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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0184
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des Passauer Stoffes wohl verwendbar ist. Der mesopotamischen Weberei ist ferner der
Maastrichter Stoff auf Tafel 37a zuzuweisen, da die von Achtpässen umrahmten ados?
sierten Greifenpaare in den Ornamenten der Mossulbronzen des 13. Jahrh. ihre nächsten
Analogien finden.') Zudem steht die Verbindung arabisierter Palmettenformen mit der
alten persischen Anordnung der Zwickelfüllungen im Einklang mit dem Wesen irake?
nischer Kunst.

Die Kunstweberei des Seldschukenreichs von Rum hat in dem zu einer Kasel ver?
schnittenen Goldbrokat des Lyoner Textilmuseums (Abb. 162) wenigstens ein inschriftlich
beglaubigtes Denkmal hinterlassen. In Gold auf rotem Grund sind in rosettenbesetzten
Kreisen steigende, mit dem Hinterteil verwachsene Löwen dargestellt, von deren Rachen
und eingezogenen Schweifen raumfüllende Arabesken ausgehen. Die Inschrift des Randes
nennt den Sultan Kaikobad, Sohn des Kaikhosrau, kann sich also sowohl auf den berühm?
testen Herrscher von Konia, Kaikobad I (1219—1237), als auch auf dessen weniger nam?
haften Enkel Kaikobad II (1246—1257) beziehen.2) Da der Name Arslan (Löwe) bei den
Fürsten dieses Seldschukenhauses öfter wiederkehrt, hat das Löwrenmuster in diesem Fall
gleich den Doppeladlern vermutlich heraldische Bedeutung. An der Herstellung des Ge?
webes im Lande selbst ist kaum zu zweifeln, da die Inschrift mit dem Namen des Landes?
herrn auf einen für den Hof bedarf arbeitenden Betrieb, eine sogenannte Tirazwerkstatt
deutet. Auch erfreuten sich die Seidenstoffe von Rum — womit freilich in der Regel by?
zantiner Gewebe gemeint sind — in der arabischen Litteratur großen Ansehens und ein zu?
verlässiger Augenzeuge, Marco Polo, berichtet zu Ende des 13. Jahrhunderts, daß die griechisch?
armenische Bevölkerung im Seldschukenreich die besten und schönsten Teppiche der Welt
und vielerlei reiche Seidenstoffe von den schönsten Farben anfertigte.3) Dem Kaikobadstoff
ist ein Seidengewebe anzureihen, das als Futter der Giselakasel, des späteren ungarischen
Krönungsmantels gedient haben soll.4) Die Zwickelarabesken und die Rosettenreihe in den
Kreisbändern stimmen mit dem Kaikobadstoff überein. In den Kreisen stehen je vier Löwen
mit einem gemeinsamen Kopf, ein Motiv, das vereinigt mit den irakenisch?seldschukischen
Doppeladlern das Muster einer verloren gegangenen Kasel aus dem Jahr 1218 bildete, die
Rohault de Fleury5) nach einer alten Zeichnung veröffentlicht hat.

Den Abschluß der irakenisch? kleinasiatischen Gruppe bildet der schön und klar ge?
zeichnete Goldbrokat mit Doppeladlern in Schildfeldern aus dem Apollinarisschrein in Sieg*
bürg (Tafel 38 = Abb. 163). Wenn J. Lessing diesen und den ortokidischen Adlerstoff
(Abb. 157) nach Palermo versetzt hat, so liegt dem die Gedankenverbindung von Doppel?
adlern, Reichswappen und Hohenstaufen zugrunde. Es ist eine offenkundige Tatsache, daß
mesopotamische Stoffe der vorliegenden Gattung, die im Abendland unter ihren Ursprungs?
namen Baldachin oder Baudequin und Mossulin gehandelt wurden, nicht nur die Seiden?
weberei von Italien und Regensburg im 13. Jahrhundert, sondern auch die europäische
Heraldik infolge des vielfältigen Verkehrs der christlichen Ritterschaft mit den Sarazenen in
den Kreuzfahrerstaaten aufs stärkste befruchtet haben. Aber die sizilianischen Hohen?
Staufen, Heinrich VI und Friedrich II, haben den Doppeladler noch nicht geführt; erst im
14. Jahrh. ist er ein Wappenbild deutscher Kaiser geworden. Man braucht keinen Nach?
druck darauf zu legen, daß auf dem Siegburger Stoff die der irakenischen Kunst eigentüm?
liehen Greifenköpfe — mit spitzen Ohren und hängenden Backen — sehr deutlich dargestellt

') Migeon, L'Exposition des Arts musulmans T. 13, Mossulbecken von 1238—1240.
-) Ch. de Linas, Anciens vetements sacerdotaux; eine Aufnahme der Kasel bei Cox, L'art de decorer
les tissus I T. 9.

:i) Francisque Michel I S. 317.

') Bock, Reichskleinodien S. 92. Dreger, Entwicklung T. 95 c.
5) La Messe, VIII T. 605 Text VII S. 170.

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