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Die Zweckesser. 139

möglich war, denken müssen, weßhalb ich heute über acht Tage
eine neue Versammlung, resp. Festessen, in Antrag bringe,
wobei das Comits sich der angenehmen Pflicht entledigen wird,
über seine Vorarbeiten den Theilnehmenden Rechenschaft abzu-
legen !* Man kann sich denken, mit welchem allgemeinen Ju-
bel, mit welcher nur zu gerechten Zustimmung dieser Antrag
auf ein abermaliges Zweckesien begrüßt wird. Aber auch diesem
zweiten Zweckeflen wird noch ein drittes, ein viertes, fünftes
u. s. f. folgen, da das Comits immer wieder Bericht zu er-
statten oder wohl auch in einzelnen Fällen ein außerordentliches
Zweckeflen anzusangen hat. Und wie nun gar, wenn das Eh-
renstandbild wirklich zu Stande kommt! Man hat mit Recht
darauf aufmerksam gemacht, daß auch die jedesmalige Reinig-
ung einer solchen Bildsäule zu einem Festesten eine sehr geeig-
nete Gelegenheit bieten würde. Welche seine Wendungen, welche
Jdeenaflociationen knüpfen sich nicht in mannigfachster Hinsicht
an das bloße Wort „Reinigung!" Endlich lasten sich die Zweck-
esten noch auf die einfachste Weise in's Unendliche vervielfälti-
gen, wenn jedes neu erfundene Zweckesten in jedem nächsten
Jahre als Erinnerungsfest an dem betreffenden Jahrestage
wiederholt wird. Angenommen: es wären in dem ersten Jahre
nur 12 Zweckesten gefeiert worden, so gibt dies im nächsten
Jahre allein zwölf Erinnerungszweckesten; es werden aber bei
einiger Aufmerksamkeit auf denkwürdige Personen und Ereig-
niste im Laufe des nämlichen Jahres noch zwölf neüc Zweck-
essen hinzukommen; das gibt für das nächste Jahr schon 24
Erinnerungszweckeflen, die man auch wohl Zweck-Zweckesten oder
Zweckeffen-Zwecke nennen könnte, wozu mindestens abermals
zwölf neue Zweckeflen kommen, und so jedes Jahr in einfacher
Progression fort. Es liegt auf der Hand, daß zuletzt kein Tag
ohne Zweckeflen oder Estenszweck verstreichen kann, und die
Theilnehmenden dann mit Recht von sich werden sagen können:
sie hätten nicht umsonst gelebt, denn sie hätten ihr ganzes
Leben durch nie ohne Zweck gegessen und nie etwas ohne Esten
bezweckt.

Da jedes weltgeschichtliche Ereigniß Anspruch darauf hat,
durch ein Erinnerungsmahl gefeiert zu werden, so läßt sich
ohnehin jeder Tag durch ein Zweckesten besetzen. Die Einführ-
ung der Censur oder der Inquisition oder der Hexenprozeste,
die Entdeckung Sibiriens, die Erfindung der Knute oder des
Spießruthenlaufens — alle diese schönen Dinge haben so gut
ihre Verehrer wie die Preßfreiheit, von der wir träumen, wie
von der künftigen deutschen Flotte und noch andern Dingen,
die wir hier nicht nennen können. Außerdem ergreife man jede
vorübergehende Gelegenheit am Schopfe, z. B. einen durchrei-

senden berühmten Virtuosen, die Anwesenheit eines gefeierten
politischen Dichters oder eines modernen Religionsstifters —
denn ohne Zweckesten kann bei uns eine neue Religion nicht
in's Werk gesetzt werden — den Besuch eines spanischen Bild-
hauers oder französischen Malers. In letzterm Falle müssen
alle diejenigen Zweckester requirirt werden, welche sich aus dem
Meidinger oder Mozin einige französische Phrasen gemerkt ha-
ben ; auch ist von der ftanzösischen Höflichkeit zu erwarten, daß
der gefeierte Fremde dem Vortrage eines deutschen Festgedichts,
obschon er davon kein Wort versteht, sein Gehör schenken und
seinen Beifall nicht versagen wird. Er wird während des Vor-
trages gnädigst seinen Köpf schütteln, er wird für die in dem
deutschen Gedichte ausgesprochenen Gesinnungen seinen Dank
ausdrücken, und schließlich äußeni, daß er von dem Gedichte
um so mehr erbaut und gerührt sei, je weniger er davon ver-
stehe. Unter andern wird er vielleicht in seiner Dankrede sagen:
„Meine Herren! Man hat uns häufig die Deutschen als grob,
unhöflich und plump geschildert; nachdem ich jedoch die Deut-
schen in ihrem eigenen Lande kennen gelernt, muß ich diesem
Vorurtheile widersprechen und gestehe mit Frende, daß es kein
höflicheres, den Franzosen geneigteres Volk gibt als das deutsche.
Selbst die wenigen deutschen Vokabeln, die ich mir zum täg- !
lichen Gebrauch auswendig lernte, kam ich anzuwenden in Ver-
legenheit, da ich überall Leuten begegnete, welche ihr Franzö-
sisch sprachen oder wenigstens radebrechten. Wo ich eine Thea-
tervorstellung besuchte, gab man mir aus überzarter Höflichkeit
eine Uebersetzung oder Bearbeitung aus dem Französischen zum
Besten. Auf den Paradetischen der Damen legte man mir zu
Ehren die Oeuvres von Eugen Sue und Georg Sand
aus, man sprach mit mir von Rousseau und Voltaire
statt von Goethe und Schiller."

„Je vornehmer die Cirkel waren, in die man mich auf-
nahm, desto mehr erinnerten mich Meubeln, Kleidung und
Sitte an die Metropole der europäischen Civilisation, an Paris.
In den Schaufenstern der Buch- und Kunstläden erblickte ich
die neuesten Erzeugnisse der französischen Kunst, Literatur und
Musik. So bin ich auf den Gedanken geführt worden, daß
Deutschland eigentlich ein Departement von Frankreich sei, und
wohl darf Frankreich von Deutschland erwarten, daß dieses das
Maaß seiner Höflichkeit vollmachen und uns fürs erste mit der
fteiwilligen Abtretung der Rheingrenze erfteuen werde. Alles
Uebrige bliebe dann uns überlasten. Das höfliche und vorur-
theilslose Volk der Deutschen lebe hoch!"

Der Franzose hat sich jedoch verrechnet; einige nationale
Gerichte trennen uns für immer von Frankreich und werden
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