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194

Die Wahrheit, gn

dj," sagte der Fürst zu feinem Mbermagier, „Du weißt
gar nicht, wie mich nach Wahrheit dürstet! Nichts auf
der Welt scheint mir köstlicher als sie. Leider auch
nichts seltener. Ich fürchte sehr, daß fast alles, was mich umgibt,
Lüge ist — Lüge aus Ehrerbietung, Lüge aus Gewinnsucht, Lüge
aus Furcht, ja, sogar Lüge aus Liebe... ich wollte, ich könnte
meine Getreuen einmal auf die Probe der Wahrhaftigkeit
stellen!" — „Freilich", fügte der gütige Herrscher hinzu, „dürfte
die Probe für sie nicht zu hart sein und mir nicht zu schwer
fallen l"

Nebuzius, der Bbermagier, schmunzelte und zog einen Ring
hervor. — „Herr," sagte er, „wenn es Dir Vergnügen macht —
dieser Ring gewährt Dir die Probe" . . .

„Dieser Ring?" entgegnete der Fürst erstaunt. „Lin einfacher
Goldreif?"

„Lin einfacher Goldreif!" bestätigte Nebuzius. „Der aber
eine geheimnisvolle Macht besitzt I"

„welche Macht?"

„Die Macht des Flohstichs, Herr!"

„wie?" rief der Fürst lachend. „Die Macht des Flohstichs?
was soll das heißen?"

„Wenn Du diesen Ring an den Finger steckst", antwortete
der Magier, „und Du reibst ihn leise mit der Hand und siehst
dabei eine bestimmte Person an, so wird sie die Empfindung
haben, von einein Floh gestochen zu werden!"

„Und das soll eine Probe der Wahrhaftigkeit sein? Ich
verstehe nicht!" sagte der Fürst.

„Du wirst verstehen, Herr!" entgegnete Nebuzius, verneigte
sich lächelnd und ging.

. . . Bei der Mittagstafel, als das Gespräch im vollen Gange
war, siel dem Fürsten plötzlich der Ring ein.

Gleich kam ihm auch die Lust zur Probe. Lr blickte seinen
Geheimkämmerer an und rieb leise mit dem Finger an deni Reif.
Der ernste Großwürdenträger, der eben noch seinen mächtigen Bart
feierlich gestrichen und der Rede des Kriegsobersten gelauscht hatte,
zuckte jäh zusammen und rückte unruhig in dem geschnitzten Stuhle
hin und her. Verwundert und leise lächelnd sah der Fürst die
rasche Wirkung des Talismans. „Lieber Kanzler," sagte er freund-
lich, „warum bist Du plötzlich so unruhig geworden? Mas stört
Dich in Deinem Behagen?"

„Herr!" entgegnete der Alte ohne Zaudern. „Mir fiel eben
ein, daß ein Gesandter unseres mächtigen Nachbarreiches mich zu
dieser Stunde mit wichtigen Dokumenten erwartet — gestatte, daß
ich des allgemeinen Wohles wegen zu ihm eile!"

„Warte noch ein wenig!" sagte der Fürst enttäuscht, rieb
unter dem Tisch heftig an deni Ring und ergötzte sich an den
Grimassen anscheinender Ungeduld, die der Geheimkämmerer schnitt.
„Das soll die Strafe sein für Deine Unwahrhaftigkeit I" dachte er
und entließ ihn dann.

Nach einiger Zeit sah er auf den Kriegsobersten, den Helden
ohne Furcht, von dem er sicher die Wahrheit hoffte. Lr rieb an
dem Ring. Jäh zuckte jener zusammen. „Lieber Marschall," fragte
der Fürst, „was denkst Du eben?"

„Ich....," antwortete der Kriegsoberst mit unterdrücktem
Grimm, „ich, Herr.... ich denke an einen schlimmen bissigen
Feind..."

„An welchen Feind denn?" fragte der Fürst aufmunternd.

