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Das Scherenfernrohr im Theater.
G'rad' wie daheim
^'raö' wie daheim, und doch im Fein-
desland:
Ein kleines Häuschen an des Baches
Aanü.
Rotgold'ner Wein rankt schimmernd sich
empor -
Wie in der Heimat, die ich doch verlor.
G'rad' wie daheim, und doch im Fein-
desland:
Wie freut's mein Her;, daß ich dies
Äleinod fand.
Hatt' ich im Äampfgetümmel niemals
Zeit,
Hier faßt mich rechte Heimatsseligkeit.
Schon scharrt mein Roß — bald muß
ich weiter;ieh'n:
Die letzten Rosen sind schon am Ver-
blüh'».
Im Sattel sitzend, wink' ich mit der
Hand,
G'rad' wie daheim — und doch im
Feindesland.
W. Hacker.
—Der Herr Vcrrcr.
^^alkulator Schneewasser verbringt die meiste Zeit im Bett;
denn er hat die Gicht oder vielmehr — sie hat ihn. Lr
^ ^ speist auch im Bett, da seine geschwollenen Knie, Zehen,
Ellenbogen, Hände dann stets in warme Lappen eingewickelt
bleiben müssen.
Lines Tages, während man gerade bei der Suppe ist, läutet
es. Der Kalkulator fragt das Dienstmädchen sofort, wie sie herein-
koinmt, neugierig, wer da gewesen. „Lin Mann hat zu Ihnen
wollen I" anwortet Kathi. „Aber ich Hab' ihm gesagt, die Herr-
schaft ist beim Lssen und da kann ich niemand hereinlassen!" —
„Ja, haben Sie ihn denn nicht einmal nach seinem Namen
gefragt?!" grollt der Hausherr ärgerlich, weil er bei seiner
Langeweile Besuch sehr gern hat. — „Ich Hab' ihn nicht ge-
fragt!" entgegnet sie brummig. „Lr ist noch nie da gewesen.
Schön war er aber gar nicht. Rote Lockenhaar' hat er gehabt,
einen breiten Mund und, soviel ich bemerkt Hab', hinkt er mit
dem linken Fuß!"
„Das war niemand anderer" — seufzt da Herr Schneewasser
erfreut und zugleich voll Verzweiflung — „als unser Vetter
Langbein! Aber warum haben Sie ihn denn nicht herein-
gelassen oder wenigstens zuerst gefragt, eh' Sic so selbständig
gehandelt haben?! Natürlich hinkt er von seinem Fußschuß her!"
— „Lr hätt' doch ganz gut noch mitessen können — so weit
hätt's alleweil noch gereicht!" setzt die Frau Kalkulator bei. —
„G'rad'" — sagt die Kathi — „weil er so verhungert aus-
geschaut hat, Hab' ich mir ihn nicht hereinzulasscn getraut!" —
„Ich vcrbitt' mir" — schimpft Herr Schneewasser — „daß Sie
in einem solchen Ton von meinem Vetter spreche», verstanden? I
Wenn man verwundet ist, kann man nicht so pausbackig und
geschwollen ausschäuen wie Sie, Sie unvernünftiges Ding!" —
„Aber regen 5’ Ihnen doch nicht so auf wegen dem Menschen!"
antwortet sie eiskalt. — „Dein Mc n schen! Dem Menschen!
Ich geb' Ihnen gleich einen .Menschen'!" fährt er grimmig fort
und jammert dann wieder: „Wer weiß, ob ich ihn noch einmal
ini Leben seh'! And g'rad' der Vetter war mir immer der
liebste von allen vettern I Gewiß hat er einen Lrholungsurlaub.
War er denn nicht feldgrau?!" — „Nein!" sagt sie. „Ich Hab'
nichts bemerkt!" — „Siehst Du, Ulrike" — ruft Herr Schnee-
wasser — „das ist wieder echt Langbeinisch: Um ja nicht etwa
aufzufallen, geht er aus lauter Bescheidenheit in Zivil! Und
den kann man nicht h e r e in l a sse n ! I" — „ L r kommt ja
morgen früh wieder!" brummt da die Kathi und geht
hinaus. — „Aber warum haben Sie denn das nicht gleich
gesagt?!" ruft Schneewasser mit einer Stimme, die beinahe wie
ein Jauchzen klingt.
.... Am nächsten Morgen liegt der Herr Kalkulator wohl-
gcbettet in frischem Linnen auf den schönsten gestickten Kopf-
kissen mit den weißen Damastbczügen, die immer für besondere
Gäste aufgehoben werden, aber fast nie zur Verwendung kommen,
weil man bei der gebotenen Sparsamkeit selten einen Logierbesuch
hat. Heut' aber ist das 'was anderes. Geradezu heransgc-
putzt hat ihn seine Frau. Sich selber aber hat sie darüber auch
nicht vergessen, sondern ein neues Spitzenhäubchen für den Besuch
gekauft und auf den leicht ergrauten Scheitel gesetzt. Sie kennt
Zwar den Vetter bis jetzt nur dem Namen nach. Aber sie ver-
ehrt ihn wegen seiner Wissenschaft und ist stolz darauf, nun dem
Das Scherenfernrohr im Theater.
