Feindes Silvester.
&$$ls war ein Feind. <£r hatte nur einen Lohn; der war ver-
wundet worden und in Gefangenschaft geraten. Einsam
saß der Vater in der Silvesternacht und dachte an sein Kind und
bangte darum.
Da öffnete sich die Türe und es trat jemand herein.
„Mas wollen Sie hier?!" sagte er leise, aus seinen Träumen
auffahrend, mit Erstaunen und Unmut. „Warum kommen Sie da
so unangemeldet herein?"
Von dem Kinde, das eingetreten war, floß ein Heller Schimmer
durch den Raum. Mit ruhiger ernster Stimme sprach es: „Ich
bin das junge Jahr — ich möchte Dir etwas sagen und ich
möchte Dir auch etwas zeigen!"
„Ejinausl" rief er und fuhr auf. „Ich kann die Silvester-
maskerade und die Neujahrsbettelei nicht leiden!" Und seine
Stimme zitterte vor Zorn.
„Erst rede ich!" sagte das leuchtende Wesen und trat Schritt
für Schritt näher. „Nimm an, ich fei Dein Gewissen, das am
Grenzstein zweier Jahre die Sprache fand, und höre: Völker
aushungern, vernichten, zerschmettern wollen, das war Euer Ziel
die zwölf Monde her! Ging doch Euer Übermut schon so weit,
daß eine starke Nation unter Euch in ihrem reichen Wortschatz
nicht einmal mehr einen ehrlichen anständigen Namen für ein
ganzes großes Volk finden zu können glaubte, sondern cs nur
noch mit einem Schimpf bezeichnen wollte und mit dem frevelnden
Schmähwort auch schon das bferz und das Gedächtnis der eigenen
Kinder vergiftete" ....
„Doch ich will jetzt nur von Dir selber reden!" sagte das
junge Jahr und stand vor ihm — und er sank vor dem Blick in
den bequemen Lehnstuhl und seine Augen hingen mit einer selt-
samen schaudernden Neugier an den Lippen, von denen langsam
und ruhig Mort für Wort kam und in seine Seele schnitt.
„Mit Dir will ich reden!" wiederholte es. „Mit Dir, der
Du nichts unterlassen hast, Deine eigenen Landsleute und alle im
Ringe Eurer verbündeten und die anderen umher aufzupeitschcn
und zu erhitzen wider Eure Gegner I ,Sic mißhandeln ihre Ge-
fangenen !‘ hast Du gesagt und dadurch bewirkt, daß man bei Euch
selbst Tausende von Fremden — unschuldige Frauen und Kinder —
gequält, gepeinigt, bsungcr und Durst hat leiden lassen. ,Sie sorgen
nicht für die feindlichen verwundeten!' — ,Sie töten sie!' hast Du
gelogen und dadurch den lhaß und die Erbitterung geschürt von
Stunde zu Stunde, von Tag z» Tag, von Monat zu Monat, von
Jahr zu Jahr! Nun komm' und sieh'!"
Der einsame Mann ivollte sich sträuben. Aber es hatte leise
und doch mit unwiderstehlicher Gewalt seine ksand ergriffen —
und er fühlte plötzlich, wie Sitz und Boden und 6aus unter ihm
schwanden und er von einer unsichtbaren Macht dahingctragen
wurde durch die sternenklare Nacht über Lande und Berge nnd
Ströme hinein in das Reich des Feindes, das mit ruhigen Tälern
und friedlichen Städten unter ihm hinglitt, als wäre kein Krieg.
Und in einer solchen Stadt berührten sie die Erde, und sein kleiner
Begleiter führte ihn ungesehen zwischen den Häusern hin, wo die
Menschen ernst, in Wehmut und Kraft, mit vertrauen und Zu-
versicht die Feier der Nenjahrsstunde begingen. Wohl rann gar
manche bitt're Träne und manch' heißer Wunsch und Seufzer flog
hinaus zu denen draußen im Felde, auch manch' stilles Gebet zu
einem einsamen Heldengrab.
vor einem Fenster hielten sie an. Der Fremdling preßte die
Stirne an die Scheiben und sah, von einer erschütternden Ahnung
gepackt, in das Zimmer. Ls mar ein Spital, in dem verwundete
gepflegt wurden. Sie lagen in dem sauberen Zimmer auf blen-
dendem Linnen und der Arzt und die Schwester gingen von -Bett
zu Bett und sorgten für sie. Und aus dem Kissen, an das sie
eben jetzt hcrantraten, sah er ein blasses Gesicht und erkannte
den ruhigen Schläfer, der da wohlig in treuer Hut lag, und
er nahm wahr, wie sich der Arzt und die Schwester sorgend
über ihn beugten und wie der Kranke erwachte und lächelnd in
das Gesicht der treuen Retter sah und ihnen mit heißem Dank
die Hand drückte. . . .
Es war sein Kind. . . .
Schon saß er wieder im Lehnstuhl und in der neuesten Zeitung,
noch feucht von Druckerschwärze, glänzten vor ihm in Riescn-
buchstaben die Worte: „Greuel der Barbaren." . . .
Heiß schlug's da in sein Gesicht. War's Scham, war's
Reue? . . . Laßt uns sehen!
Milhelm Herbert.
Die verliebte Köchin.
„Der neue Kaminkehrer ist bis über die Ohren in mich ver-
liebt! . . . Als ich ihm heilte begegnete — wurde er feuerrot!"
S n m in arisch.
„Nun, was macht denn Ihr neues Dienstmädchen, Frau Rat'?"
