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Ein alter Stu hl.

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meine friedliche Bemerkung über den sanften Fluß habe ich
laut gethan und jenes Gelächter gelte ebenfalls mir.

Es wäre nun an mir gewesen zum Oel der Freude im
Gesichte des Kleinen Essig des Aergers zu schwitzen, doch ich
überzeugte mich bald, daß die fortlaufende Unterhaltung an
jenem Tische keinen Theil an der anderen Gesellschaft nahm.
Um so bequemer konnte ich sie beobachten, ich erstaunte über
ihr sonderbares Aenßere. Die zwölf Jünglinge trugen sännnt-
lich braune Hosen, grüne Röcke und gelbe Westen und erin-
nerten mich an die Fahne der Bauern im Bauernkriege, welche
braun, grün. gelb ivar und die Berwandlnngen der Vege-
tation andenten sollte: aus brauner Erde keimt die grüne
Saat zur goldnen Ernte! Ich dachte an die Studenten, welche
die Farben ihrer Verbindungen tragen, nur freilich nicht in
dieser universalen Weise, indem sie sich ans Mütze, Band
und Pfeifenquasten beschränken; und dann störte mich die
braune Farbe! Immer sah ich wieder hin und spann mein
Bild von der Bauernfahne weiter ans; das kurzgeschnittene,
meist flachsgelbe Haar glich den Stoppelfeldern und ihre
weißen Halskragen erinnerten an den alles deckenden Schnee
im Winter; darauf dachte ich an den über die Erde sich
wölbenden blauen Himmel und glaubte schon an blaue Hüte,
denn daß sie den wolkenbedeckten zum Symbol genommen
hätten und graue trügen, konnte ich mir nicht wohl denken;
ich sah mich nicht ohne Neugier um und gewahrte auf dem
alten nnßbanmnen Clavier zwölf blaue Sammtmützen! „'s
sind Studenten," sprach ich für mich —

„Ein alter Stuhl!" tönte es von drüben und der Kleine
versteckte sich hinter seine Zeitung und mich beschlich abermals
meine vorige Verniuthung. Wieder lachten die elf andern und
der zwölfte oder erste erhob sich und sprach feierlich: „der
alte Stuhl soll leben!" „Hoch!" brüllten die elf anderen
dreimal so laut, daß der Kleine seine kleinen Beine bis an
den Bauch in die Höhe zog und wie vor Leibschmerzen sein
Gesicht transversal zerschnitt.

Ich versenkte mich in die dunkle Mystik und Symbolik
des Stndentenlebens und bemühte mich vergeblich, in die ge-
heimnißvollen Worte: „ein alter Stuhl!" irgend eine Be-
deutung zu bringen. Da ich im Geheimnißvollen herum-
wühlte, kam ich in meinen Gedanken auf die Freimaurer
und dachte an den Meister vom Stuhl, ich dachte an den
päpstlichen Stuhl, an den Käiserstuhl bei Reuse und an alle
anderen alten und neuen Stühle; umsonst! Das Räthsel tvard
mir, wie dem Mädchen ein Knänl Garn, beim Entivirren immer
verworrener: ich hätte beinahe den Kleinen um Rath gefragt!

Da vernahm ich den Rainen „Würzburg" von jenem
Tische und da ich dort ebenfalls studirt hatte, so beschloß
ich mit jenen Brann-grün-gelben ins Gespräch zu kommen,
so wie sich nur eine passende Gelegenheit dazu finden tvürde.
Um diese abzuwarten, bestellte ich mir Bier, brannte meine
Meerschaumpfeife an und ries meinen großen Hund, welcher
unterm Ofen schnarchte; ivohl berechnend, daß diese drei Dinge
Jene aufmerksam machen müßten, wenn sie Studenten tvären!

Zeus, so hieß meine Dogge, richtete sich gähnend und mit

Geräusch auf, ivelches mich diesmal freute, denn der Erste
jener unaussprechlich Colvrirten sah zu mir herüber und sagte:

„Darf man ihn angreifen?"

„Er thut nichts!" sagte ich und lechzte schon nach der
Enthüllung des Räthsels vom alten Stuhl.

„Sie sind Studenten, wenn ich fragen darf, meine Herrn?"

„Fuimus!“ sprach der Erste mit der Brille: „ich bin
Candidat der Theologie, jene um mich Versammelten sind
meine Brüder, wir sind Auslvanderer, unser Name ist Holz- i
müllers Erben."

„Holzmüller?" sagte der Kleine überlegend leise und stützte
seine Nase mit dem Zeigefinger der rechten Hand; dann ivieder-
holte er, sich selbst fragend, indem er die Zeitung ans seine
enganliegenden schwarzen Beinkleiversenkte: „Holzmüller?" —

„Holzmüller aus Bamberg," sprach der Candidat mit Pa-
thos und der Kleine erschrak, daß er sich niit der Hand am
Ofen festhalten ivollte; schnell zog er aber dieselbe zurück, da
er sich verbrannt hatte. Indem er die schmerzende ans linke
Ohrläppchen hielt, sprach er, roth vor Scham, Aerger oder Wnth :

„Habe nicht die Ehre zu kennen" und las weiter.

„Sie sollen die Holzmüller kennen lernen," sprach der Can-
didat freundlich und die anderen elf Holzmüller riefen wie
mit einer Stimme: „Erzähle, Bruder!"

Ich winkte freundlich meinen Beifall, da ich bei dieser
Gelegenheit Aufschlüsse über den alten Stuhl zu erhalten
hoffte. Der Kleine legte die Zeitung weg, spitzte die Ohren
und sagte lote halb für sich: „da bin ich doch neugierig, ich
kannte einmal einen gewissen Steinmüller aus Langensalza — "

„Holzmüller aus Bamberg," sagte der Candidat mit Em-
phase, indem er seine Brille abnahm, sie sorgfältig abivischte,
ivieder aufsetzte und dein Kleinen einen Blick mit der Frage
hinivarf:

„Sind der Herr in Langensalza bekannt?"

„Bewahre Gott! nicht im geringsten," sagte der Kleine,
„ich bin ex loco —*

„Ein alter Stuhl!" tönte es von den Braungrüngelben
mit Gelächter herüber.

„O ich bitte ihre Geschichte," sagte ich aufs Aeußerste
gespannt und der Candidat trank und sprach:

„Das Geschlecht der Holzmüller führt diesen Namen seit
den Zeiten der Völkerwanderung; ursprünglich hießen sie nur
„Müller;" seit aber ein Elias Forstmann und Jäger war,
nahm er und seine Nachkommen den Namen Holzmüller
an, nicht ohne Streit mit einer Seitenlinie, welche sich W a l d-
müller und einem Oheim, welcher sich Zapfenniüller
nannte, ob tvegen der Tannenzapfen oder weil er gern trank:
adlmc snb jndice lis est! Unser Vater selig stammte aber
in grader Linie von den Holzmüllern ab, wie wir von ihm."

„O erstaunliche Fruchtbarkeit!" seufzte der Kleine und
borstelte sich auf tvie ein Stacheligel, „ihr Herr Vater hatte
zwölf Söhne?"

„Zwölf Söhne, wie einst Jakob," sprach der Candidat und
da er selbst Jakob Holzmüller hieß, so Pflegte er »ns sehr oft
die Namen derselben zu geben: ich war Rüben; die zwei
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