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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0157
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Stoffeinfassungen alter Kakemonos zu Rate zieht, wenigstens die Hauptgruppen der frühen
Seidenmuster zu rekonstruieren. Für eine der häufigsten Gattungen neuchinesischer (in
Japan wie üblich nachgeahmten) Gewebe, die in ungezählten Spielarten vorkommenden
geometrischen Muster aus Quadraten, deren Seiten mit großen Rosetten besetzt sind (Tafel 29),
läßt sich in der Tat ein frühmittelalterlicher Ursprung nachweisen. Unter den vielen
japanischen Textilmusterbüchern ist das wichtigste der von Kodama in Tokio 1884 heraus?
gegebene „Spiegel alter Muster"1), weil er eine ansehnliche Reihe zuverlässig datierter Stücke
enthält2). Darunter befindet sich als Einrahmung eines den Regenten Shotoku Taishi (572
bis 621) darstellenden Kakemonos aus dem 7. oder 8. Jahrh. ein Seidenstoff, der in allem
wesentlichen mit dem Gewebe auf Tafel 29 übereinstimmt (Abb. 109). Weiterhin kann
man die in China und Japan ebenso verbreiteten stilisierten Rankenmuster ins Mittelalter
zurückverfolgen. Eine halbwegs geschlossene Entwicklungskette ist jedoch auf dem retro?
spektiven Weg nicht zu gewinnen". Wir müssen daher bei den noch unzulänglichen Hilfs?
mittein auf eine-Oeschichte der Seidenweberei in ihrem Ursprungsland von vornherein
verzichten und uns darauf beschränken, die Seidenkunst Ostasiens nur soweit in Betracht
zu ziehen, als sie nehmend oder gebend mit dem Westen in Wechselwirkung getreten ist.

Die so glaubwürdig scheinende Ansicht, daß China mit seinen Geweben und sei*
nem Rohstoff, auf den der Westen jahrhundertelang angewiesen war, auch etwas von seiner
Ornamentik in die spätantike Kunst Vorderasiens und des Mittelmeergebiets hineingetragen
habe, fand in den Denkmälern selbst nicht die geringste Nahrung. In keiner der vorher
untersuchten Gewebegruppen waren irgendwelche Spuren chinesischer Formen zu ent*
decken. Jedes Motiv, sei es figürlicher oder ornamentaler Art, war zwanglos aus der an?
tiken, ägyptischen, mesopotamisch^persischen Überlieferung und aus deren Wechselwir?
kungen abzuleiten. Daß auch von indischen oder buddhistischen Elementen im Westen
gar nichts zum Vorschein gekommen ist, braucht weniger zu verwundern, weil in so früher
Zeit eine indische Seidenkunst überhaupt nicht beglaubigt ist. Es bleibt also nichts übrig,
als den Gedanken an ostasiatische Einwirkungen in spätantiker — und wie wir sehen werden
auch in frühmittelalterlicher Zeit — endgültig zu Grabe zu tragen. Statt dessen wird durch
die ältesten in Japan erhaltenen und in Westchina von Pelliot gefundenen Stoffreste der
umgekehrte Vorgang enthüllt, eine entschiedene Beeinflussung, ja eine zeitweilige Abhängige
keit des fernen Ostens von der persischen Kunst des 7. und 8. Jahrhunderts.

Das bedeutendste Beweisstück dieser Tatsache ist der schon mehrfach veröffentlichte
Reiterstoff (Tafel 30 = Abb. 110). Es ist ein großes Tempelbanner mit vielen Kreisen von
je 43 cm Durchmesser, leidlich erhalten, das aus dem Besitz des Mikado Shomu (724—748)
in den Horiushitempel zu Nara gelangte und neuerdings dem Museum von Tokio über?
wiesen wurde. Man braucht kaum zu begründen, daß die Nachbildung eines sassanidischen
Gewebes vorliegt. Der chinesische Weber hat sich zwar in der freien Umbildung seiner
Vorlage keinen Zwang auferlegt: die auf den persischen Reiterstoffen so streng und mager
stilisierte vegetabile Mittelachse hat sein höher entwickelter,Natursinn in einen Baum von
rein chinesischem Stil verwandelt; den Flügelpferden ist — eine wesentliche Verbesserung
— die der chinesischen Kunst eigene heftige Bewegtheit verliehen und die Tracht der Bogen?
schützen gleicht namentlich in den Ärmeln den Statuen der buddhistischen Tempelwächter
aus der Zeit Shomus1)- Doch sind von dem persischen Vorbild, ganz abgesehen vom
Gegenstand und der Anordnung des Musters, noch genug Merkmale übriggeblieben. Vor

x) „Shinsen kodai moyo" von Naganari Kodama, 2 Bände.

-) Eine reiche Sammlung von Musterbüchern ist in der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums in Berlin.
Außer dem Kodama sind am beachtenswertesten die 10 Bände „Orimon Ruisan", alte Gewebemuster vom
Museum in Tokio herausgegeben 1892.

:1) Histoire de l'art du Japon 1900 T. 16 u. 18.

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