Fliegende Blätter (136.1912 (Nr. 3467-3492))

Sind) ein Säugling. sv>—

„Häb'n ©’ der 'was 'geben?" — „Fallt mir net ein! Die
unverschämte Person bettelt für ihren Säugling — und hat gar keinen."
— „Wissen S', i' frag' nur, daß f mir nix unterschlagt, mei'
Alte. Der Säugling nämli' bin i', weil i' nur fliissige Nahrung
vertrag'!" _

-njmt . rschuldigen Sie."

Lin neue- Märchen.

ss waren einmal zwei Könige. Der eine vom Norden, der andere vom
Lüden. Die stritten sich und waren böse aufeinander. Aber nicht lange-
Denn im Grunde waren sie desselben Stammes und waren sich gut. Auch

„. . tschuldigen Sie."

jetzt sehnten sie sich nach der Versöhnung. Aber es
ging nicht. Denn jeder sagte: „Ich sänge nicht an.
Das bin ich der würde meines Reiches schuldig."

Nun aber muß beim Gutsein und beint Streiten
einer doch beginnen. Anders geht's nicht für ge-
wöhnlich.

„Für gewöhnlich wohl," sagten die Vermittler,
„aber das hier ist eine ungewöhnliche Sache."

Und sie vereinbarten folgendes: Auf der Grenze
beider Reiche ward ein Saal erbaut. Der stand je
zur bsälftc auf dem Boden beider Länder. Und zwei
Türen hatte er; die lagen einander gegenüber, und
eine jede war genau auf Haaresbreite um zehn
Meter von der Grenze beider Reiche entfernt. Und
ein Glockenschlag wurde vereinbart. Da mußten
beide Könige, der vom Süden und der voin Norden,
genau zur gleichen Sekunde ihre Hand auf die
Klinke legen, Niederdrücken, Tür aufmachen, sich
entgegengehen — eins, zwei, drei, vier... bis zehn,
denn Metcrschritte waren eingeübt —, einander gegen-
überstehen und gleichzeitig sagen: „Entschuldigen Sie,
lieber Nachbarkönig, und sei'n wir wieder gut."

Dann hatten sie sich zu umarmen. Und alles
ivar dann wieder recht. Die genaue Gleichzeitigkeit
des Anfangs der Versöhnung, wo die beiden auf
die Klinke drückten, und des Endes der Versöhnung,
wo sie sich umarmten, sollte mit dem Sternwart-
chronometer festgestellt werden. Darüber ward ein
völkerrechtlicher Präliminarstaatsvertrag abgeschlossen
zwischen den Vermittlern hüben und drüben.

Und als der Versöhnungstag herankam, ging
alles wie am Schnürchen: Die Türen gingen auf
zu gleicher Zeit, die Könige gingen mit abgezirkelten
Theaterschritten aufeinander zu, entschuldigten sich,
umarmten sich genau auf der Grenze ihrer Reiche,
Kanonen dröhnten, Glocken läuteten — cs war
eine Freude in den beiden Ländern. Und die
Lhronometer stellten fest, daß Anfang und daß
Ende der Versöhnung ganz genau zur gleichen Zeit
erfolgten.

Und der König vom Süden ging ganz fröhlich
wieder heim.

Der König voin Norden aber noch fröhlicher.
Und er sagte zum Kanzler: „Den Hab' ich fein
hereingelegt!"

„wie das, Majestät?" fragte der Kanzler.

„Ganz einfach, er hat laut und deutlich angc-
fangen mit .Entschuldigen Sie . .

„Aber Majestät doch auch?" schaltete der Kanz-
ler ein.

„Nein, mein Lieber, bei seiner ersten Silbe
schwieg ich still und sagte dann erst mit ihm weiter
,. . tschuldigen Sie . . .* und so hat der and're doch
zuerst begonnen."

Fritz INüller-Zürich.