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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0169
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Montaiglon1) in dem Löwenkämpfer von Sens eine sassanidische Erinnerung an den alt?
orientalischen Königskampf gesehen und Chartraire meint desgleichen, daß hier ein assy?
risches Motiv wiederholt sein könnte. Das trifft gewiß das Richtige. Die mit einem Brust*
stück aus Rautenstoff und Schulterbesätzen versehene Ärmeltunika des Löwen Würgers wird
durch die zwischen den Knien und an den Seiten herabhängenden Zipfel, die der Weber
hier durch die Farbe besonders deutlich betonte, nach feststehender spätantiker Formen?
spräche als persisches Gewand gekennzeichnet, wie auch der langgelockte Kopf mit dem
sassanidischen König auf Tafel 28 übereinstimmt. Das würde noch nicht gegen einen Daniel
in der Löwengrube sprechen, denn gleich den drei Magiern aus dem Morgenland trägt in
der spätantiken Kunst der Prophet Daniel bekanntlich fast immer die persische Tracht2).
Aber eine Darstellung Daniels als eines mit Händen und Füßen kämpfenden Löwenwürgers

widerspricht durchaus dem christlichen
Typus. Dieser kennt wie schon erwähnt
nur den von den Löwen durch die Gnade
Gottes verschonten Oranten Daniel. Der
Perser, der auf zwei Löwen tritt und mit
jeder Hand einen aufgerichteten Löwen
erwürgt, kann nur ein Nachklang sein
des altorientalischen Löwenkampfes, der
symbolischenÜberwindung des Bösen3).

Abb. 131. Altpersischer Siegel; c . . Abb. 132. Altpersischer Siegelstein,

stein, in Berlin. Die Haltung des Kampfers ist ja gegen? in Berlin.

über den achaemenidischen Skulpturen
und Siegelsteinen (Abb. 131) kaum verändert, nur die im Altertum hieratische Art, wie
der König auf zwei Tieren steht (Abb. 132), ist hier in realistischem Sinn umgewandelt.
So beweist auch der Gegenstand wie der Stil des Musters, daß der Stoff in Persien zu
einer Zeit gewebt worden ist, in der die altnationalen Vorstellungen noch lebendig fort?
wirkten.

Im Abendland ist das Muster allerdings christlich als Daniel aufgefaßt worden.4) Be?
weis dessen eine byzantinische Nachbildung des Victorstoffes (Abb. 133), die Cahier und
Martin aus dem Walburgisstift zu Eichstätt veröffentlicht haben.5) Der byzantinische Weber
hat den Brusteinsatz der Tunika und die charakteristische persische Faltenzeichnung auf den
Oberschenkeln beibehalten, auch die Stellung der Löwen, ihre aufgestülpten Nasen und
zottigen Mähnen ganz getreu kopiert. Im Sinne der christlichen Auffassung hat er den
Löwenwürger in einen Oranten mit ausgebreiteten Händen umgezeichnet und ihm statt der
persischen Lockenfülle den Nimbus verliehen. Die Zeichnung der Rosetten und Ornamente
in den von Perlreihen eingefaßten Kreisbändern folgt nicht dem persischen Vorbild, sondern
dem hierin höher stehenden heimischen Geschmack. Nach diesen Ornamenten scheint der

0 Gazette des Beaux Arts 1880 I S. 247.

2) Die Tunika mit den drei Zipfeln unterhalb des Gürtels, verbunden mit den enganliegenden Hosen
ist am klarsten dargestellt auf dem Mosaik mit der Anbetung der drei Weisen in S. Apollinare nuovo zu
Ravenna, abgeb. F. X. Kraus, Geschichte der christl. Kunst I S. 432; weitere Beispiele Venturi I fig. 194, 389,
448; aus dem 9. Jahrh. die Darstellung Daniels in der Pariser Handschrift des Gregor v. Nazianz, siehe Bordier,
Description des Manuscr. grecs de la Bibl. Nat. fig. 23.

3) Dafür spricht auch die Wiederkehr des Löwenwürgers auf einem zweifellos unchristlichen arabischen
Stoff" aus Spanien vgl. T. 42, Abb. 187.

') Ein Danielstoff wird zuerst als Geschenk Gregors IV (827—844) im Liber pontificalis, Duchesne II
S. 77 erwähnt: dedit vestem de tireo habentem storiam Danielis, cum periclisin de stauraci.

5) Melanges d'archeol. II T. 18. Die Textilaufnahmen von Cahier und Martin haben sich, obwohl
die ersten ihrer Art, in der Zeichnung als sehr zuverlässig erwiesen. Der Stoff ist heut in Eichstätt nicht
mehr zu finden.

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