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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0163
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abbildungen im ersten Band des Musterbuches Orimon Ruisan. Wir finden hier Streu?
muster aus Kreuzen und Rosetten (Abb. 120), Rosetten auf Maeandergrund (Abb. 121)
ähnlich dem ägyptischen Stoff'auf unserer Tafel 1 d; Quadrate und Vierblattrosen (Abb. 122)
in derselben Anordnung wie auf dem oströmischen Stoff Abb. 83 und auf dem Vorhang
des Theodoramosaiks in Ravenna; ferner verschiedene Spielarten von Rautenmustern mit
Hakenkreuzen (Abb. 123). Ausgeschlossen ist es nicht, daß solche der Webetechnik hand?
liehen Muster in China unabhängig vom Westen entstanden sein können; aber da die Tatsache
spätantiker Einflüsse durch die Rankenmuster vollkommen festgestellt ist, braucht man den
Gedanken an einen Zusammenhang mit den von syrischen Händlern eingeführten und in
China hoch geschätzten Geweben des oströmischen Kunstgebiets nicht abzulehnen.

Aus der Häufigkeit der Beispiele ist jedenfalls zu entnehmen, daß die Nachahmung
persischer und spätantiker Gewebe in China nicht ein vereinzeltes Vorkommen war, son?
dem der Ausfluß einer im 7. und 8. Jahrh. verschiedene Kunstzweige beherrschenden west-
liehen Stilrichtung. Es ist sicherlich kein Zufall, daß dieser Stil zeitlich ungefähr zusammen?
fällt mit der Blüte des Buddhismus in China und Japan, der den Verkehr Ostasiens mit
dem Westen und die Aufnahmefähigkeit für fremde Kunstformen und Vorstellungen ge?
steigert hatte. Im Verlauf der Tangzeit und späterhin sind die fremden Elemente dem hei?
mischen Stil assimiliert worden, nicht ohne daß die ostasiatische Kunst eine dauernde Be?
reicherung ihrer vegetabilen und Tierornamente davongetragen hätte. Ein Beispiel für das
Nachleben der sassanidischen Scheibenkreise mit gegenständigen Tierpaaren gibt ein japa?
nischer Seidenstoff aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Abb. 124). Auch erneute
Anlehnungen an byzantinische und sarazenische Seidenmuster des Mittelalters sind fest?
zustellen: Ein in mehreren alten und neuen Varianten erhaltenes japanisches Gewebe
(Abb. 125)1) zeigt die durch Rosetten verbundenen Kreisfelder, wie sie in Byzanz im 9.,
10. und 11. Jahrh. vorherrschend waren. Man kann auch in den Drachen des hier abge?
bildeten Beispiels eine Erinnerung an den damals in Byzanz noch oft dargestellten Hippo?
kampen erkennen.2) Dieselbe byzantinische Kreismusterung ist ohne Tierbilder, nur mit
Rosettenfüllung bis zur Gegenwart in Ostasien (Abb. 126) in Gebrauch geblieben. An?
klänge an sarazenische Muster verrät ein Stoff mit Vogelpaaren in Rautenfeldern (Abb. 127).

Je weiter von der Sassanidenzeit entfernt, um so seltener werden in der ostasiatischen
Seidenweberei die Anleihen bei dem Westen; um die Wende des 13. Jahrhunderts beginnt
bereits die rückläufige Bewegung. China war unter Kubilai Khan, dem Enkel des Dschingis,
ein Teil des mongolischen Großkhanats geworden, dessen Machtbereich nach dem Sturz
des Kalifats Vorderasien mit umfaßte. Der Nimbus der Überlegenheit, den die unwider?
stehlichen Siegeszüge der Mongolen dem Osten verliehen hatten, kam auch der chinesischen
Kunst zugute. In der persischen Kunst kommen in immer wachsender Menge chinesische
Elemente zum Vorschein; im ägyptischen Reich der Mamluken werden chinesische Seiden?
Stoffe getragen und nachgewebt. Ihr Einfluß wird durch das Mittelmeer nicht aufgehalten.
Der chinesische Naturalismus in der Darstellung von Pflanzen und Tieren trifft in Italien
auf eine gleichgestimmte Richtung der Frühgotik und er befruchtet die italienische Muster?
zeichnerei des 14. Jahrhunderts mit einer Fülle neuer Vorstellungen. In dieser Zeit hat
China reichlich bezahlt, was es im 7. und 8. Jahrh. vom Westen empfangen hatte.

0 Vgl. auch M. Heiden, Handwörterbuch der Textilkunde T. VI fig. 2 u. 6.
2) Zu vergleichen mit den byzantinischen Stoffen T. 22b, Abb. 213, 216.

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