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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0187
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Einzelstaaten zerfallen, doch unter der Verwaltung eines Volkes und unter den Herrschern
eines Stammes stand, war den Ausstrahlungen der chinesischen Kunst nach Westen der
Weg geebnet, wie nie zuvor. Die Denkmäler sind zu spärlich, um das erste Auftreten, den
Weg und die Ausbreitung des chinesischen Einflusses schrittweis zu verfolgen. Sicher ist,
daß in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Umschwung im islamischen Seidenstil
sich vollzieht oder vollzogen hat, ganz ähnlich dem, den die Gotik gleichzeitig in Italien
herbeiführte. Die Gebundenheit der Musterordnung, das heißt die klare und starke
Flächenteilung durch Kreisfelder, die doch trotz aller Nebenströmungen und Varianten im
hohen Mittelalter vorherrschend blieb, wird gelockert und allmählich aufgelöst. Damit ist
um die Wende des 13. Jahrhunderts die Herrschaft des frühen Seidenstils gebrochen, den
die spätantike Kunst von Alexandria im 6. Jahrhundert geschaffen hatte.

C. Westmuslimische Seidenstoffe.

Die Ornamentik der westislamischen Kunst unterscheidet sich von der ostmuslimi*
sehen in der Hauptsache dadurch, daß sie das Ranken* und Bandwerk der Arabeske und
die geometrischen Polygonalmuster aus eckig gebrochenen und durchsteckten Bändern zu
ihren bevorzugten und wichtigsten Ausdrucksmitteln ausgebildet hat. Demgegenüber
spielen im Osten wie wir gesehen haben die Tierbilder persischer Abkunft auch noch zu
islamischer Zeit die Hauptrolle im Flachornament; als dann die Arabeske etwa im 11. Jahrh.
über Mesopotamien ins iranische Gebiet vordrang, blieb sie doch den figürlichen Elementen
wenigstens während des hohen Mittelalters untergeordnet. Die Ursachen der verschiedenen
Entwicklung sind bekannt genug und brauchen hier nur flüchtig angedeutet zu werden:
Sie liegen in den Vorstufen, von denen die Kunst des Islam im Osten und Westen ausge*
gangen ist. Während in Persien das schon zur Sassanidenzeit spärliche und wenig ge*
pflegte Pflanzenornament weiterhin auf niedriger Stufe stehen blieb, erwuchs die westisla*
mische Ornamentik in Syrien, Ägypten, Nordafrika und Spanien auf dem alten Kulturboden
der hellenistisch?römischen Kunst, die im spätantiken Rankenwerk, in den Bandgeflechten
und geometrischen Bildungen der Pavimente, Mosaiken, Wirkereien und der byzantinischen
und koptischen Baudekoration alle wesentlichen Elemente für die westmuslimischen Zier?
formen darbot.1)

Da die Araber zur Ausführung ihrer künstlerischen Aufgaben neben byzantinischer
Hilfe die vorhandenen Kräfte der unterworfenen Länder, Syrer, Mesopotamier, Kopten heran?
zogen, ging die Umbildung im islamischen Sinn nur langsam vor sich. Die wichtigsten
Etappen auf dem Weg von der antiken Ranke zur Arabeske sind die Palastruine aus Mschatta
in Syrien und die Stuckornamente der Moschee des Achmed ibnTulun in Kairo. Das üppige
Rankenwerk der Schauseite von Mschatta, einer omaijadischen Schöpfung aus der 1. Hälfte
des 8. Jahrhunderts,2) ist in seinen Einzelheiten trotz eingestreuter persicher Motive noch
antikisierend; und in der untektonischen Art, wie die Ranken in dichtem, gleichmäßigen
Relief lückenlos die gegebenen Flächen überspinnen und ausfüllen, verrät sich der Fort-
schritt in der Richtung islamischen Empfindens.

Der Bauschmuck der Tulunmoschee aus den Jahren 876 bis 878, in flachem Stuckrelief
geschnitten, bezeichnet bereits den Beginn der Arabeske, die Wandlung der Pflanzenformen
in mehr lineare, naturfremde Bildungen.3) Auch die polygonalen Bandflechtungen kommen

') Vgl. Riegl, Altorientalische Teppiche, Kap. IV.

-) Herzfeld, Die Genesis der islamischen Kunst und das Mschattaproblem; Zeitschrift „Der 1s*
lam" 1910 I.

:i) Vgl. Riegl, Stilfragen S. 302.

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