Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Eine Mainzer Gerichtsscene im März 1847.

39

Zeuge. „Gewiß hat er mir oft geklagt!— die Drosch-
ken haben den Mann ruinirt."

Präs. „Ob Sie hier mit dem Angeklagten ver-
wandt sind?

Zeuge. „Ich? mit dem? Nein Herr Präsident, der Mensch
ist mir nicht bekannt; ich Hab' die Ehre gar nicht zu kennen."

Präs. „Ob Sie verwandt, verschwägert sind?"

Zeuge. „Ob der verschwägert ist? — Weiß nicht? kann's
nicht sagen, Herr Präsident."

Präs. „Mit Ihnen!"

Zeuge. „Mit mir? Gott bewahre!"

Präs. „Sie müssen schwören."

Zeuge. „Das kann ich beschwören, Herr Präsident."

Präs. „Sagen Sie mir nach_

Zeuge (einfallend). „Wer sagt mir dies nach?"

Präs. „Sagen Sie: ich schwöre..."

Zeuge. „Ich beschwöre es, Herr Präsident."

Präs. „Ich schwöre die Wahrheit zu sagen, nichts als
die Wahrheit zu sagen, die reine Wahrheit."

Zeuge. „Ja, das ist die reine Wahrheit, Herr Präsident."

Präs. „So sagen Sie mir dies nach."

Zeuge. „Ich, Ihnen etwas nachsagen? Sie sind ein
Ehrenmann! Wer könnte Ihnen etwas nachsagen!"

Präs, (trocknet sich den Schweiß von der Stirne). „Heben
Sie die Hand auf und sagen Sie: ich schwöre."

Zeuge. „Ich schwöre."

Präs. „Die Wahrheit zu sagen."

Zeuge. „Brauchen sich nicht so anzustrengen, Herr Präsi-
dent, ich hab's schon gehört. Es ist nur manchmal so beim
Westwind."

Präs. „Die Wahrheit zu sagen."

Zeuge. „Die Wahrheit zu sagen."

Präs. „Und nichts als Wahrheit."

Zeuge. „Versteht sich! Warum sollte ich denn lügen,
Herr Präsident! Ich habe noch nie gelogen, nur ein einziges-
mal und das war eine Nothlüge."

Präs. „So sagen Sie uns, was Sie von dem Ange-
klagten wissen. Erzählen Sie uns davon."

Zeuge. „Recht gern will ich Ihnen diese Nothlüge er-
zählen, Herr Präsident. Ich war nemlich."

Präs. „Sie sollen uns sagen, was Sie hier von dem
Angeklagten zu erzählen wisien."

Zeuge. „Ja so! — Aber Herr Präsident, von diesem
Menschen weiß ich gar nichts zu erzählen; ich habe wirklich
die Ehre nicht zu kennen."

Präs. „Sie waren doch damals gegenwärtig, als er
arretirt wurde."

Zeuge. „Ja, das habe ich gesehen, daß er maltraitirt
wurde; das kann ich bezeugen."

Präs. „Wissen Sie auch, warum er arretirt wurde?
Haben Sie nicht gehört, daß er gesungen und was er gesungen
hatte?"

Zeuge. „Nein, Herr Präsident.Sie wissen wohl,

wenn man so an einem Ohr."

Präs. „So werden Sie doch gesehen haben, daß er sich
mit einem Polizeiagenten auf der Straße herumgeschlagen hatte."

Zeuge. „Konnte ohnmöglich etwas davon wahrnehmen,
Herr Präsident, da es grade unter einer Stadtlaterne vorfiel.
Diese werfen ein solch blendendes, helles Licht, daß man ohn-
möglich etwas unterscheiden kann."

Präs. „Angeklagter! wie verhält es sich mit diesem Gesang
und der darauffolgenden Schlägerei? Erzählen Sie es selbst."

Ang ekl. „Ei no, sehn'se, Herr Präsident, ich bin Owends
e bische spät häm gange un Hab gesunge. Do kimmt so vun
dene neue Polizeidiener ähner un fragt mich, ob ich ihm nit
sage kennt wo 's Stadthaus wär.

Sie wiffe doch, Herr Präsident, bei uns wer'n jetzt die
Polizeidiener immer vun d'rüben herüber uffgefüllt — unser Leit
hier kenne se nit brauche, die sein wahrscheinlich zu dumm —
no, do sagt ich ihm, er soll nor mit mir gehe, mir käme grad
an der Muncebaleded vorbei, un fang Widder e Liedche an ze
singe. Do sagt der: deß Lied derft ich nit weiter singe, deß
wär verbotte. Do Hab ich ihn ausgelacht un sing weiter; do
Hot der mir en Stümper gewe, un do Hab ich ihn zwüämol
dervor widdergestumpt, un so is der Disputat angefange. Wie
er dann endlich gesehe Hot, daß ich aag nit uffs Maul gefalle
bin, do Hot er nor in ähm Stick lamendirt: Ach Gott, hette

m'r doch nor schun des nei Gesetz!" —

Präs. „Was habt Ihr für ein Lied gesungen?"

Angekl. „Ich wäß nit mehr so ganz genau; ich glaab,
es war das Lied „Heil dir im Siegeskranz."

Präs. „Das bezweifle ich sehr! Ich glaube eher, es war
das verbotene Lied nach der Melodie: „Der Papst lebt herrlich
in der Welt."

Angekl. „O, Herr Präsident, die hawe all nit schlecht
gelebt!"

Präs. „Nach der Deposition des Polizeiagenten hättet Ihr
dieses Lied gesungen."

Angekl. „Me geht dann die Melodie, Herr Präsident?
Wollte Sie mir sie nit e mol vorpfeife? ich kann mich dann
vielleicht erinnern."

Präs. „Der Polzeiagcnt bei seiner Beeidigung als Zeuge
hatte erklärt, er kenne das verbotene Lied selbst nicht so ganz
genau. weil er noch kurz im Dienst; er glaube aber ganz
bestimmt, daß es dieses Lied gewesen sei. Es fehlen uns dem-
nach die richtigen Beweise und darum sind Sie frei. Aber
hüten Sie sich eines ferneren Vergehens; es wäre leicht mög-
lich , daß Sie ein andermal nicht so gut wie heute durch-
kommen."

Angekl. „Ach, Herr Präsident, Sie mache mir jo ganz
bang. Wann ich nor des Lied kenne ded. Loffe Sie es doch
wenigstens ins Wocheblättche un in die Zeitung abdrucke, daß
m'r aag wäß, was verbotte is."

I. T.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen