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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0191
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von der Kreisranke nach außen abzweigenden Blättchen, freilich eine ziemlich konventio*
nelle Form, in Antinoestoffen zu finden.

Die ersten Seidengewebe rein islamischen Stils hat die Zeit der Herrschaft des arabi?
sehen Fatimidengeschlechts in Ägypten (969—1171) überliefert. Willemin hat einen in S. Denis
gefundenen kleingemusterten Stoff veröffentlicht1), der in kufischer Schrift den Namen des
dritten Kalifen aus dem schiitischen Herrscherhaus, El Hakim bi amr Illah ibn Aziz (996
bis 1021) trägt. Die Fläche ist in Streifen verschiedener Breite geteilt, in denen die In?
schriften mit ornamentalen Mustern wechseln. Den breitesten Streifen füllen Achtecke mit
Hasen und Vögeln. Diese Mustergattung ist dem westsarazenischen Gebiet eigentümlich
geblieben; weder in Persien noch in der spätantiken Weberei sind Vorbilder dafür vor?
handen. In Ägypten sind Varianten aus arabischen Gräbern des hohen Mittelalters mehr?
fach aufgetaucht2) und späterhin bringen die Mamlukenstoffe des 14.Jahrh. die Streifenmuster
mit arabischer Schrift zu Ehren. In den spanischen Arbeiten dieser Richtung3) werden die
schon in Ägypten bescheiden untergeordneten Tierbilder von den polygonalen Bandge?
flechten vollständig verdrängt. Im späten Mittelalter entwickeln sich in Andalusien aus den
gestreiften Schrift? und Flechtmustern die Stoffe des sogenannten Alhambrastils, die nach
der Austreibung der Mauren aus Granada in Marokko bis zur Neuzeit fortgeführt worden
sind (vgl. Tafel 125). Nach einem anderen System, das noch etwas an die spätantiken Wir?
kereien erinnert, sind dieselben ornamentalen Elemente, geometrische Figuren, Schrift und
Tiere auf einem Seidenstoff der Fatimidenzeit vereinigt (Abb. 170), der zu S. Germain de
Pres im Grab des Abts Ingon (*J* 1025) gefunden worden ist.4)

Sehr verschieden von diesen unscheinbaren und kleinlichen Geweben arabischen Stils
sind diejenigen westislamischen Stoffe, für deren Muster persische Vorbilder maßgebend
waren. Die Abmessungen des Rapports wachsen beträchtlich, die Tierbilder großen Maß?
stabes, deutlich vom Grund losgelöst, beherrschen die Wirkung und drängen das ornamen?
tale Beiwerk zurück. Vermutlich ist iranischer und mesopotamischer Einfluß schon unter
den Omaijaden und Abbasiden im Westgebiet wirksam gewesen; doch lassen sich seine
Spuren in der Textilkunst mit dem heutigen Denkmälerbestand nicht über die Fatimiden?
zeit zurückverfolgen.

Das bedeutendste Hauptstück der persischen Stilrichtung ist der berühmte und schon
oft veröffentlichte Chormantel der Kirche S. Etienne zu Chinon (Abb. 171).5) Das gut er?
haltene Gewebe galt früher als Gewand des heiligen Maximus und wurde demgemäß ins
5. Jahrh. versetzt, bis ein am Rand eingewebter arabischer Segensspruch entdeckt wurde.
Auf blauem Grund stehen — in den Farben reihenweis wechselnd, weiß, gelb und grün
mit roten, grünen und gelben Flecken — gegenständige Paare von gefleckten Leoparden,
die an ein palmettenartiges Gebilde angekettet sind. Früher hat man diese Palmette, solange
der Mantel noch für sassanidisch galt, als persischen Feueraltar gedeutet; in Wahrheit ist sie
nichts anderes, als die Krone des grade darunter zwischen den Leoparden dargestellten
Baumstammes, den der Weber vollständig bis oben durchzuführen unterlassen hat. Das
ergibt sich nicht nur aus dem unvermittelten Aufhören des Stämmchens, sondern auch aus
den von der Baumkrone heraus den Leoparden zufliegenden Vögeln. Allerdings ist die ur?
sprüngliche persische Palmettenform verundeutlicht; die vorliegende Umstilisierung verrät
westislamische Arbeit, denn die Baumkrone ähnelt bereits den Palmetten, die uns wenig

'■) Monuments fran^ais inedits I S. 119.

'-') Beispiele in der Berliner Stoffsammlung Inventar 04. 281; 04. 298.
:!) Vgl. Tafel 124c u. Katalog Errera nr. 17—19a.

') Willemin, Monuments I «S. 15; Gay, Glossaire S- 585; Lenoir, Statistique monumentale de Paris I.
5) Farbig in den Melanges d'archeol. III T. 13; Originalaufnahmen bei Molinier u. Marcou, Expo*
sition retrosp. 1900 S. 47 u. Migeon, Manuel fig. 333.

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