Da schluckte der General. „An den Feind in den Bergen!"
entgegnete er.

„Ach so!" meinte der Fürst enttäuscht und rieb den Ring
insgeheim so stark, daß der Marschall einen roten Kopf bekam
und mit den Beinen zappelte.

Nach einiger Zeit blickte er den Hofpoctcn an. „In der
Dichtkunst ist Wahrheit I" dachte er. Da zuckte der lorbeergekrönte
Sänger auch schon zusammen.

„Lieber Meister,", fragte der Fürst, „wie geht es Dir? Fühlst
Du Dich wohl? Bist Du ganz in jener ruhigen, über alles Irdische
erhabenen Stimmung, die man an den Dichtern preist? Schmerzt
Dich nichts?"

„Nichts schmerzt mich!" preßte der Dichter mühsam heraus,
schnitt ein klägliches Gesicht und versuchte, sich heimlich zu kratzen,
so daß der Fürst beinahe laut aufgelacht hätte. Aber der Ärger
über die Enttäuschung hinderte ihn daran.

. . .Wie er es auch ansing. . . überall der gleiche Mißerfolg.
Nirgends die offene, bittere Wahrheit.

Da fiel fein Blick plötzlich auf den Bbermagier, der sich ver-
gnüglich an einen: gebratenen Fasan erlabte, während seine
Tischnachbarin Fräulein Laurettchen von Hakennase ihn: schmach-
tende Blicke zuwarf. Und der Fürst rieb an den: Ring.

Nebuzius sah auf und blickte erstaunt nach seinem Herrn.
Aber sein Erstaunen verwandelte sich rasch in Verblüffung —
Ärger — Mut. Lr schnaufte und schien eine Verwünschung zu
unterdrücken.

„Lieber Bbermagier," sagte der Fürst milde, „was hast Du
denn? Warum legst Du die Gabel weg und ißt nicht mehr —
war der Fasan nicht gut zubereitet?"

„BI B!" murmelte Nebuzius.

„Nun?" fragte der Fürst... „Laß es Dir doch schmecken!"

Der Magier schoß ihm einen versteckten giftigen Blick zu und
schluckte ein großes Stück Fleisch hinunter.

„Herr," seufzte Fräulein von Hakennase verschämt „ich glaube,
er unterdrückt mühsam ein süßes Geheimnis I"

Dabei rückte sie näher an Nebuzius cheran, so daß dieser ent-
setzt und zugleich von nagender Pein gequält aufsprang, wobei
es ihm herausfuhr: „Euer Floh beißt mich — das ist die
Wahrheit!"

Das Fräulein siel niit einem Schreckensruf in Dhnmacht und
die Schar der Gäste stob entsetzt und empört aus den, Saal.

Nur der Fürst und der Bbermagier.blieben.

„Nun," meinte dieser, „ist mein Mittel nicht gut, Herr . . und
bin nicht ich der einzige, der die Wahrheit gesagt hat?"

„BI" antwortete der Fürst lächelnd und gab ihm den Ring.
„Auch Du hast es nicht aus Liebe zu ihr, sondern nur in unbe-
dachtsamer Hitze getan. Ich habe genug von dieser Probe!"

„Übrigens," fügte er ein wenig boshaft, um den Bbermagier
zu ärgern, bei, „ich werde Dir gleichwohl die Hand des Fräuleins
Laurettchen von Hakennase geben müssen — es ist ja doch Dein
innigster geheimer Herzenswunsch — ich bin davon felsenfest
überzeugt. .. ."

„Warte, Du wahrheitsdurstiger Lügenschelm I" dachte Nebuzius,
blickte seinen Herrn an und rieb den Ring mit Ungestüm.

„Hör'auf! Hör'auf!" schrie da der Fürst, sich heftig juckend,
„Du Sappermenter! Ich bin ja gar nicht überzeugt davon..
Du kriegst sie nicht .. ." Wilhelm herbe,,.

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