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301

Mäuse im ©I>erteil.

„Wie kann ich denn?" ruf' ich empört, „Du hast sie ja doch
selber eingenäht."

Nun ward sie munter, meine Frau. Wir steckten Licht an
und berieten. Ejm, was war zu tun? Ls blieb nichts andres
übrig, als den kunstvoll aufgenähten Flecken wieder abzutrennen.

„Also trenn' den Flecken wieder ab", sage ich zu meiner Frau.

Aber sie wollte nicht. Das sei meine Sache, sagte sie. Und
es sei ja auch mein ©berbett. Und es sei genug, daß sie den
Flecken ausgenäht hätte. Und nun wolle sie auch einmal Zusehen,
wie ich mich plage.

Und dann sah sie zu. Dom Tische oben aus natürlich. Der
besseren Sehkraft wegen nämlich. Und ich muß sagen, daß es
mir selbst ein wenig kribblig war unter den Händen, und daß es
aussah, als ob meine Hände mit der Schere ein wenig zitterten
dabei.

Das käme von der Flackrigkeit des Kerzenlichtes, erklärte ich
meiner Frau, die auf dem Tische saß. Denn ich sehe nicht ein,
warum ein Kerzenlicht nicht meine Finger zittern lassen kann,
wenn andrerseits die Sehkraft meiner Frau mit dem ©uadrat
der Tischhöhe zuzunehmen pflegte. Das sehe ich wirklich nicht
ein. ...

Na, und dann war der Flecken aufgetrennt und der Weg
frei für die Maus im ©berbett. Und wir beide, meine Frau
oben auf dem Tische und ich unten auf einem Stuhle, saßen bei
dem flackernden Kerzenscheine vor dem ©berbette und sahen un-
outwegt auf das dreieckige Loch, aus deni das Mäuslein in die
Freiheit schlüpfen sollte, damit wir wieder schlafen konnten.

Ls vergingen zehn Minuten ■— das Mäuslein kam nicht.

Wir singen an zu frieren, meine Frau und ich, und hüllten
»ns in Decken.

Dann war es eine halbe Stunde, und noch immer kam kein
'liäuslein. Hypnotisch starrten unsere Augen auf die Ausfalls-
pforte. Nichts rührte sich.

Wir wurden schläfrig. Aber wieder einzunicken, wagten wir
^och nicht. Da ward ich zornig.

„Wenn das Luder 'rauskommt," sagte ich, „so schlag' ich's
tot'\ und holte einen alten Holzschuh. Meine Frau erschauerte.

„Zähl' einmal bis hundert," sagte sie, „bis dahin kommt sie."

Ich zählte bis hundert. Die ersten fünfzig zählte ich rasch
herunter. Dann immer langsamer. Von neunzig an dehnte
ich die Silben — „drei—und—neun—zig, vier—und—neun—
zi—i—i—g..." — um dem Mäuschen eine letzte Chance zu
geben. Aber nichts kam.

„Jetzt zähl' einmal bis dreihundert," sagte ineine Frau, „dann
kommt sie sicher; weißt Du, drei ist eine gute Zahl."

And ich zählte bis zu der guten Zahl dreihundert. Aber die
Maus kam nicht.

„Wenn Du jetzt bis tausend zählst," sagte meine Frau,
„tausend ist so eine runde Zahl, weißt Du. . ."

„Ich glaube," unterbrach ich sie, „die Maus ist gar nicht
mehr drin."

„Meinst Du?" sagte meine Frau neugierig und streckte mit
unendlicher Vorsicht die rechte große Zehe vom Tisch herunter auf
das ©berbett zu. Auf einmal raschelte es wieder. So schnell
habe ich nie wieder eine große Zehe von unten nach oben gehen
sehen. . .

„Jetzt kommt sie — jetzt", rief ich zuversichilich und schwang
den alten Holzschuh, während meine Frau schrie.

And wirklich — es rumorte weiter unter meinem ©berbette.
Feine Wellen sah ich auf der ©berfläche meines Bettes laufen,
dahin, dorthin — schließlich in der Richtung nach denr Dreiecks-
loche — es bauschte sich darunter —• feine weiße Federchen wir-
belten herauf — und jetzt — atemlos hob ich den alten Holz-
schuh ■— ein ■ spitzbübisches kleines Mausgesichtlein sah schwarz
zwischen den weißen Federn in die ©berwelt — sah die Flacker-
kerze — sah vier Augen, die vor Erregung glänzten — sah den
hocherhobenen Holzpantoffel und — wuxpdimupp — weg war
sie wieder, eingewühlt zu unterst in dem Federflaume meines
schönen ©berbettes.

„So I" rief ich empört, „jetzt drück' ich sie im ©berbett ein-
fach tot 1"

„Mann I Am Gottes willen!" sagte meine Frau, „Du willst
doch nicht ini Ernst ein lebendes Wesen in Deinem Bett ersticken!"

„Ach was," sagte ich, „hat doch sogar die Desdemona auch
ihr Leben unter den Federn eines Kiffens — "

„Barbar, Du wärest also auch imstande, eine Frau —!"

„3 wo," sagte ich, „eine Frau — wer spricht von einer
Frau? Eine Maus, eine freche Maus will ich nur — "

„Und könntest Du je wieder unter einem ©berbette schlafen,"
unterbrach mich meine Frau, „in welchem Du ein Leben hinge-
mordet hast — ich frage Dich, könntest Du das?"

„Nein," sagte ich in Gottes Namen, um mein Gemüt zu retten,
„nein, das könnte ich nicht. Aber was wollen wir jetzt tun?
Eben hat es eins geschlagen. —"

„Weißt Du, zähle doch bis tausend," sagte meine Frau, „Du
wirst sehen — diesmal, wenn wir — wenn Du das ©berbett in
die Ecke dort hinter legst, so daß die Maus uns nicht sehen
kann, wenn sie herauskommt — und wenn Du Deinen fürchter-
lichen Holzpantoffel wegtust, dieses Mordwerkzeug. . ."

Also zog ich langsam das ©berbett in die Ecke. Also legte
ich den Holzpantoffel weg. Also zählte ich bis tausend. And als
ich bei neunhundertsiebenundneunzig angekommen war, sprang die
Maus heraus und war verschwunden. Triumphierend sah mich
meine Frau an.

Das war um halb zwei. So gegen zwei schlief ich wieder
tief und ruhig unter meinem ©berbette mit dem Loche, plötzlich
kam der Traum mit dem Nudelteig und dem gezackten Rädchen
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mäuse im Oberbett"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Storch, Carl
Entstehungsdatum
um 1912
Entstehungsdatum (normiert)
1907 - 1917
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 136.1912, Nr. 3491, S. 301

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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