G'rad' wie daheim
^'raö' wie daheim, und doch im Fein-
desland:
Ein kleines Häuschen an des Baches
Aanü.
Rotgold'ner Wein rankt schimmernd sich
empor -
Wie in der Heimat, die ich doch verlor.
G'rad' wie daheim, und doch im Fein-
desland:
Wie freut's mein Her;, daß ich dies
Äleinod fand.
Hatt' ich im Äampfgetümmel niemals
Zeit,
Hier faßt mich rechte Heimatsseligkeit.
Schon scharrt mein Roß — bald muß
ich weiter;ieh'n:
Die letzten Rosen sind schon am Ver-
blüh'».
Im Sattel sitzend, wink' ich mit der
Hand,
G'rad' wie daheim — und doch im
Feindesland.
W. Hacker.
—Der Herr Vcrrcr.
^^alkulator Schneewasser verbringt die meiste Zeit im Bett;
denn er hat die Gicht oder vielmehr — sie hat ihn. Lr
^ ^ speist auch im Bett, da seine geschwollenen Knie, Zehen,
Ellenbogen, Hände dann stets in warme Lappen eingewickelt
bleiben müssen.
Lines Tages, während man gerade bei der Suppe ist, läutet
es. Der Kalkulator fragt das Dienstmädchen sofort, wie sie herein-
koinmt, neugierig, wer da gewesen. „Lin Mann hat zu Ihnen
wollen I" anwortet Kathi. „Aber ich Hab' ihm gesagt, die Herr-
schaft ist beim Lssen und da kann ich niemand hereinlassen!" —
„Ja, haben Sie ihn denn nicht einmal nach seinem Namen
gefragt?!" grollt der Hausherr ärgerlich, weil er bei seiner
Langeweile Besuch sehr gern hat. — „Ich Hab' ihn nicht ge-
fragt!" entgegnet sie brummig. „Lr ist noch nie da gewesen.
Schön war er aber gar nicht. Rote Lockenhaar' hat er gehabt,
einen breiten Mund und, soviel ich bemerkt Hab', hinkt er mit
dem linken Fuß!"
„Das war niemand anderer" — seufzt da Herr Schneewasser
erfreut und zugleich voll Verzweiflung — „als unser Vetter
Langbein! Aber warum haben Sie ihn denn nicht herein-
gelassen oder wenigstens zuerst gefragt, eh' Sic so selbständig
gehandelt haben?! Natürlich hinkt er von seinem Fußschuß her!"
— „Lr hätt' doch ganz gut noch mitessen können — so weit
hätt's alleweil noch gereicht!" setzt die Frau Kalkulator bei. —
„G'rad'" — sagt die Kathi — „weil er so verhungert aus-
geschaut hat, Hab' ich mir ihn nicht hereinzulasscn getraut!" —
„Ich vcrbitt' mir" — schimpft Herr Schneewasser — „daß Sie
in einem solchen Ton von meinem Vetter spreche», verstanden? I
Wenn man verwundet ist, kann man nicht so pausbackig und
geschwollen ausschäuen wie Sie, Sie unvernünftiges Ding!" —
„Aber regen 5’ Ihnen doch nicht so auf wegen dem Menschen!"
antwortet sie eiskalt. — „Dein Mc n schen! Dem Menschen!
Ich geb' Ihnen gleich einen .Menschen'!" fährt er grimmig fort
und jammert dann wieder: „Wer weiß, ob ich ihn noch einmal
ini Leben seh'! And g'rad' der Vetter war mir immer der
liebste von allen vettern I Gewiß hat er einen Lrholungsurlaub.
War er denn nicht feldgrau?!" — „Nein!" sagt sie. „Ich Hab'
nichts bemerkt!" — „Siehst Du, Ulrike" — ruft Herr Schnee-
wasser — „das ist wieder echt Langbeinisch: Um ja nicht etwa
aufzufallen, geht er aus lauter Bescheidenheit in Zivil! Und
den kann man nicht h e r e in l a sse n ! I" — „ L r kommt ja
morgen früh wieder!" brummt da die Kathi und geht
hinaus. — „Aber warum haben Sie denn das nicht gleich
gesagt?!" ruft Schneewasser mit einer Stimme, die beinahe wie
ein Jauchzen klingt.
.... Am nächsten Morgen liegt der Herr Kalkulator wohl-
gcbettet in frischem Linnen auf den schönsten gestickten Kopf-
kissen mit den weißen Damastbczügen, die immer für besondere
Gäste aufgehoben werden, aber fast nie zur Verwendung kommen,
weil man bei der gebotenen Sparsamkeit selten einen Logierbesuch
hat. Heut' aber ist das 'was anderes. Geradezu heransgc-
putzt hat ihn seine Frau. Sich selber aber hat sie darüber auch
nicht vergessen, sondern ein neues Spitzenhäubchen für den Besuch
gekauft und auf den leicht ergrauten Scheitel gesetzt. Sie kennt
Zwar den Vetter bis jetzt nur dem Namen nach. Aber sie ver-
ehrt ihn wegen seiner Wissenschaft und ist stolz darauf, nun dem
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Scherenfernrohr im Theater"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1916
Entstehungsdatum (normiert)
1911 - 1921
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 144.1916, Nr. 3693, S. 224
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg