alle farbigen Schüsse sind vielmehr von Kante zu
Kante durchgeführt. Um die blaue Farbe zur Geltung zu bringen, haben die Weber des
Amazonenstoffs von Säkkingen (T. 8), des Simsonstoffes (T. 7c) und des Reiterstoffes in
Cöln (T. 9b) den in bald breiten, bald schmalen Streifen durchgeschossenen blauen Ein?
schlag der Bindung halber auch dort zum Vorschein gebracht, wo er sinngemäß nichts zu
suchen hat. Dem koloristischen Empfinden der ausgehenden Antike gemäß stand den
Webern die Steigerung der Farbenpracht bereits höher als die Rücksicht auf die Richtigkeit
der Zeichnung. Andere Stücke hingegen, namentlich der Verkündigungsstoff (T. 6), das
Meisterstück der ganzen Gattung, haben, diese Unvollkommenheit überwunden. Daraus
ergibt sich wohl, daß die Gruppe die Erzeugnisse verschiedener Werkstätten umfaßt, was
bei einer gewerbereichen Großstadt wie Alexandria nicht wundernehmen kann.

Für die ägyptische Herkunft der Gattung lassen sich zahlreiche Gründe beibringen,
die zusammengenommen einen vollgültigen Beweis liefern. Sie ergeben sich einerseits aus
der Ornamentik der Stoffe selbst, andrerseits aus dem Einfluß, den diese Seidengewebe auf
andere Textilerzeugnisse Ägyptens ausgeübt haben. Die Tatsache, daß Stoffe dieser Art
in Ägypten getragen und gefunden worden sind, ist im Zusammenhang wertvoll, obschon
nicht beweiskräftig, da die Möglichkeit vorliegt, daß neben den einheimischen Arbeiten
auch aus Syrien oder Byzanz eingeführte Gewebe verwendet wurden. Manche Gründe
sollen bei der Untersuchung der einzelnen Muster angeführt werden; nur ein Hauptargu?
ment ist vorauszunehmen, um Wiederholungen zu vermeiden.

Den meisten alexandriner Stoffen ist ein eigentümliches Blütenornament gemeinsam,
das bunt auf weißem Grund die breiten Kreisbänder füllt, welche die figürlichen Bilder ein?
rahmen. Es kommen verschiedene Spielarten, reichere und vereinfachte Formen vor, doch
kehren die wesentlichen Elemente überall wieder. Die vollständigste und klarste Wieder?
gäbe enthält der gut erhaltene Stoff mit der Verkündigung und Geburt Christi, der aus der
Lateranskapelle Sancta Sanctorum in das Christliche Museum des Vatikans übergegangen
ist (Tafel 6 = Abb. 68). Das Kreismuster bilden hier drei verschieden gezeichnete Blüten,
die immer in derselben Reihenfolge sich wiederholen. Die einfachste Blüte besteht aus einem
spitzen grünen Kelch, aus dem das von den Antinoestoffen her bekannte dreifarbige Herz
herauswächst. Die nächste Form sitzt unten gerundet, ebenfalls gelb, weiß und rot gefärbt,
in einem breiten, vierlappigen Kelch; oben teilt sich die Blüte in drei rote und zwei grüne
Spitzen, so daß eine regelrechte Palmette entsteht. Bei der dritten Form ist der grüne Kelch
noch mehr ausgebreitet und die oberen Blütenteile sind gerundet. Es ist zu beachten, daß
die gelbe Kapsel, aus welcher der Spitzkelch der ersten Herzblume hervorwächst, an den
beiden reicheren Blumenformen nicht mehr sichtbar ist. Daraus ergibt sich schon, was die
Verschiedenheit der drei Blumen zu bedeuten hat. So wie in der Pharaonenkunst die ägyp?
tische Palmette eine stilisierte Seitenansicht der Lotusblüte vorstellt, die von obenher ge?

Falke, Seidenweberei. ja '
 
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