„O, du lieber Gott! Sie schlägt das Geschirr zusammen nnd
ich die Hände!" ___
&$$ls war ein Feind. <£r hatte nur einen Lohn; der war ver-
wundet worden und in Gefangenschaft geraten. Einsam
saß der Vater in der Silvesternacht und dachte an sein Kind und
bangte darum.
Da öffnete sich die Türe und es trat jemand herein.
„Mas wollen Sie hier?!" sagte er leise, aus seinen Träumen
auffahrend, mit Erstaunen und Unmut. „Warum kommen Sie da
so unangemeldet herein?"
Von dem Kinde, das eingetreten war, floß ein Heller Schimmer
durch den Raum. Mit ruhiger ernster Stimme sprach es: „Ich
bin das junge Jahr — ich möchte Dir etwas sagen und ich
möchte Dir auch etwas zeigen!"
„Ejinausl" rief er und fuhr auf. „Ich kann die Silvester-
maskerade und die Neujahrsbettelei nicht leiden!" Und seine
Stimme zitterte vor Zorn.
„Erst rede ich!" sagte das leuchtende Wesen und trat Schritt
für Schritt näher. „Nimm an, ich fei Dein Gewissen, das am
Grenzstein zweier Jahre die Sprache fand, und höre: Völker
aushungern, vernichten, zerschmettern wollen, das war Euer Ziel
die zwölf Monde her! Ging doch Euer Übermut schon so weit,
daß eine starke Nation unter Euch in ihrem reichen Wortschatz
nicht einmal mehr einen ehrlichen anständigen Namen für ein
ganzes großes Volk finden zu können glaubte, sondern cs nur
noch mit einem Schimpf bezeichnen wollte und mit dem frevelnden
Schmähwort auch schon das bferz und das Gedächtnis der eigenen
Kinder vergiftete" ....
„Doch ich will jetzt nur von Dir selber reden!" sagte das
junge Jahr und stand vor ihm — und er sank vor dem Blick in
den bequemen Lehnstuhl und seine Augen hingen mit einer selt-
samen schaudernden Neugier an den Lippen, von denen langsam
und ruhig Mort für Wort kam und in seine Seele schnitt.
„Mit Dir will ich reden!" wiederholte es. „Mit Dir, der
Du nichts unterlassen hast, Deine eigenen Landsleute und alle im
Ringe Eurer verbündeten und die anderen umher aufzupeitschcn
und zu erhitzen wider Eure Gegner I ,Sic mißhandeln ihre Ge-
fangenen !‘ hast Du gesagt und dadurch bewirkt, daß man bei Euch
selbst Tausende von Fremden — unschuldige Frauen und Kinder —
gequält, gepeinigt, bsungcr und Durst hat leiden lassen. ,Sie sorgen
nicht für die feindlichen verwundeten!' — ,Sie töten sie!' hast Du
gelogen und dadurch den lhaß und die Erbitterung geschürt von
Stunde zu Stunde, von Tag z» Tag, von Monat zu Monat, von
Jahr zu Jahr! Nun komm' und sieh'!"
Der einsame Mann ivollte sich sträuben. Aber es hatte leise
und doch mit unwiderstehlicher Gewalt seine ksand ergriffen —
und er fühlte plötzlich, wie Sitz und Boden und 6aus unter ihm
schwanden und er von einer unsichtbaren Macht dahingctragen
wurde durch die sternenklare Nacht über Lande und Berge nnd
Ströme hinein in das Reich des Feindes, das mit ruhigen Tälern
und friedlichen Städten unter ihm hinglitt, als wäre kein Krieg.
Und in einer solchen Stadt berührten sie die Erde, und sein kleiner
Begleiter führte ihn ungesehen zwischen den Häusern hin, wo die
Menschen ernst, in Wehmut und Kraft, mit vertrauen und Zu-
versicht die Feier der Nenjahrsstunde begingen. Wohl rann gar
manche bitt're Träne und manch' heißer Wunsch und Seufzer flog
hinaus zu denen draußen im Felde, auch manch' stilles Gebet zu
einem einsamen Heldengrab.
vor einem Fenster hielten sie an. Der Fremdling preßte die
Stirne an die Scheiben und sah, von einer erschütternden Ahnung
gepackt, in das Zimmer. Ls mar ein Spital, in dem verwundete
gepflegt wurden. Sie lagen in dem sauberen Zimmer auf blen-
dendem Linnen und der Arzt und die Schwester gingen von -Bett
zu Bett und sorgten für sie. Und aus dem Kissen, an das sie
eben jetzt hcrantraten, sah er ein blasses Gesicht und erkannte
den ruhigen Schläfer, der da wohlig in treuer Hut lag, und
er nahm wahr, wie sich der Arzt und die Schwester sorgend
über ihn beugten und wie der Kranke erwachte und lächelnd in
das Gesicht der treuen Retter sah und ihnen mit heißem Dank
die Hand drückte. . . .
Es war sein Kind. . . .
Schon saß er wieder im Lehnstuhl und in der neuesten Zeitung,
noch feucht von Druckerschwärze, glänzten vor ihm in Riescn-
buchstaben die Worte: „Greuel der Barbaren." . . .
Heiß schlug's da in sein Gesicht. War's Scham, war's
Reue? . . . Laßt uns sehen!
Milhelm Herbert.
Die verliebte Köchin.
„Der neue Kaminkehrer ist bis über die Ohren in mich ver-
liebt! . . . Als ich ihm heilte begegnete — wurde er feuerrot!"
S n m in arisch.
„Nun, was macht denn Ihr neues Dienstmädchen, Frau Rat'?"
„O, du lieber Gott! Sie schlägt das Geschirr zusammen nnd
ich die Hände!" ___
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die verliebte Köchin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1915 - 1915
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 144.1916, Nr. 3675, S. 5
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg