Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0113
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stimmung deutlicher zu veranschaulichen. Ich wähle als Beweisstück eine ägyptische Los
tusborte, deren Entstehungszeit von den Seidenstoffen nicht allzuweit entfernt ist. Die
Abb. 69') zeigt einen reliefierten Pfeilerabacus von dem kleinen Nebentempelchen, dem sog.
Geburtshaus, beim Hathortempel zu Dendera in Oberägypten. Augustus hatte den Bau
errichtet, die Reliefausschmückung reicht aber bis in die Zeit der Kaiser Trajan und Hadrian
herab. In der Borte, die den Gott Bes umzieht, wechseln zwei Blumenformen ab: die nor?
male Lotusblüte und der sog. Papyruswedel, den Goodyear2) ebenfalls als eine Abform des
Lotus bezeichnet hat. Jede Blüte ist von breiten Blättern und zwei gestreckten Lotusknos?
pen begleitet. Blätter und Knospen sind wie auf den Seidenstoff borten den erheblich gros
ßeren Blüten untergeordnet. Die Lotusblätter sind hier halbkreisförmig gerundet; es ist
aber bekannt, daß die ägyptische Kunst sie auch zugespitzt und etwas geschweift darzustellen
pflegte, ähnlich den Blattformen des Verkündigungsstoffes.;i) Hier wie dort hält eine Mittel?
linie das Muster zusammen.

Ich will nicht behaupten, daß die Musterzeichner des 6. Jahrhunderts noch bewußt ein
Lotusornament darstellen wollten; aber daß in ihren Kreisbortenmustern die Erinnerung
an die ägyptische Lotusborte nachwirkte, das wird doch durch die Gleichartigkeit der An*
Ordnung, durch die Aufreihung wechselnder Blüten an einer Mittellinie, durch die Beigabe
der Knospenpaare, die für keine andere Blüte typisch sind als nur allein für den Lotus,
vollständig außer Frage gestellt.

Es kommt nun hinzu, daß die Blumenborte dieser Seidenstoffe überaus oft in den kop*
tischen Buntwirkereien aus Ägypten nachgebildet ist. Meistens erscheint sie etwas verein-
facht (vgl. Abb. 24 u. 25), auf die Hauptmotive der Herzblüten und des Knospenpaares
beschränkt, gelegentlich auch in der reicheren Form. Die vollständigste Wiedergabe zeigt
ein breiter gewirkter Gewandbesatz, dessen Hauptstücke auf das Kaiser Friedrich Museum
und das South Kensington Museum sich verteilen, Die Ausführung ist eckig und die christ*
liehen Bilder innerhalb der Kreise durch das geringe Kunstvermögen der Kopten arg ent*
stellt; doch bleibt die Nachbildung eines Seidengewebes von der Art des Verkündigungs*
Stoffes unverkennbar.

Damit ist die ägyptische Herkunft der durch gleiche Färbung und Stilverwandtschaft
mit dem Verkündigungsstofi eng verbundenen Gewebegruppe bereits erwiesen. Es ist die
am weitesten verbreitete, also doch einem ansehnlichen Betriebs* und Handelsplatz ent*
stammende Gattung der ägyptischen Seidengewebe. Persische Elemente haben, wie noch
auszuführen sein wird, in ihre Muster kaum Aufnahme gefunden; die figürlichen Dar*
Stellungen geben nur antike und christliche Motive. Die beliebtesten Figuren, die Reiter,
werden im 9. Jahrh. für Alexandria beglaubigt: Papst Gregor IV (827—844) stiftete für die
Marcuskirche in Rom alexandrinische Vorhänge ,,vela alexandrina habentia homines et ca*
ballos"4). Alles drängt zu der Schlußfolgerung, daß die Werkstätten dieser hervorragenden
Gewebe nur in dem textilberühmten Hauptsitz des ägyptischen Griechentums und Christen*
tums, in Alexandria, gesucht werden können.

Zur Zeitbestimmung, wenn nicht der ganzen Gruppe, so doch ihrer besten Werke,
bietet wieder der Verkündigungsstoff die geeignetste Grundlage5). Die Untersuchung Dre*

*) Nach Lepsius, Denkmäler aus Ägypten, Band IX> Abt. IV, Bl. 83 c.

2) The Grammar of the Lotus.

;!) Riegl, Stilfragen S. 51.

') Duchesne, Liber pontificalis II S. 75.

5) In den bisherigen Veröffentlichungen über den Reliquienschatz aus dem Schrank Papst Leos III
(795—816) in der Kapelle Sancta Sanctorum ist der Stoff abschnitt mit der Geburt Christi entweder unbe*
achtet geblieben oder als ein besonderes Gewebe angesehen worden. Da er aber im Maßstab, Stil, Textur
und Färbung mit dem Verkündigungsstoff vollkommen übereinstimmt, wurden auf unserer Tafel 6, die das

51

7*
 
Annotationen