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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0183
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Der Glanzzeit des Ortokidenhauses um 1200, als es noch die große und feste Stadt
Amida (Diarbekr) besaß, entstammen der Doppeladlerstoff auf Tafel 36 (Abb. 157) und ein
in Gold und blau gewebtes Fragment kleineren Maßstabs mit gleichem Motiv (Abb. 158),
beide in Berlin. Der Doppeladler erscheint zuerst als Träger einer Gottheit im hohen Alter?
tum auf kleinasiatischen den Hethitern zugeschriebenen Felsenskulpturen Kappadokiens
in zweierlei Form: einmal in Boghasköi freischwebend mit leeren Fängen, das andere Mal
in Eujuk mit Beutetieren in den Klauen.1) Letzteres Motiv wird uns bei den westsarazeni?
sehen Stoffen mehrfach begegnen, das erstere kommt im 12. Jahrh. als Abzeichen islamischer
Fürsten turkmenischen und kurdischen Stammes wiederum in Kappadokien und im Nord?
irak, also nahe der Urheimat des alten Symbols von neuem zum Vorschein. Im Jahr 1186
und weiterhin haben die Zengiden zu Sindschar im Irak, ungefähr gleichzeitig auch die ihnen
verwandten Ortokiden Mahmud (1192-1221) und Maudud (1221-1231) in Kaifa und
Amida den schwebenden Doppeladler ihren Münzen aulgeprägt.2) Mahmud hat ferner im
Jahr 1208 auf zwei Rundtürmen der Stadtmauer von Amida mitten über seiner Bauinschrift
den Doppeladler als sein Wappen oder Herrscherzeichen in monumentaler Form ausmeißeln
lassen (Abb. 159).;!) Aus diesem Gebiet hat sich der zweiköpfige Vogel im Orient weiter
verbreitet: Auf der Burgmauer von Kairo, die Saladin, der Nachfolger des Zengiden Nur?
eddin, errichten ließ, wurde er angebracht4) und im Museum von Konia ist ein Adlerrelief
von einem ehemaligen Stadttor erhalten (Abb. 160), das der Seldschukensultan Kaikobad I
erbaut hatte. Auch silbertauschierte Bronzegefäße aus der Schule von Mossul zeigen, daß
der Doppeladler im nordirakenischen Ornament bis ins späte 13. Jahrh. eine geläufige Dar?
Stellung blieb.5)

Von allen diesen zweiköpfigen Raubvögeln — ob Adler, Geier oder Falken gemeint
sind, bleibt für unseren Zweck ohne Belang — ist das Wappen des Ortokiden Mahmud auf
den Türmen von 1208 in Amida mit dem Halbseidenstoff Abb. 157 stilistisch am engsten
verwandt. Beide Male sind die runden Gehänge unter dem Schnabel, gleich Backentaschen,
besonders betont und die äußeren Schwanzfedern zu den Fängen heraufgebogen. Die acht?
paßförmigen Binnenfelder des Stoffs kommen zwar auch im westsarazenischen Bereich an
vielen Stellen vor, sind aber doch in den irakenischen Mossulbronzen besonders oft zu
finden. Man darf somit den Doppeladlerstoff Abb. 157 unbedenklich als ein im Diarbekr
oder Nordirak für die Ortokiden Mahmud oder Maudud, also zwischen 1192 und 1231 ge?
webtes Erzeugnis ansehen. Für den kleineren Stoff (Abb. 158) könnte auch seldschukische
Arbeit derselben Zeit in Frage kommen, da der Adler mit spitzen Ohren und Fächerschweif
dem Wappenvogel Kaikobads (1219—1237) in Konia sehr nahe steht.

An dieser Stelle ist der Löwenstoff des Passauer Domschatzes einzureihen (Abb. 161),
mit seinen heut geschwärzten, ehemals goldenen und rot umrissenen Tieren auf gelbem
Grund ein wirkungsvolles Stück, wenn nicht ortokidisch, so doch eine mesopotamische Ar?
beit des frühen 13. Jahrhunderts. Mit den Löwen ist im allgemeinen wegen der Häufigkeit
des Motivs stilkritisch nicht viel anzufangen; hier aber bilden die geschwungenen Körper?
linien, der schleichende Schritt, die in den Gelenken weich gerundeten Füße und die vier?
eckigen Köpfe einen besonderen Typus, der den plastischen Löwen auf den Türmen Mah?
muds in Amida") so auffällig ähnelt, daß die Gleichartigkeit zur Herkunftsbestimmung

') Perrot u. Chipiez, Histoire de l'art IV T. 8 und fig. 343.

-) Nützel, Embleme und Wappen auf muhammedanischen Münzen, Berlin 1893, fig. 2 5.
:!) Vgl. M. van Berchem, Amida T. 18 u. 19, auch fig. 37, 40, 41.
') Abgeb. Prisse d'Avennes L'art arabe, Textband S. 164,

5) Sarre, Erzeugnisse islamischer Kunst I nr. 20, fig. 12 u. 13; Jahrbuch 1904, S. 60 fig. 9; St. Lane
Poole, Art of the Saracens in Egypt, fig. 81; Migeon, Manuel fig. 160.
ß) M. van Berchem Amida fig. 38 u. T. 18, 19.

Kalke, Seidenweberei.

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