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2llce Lieder. -A

'^^>n einem Dachstüberl wohnte ein ITtmni, der deshalb dem
blauen Fimmel, den wandernden Wolken und den zwitschern-
den Schwalben bedeutend näher stand als viele andere.
Rein Wunder also, daß er dichtete. Zeine Gedanken und Träume
formten sich von selbst zu Liedern. Wenn er abends an seinem
Fenster saß und hinausschaute aus die vergoldeten Giebel, zu den
im untergehenden Rot glimmenden Turmscheiben — und der ferne
Rlang der Straße und der Laut der Menschen flog mit Weh und
Lust gedämpft zu ihm empor, dann sah er hundertfältige Bilder
und vernahm tausendfache, den anderen verschlossene Stimmen
und all das Geschaute und Gehörte wuchs in ihm zu Reimen
auf, die er mühelos und spielend, einem inneren Drang gehorsam,
zu Papier brachte.

Seine Liedersammlung wuchs und schwoll so immer mehr an,
ohne daß er je darangedacht hätte, außer der Befriedigung, die ihm
das Dichten gab, weiter damit zu wirtschaften. Seine Freude war
ihm Gewinn genug. Tr suchte keinen Verleger und fand darum
auch keinen — er las seine Lieder niemandem vor — ja, wenn
er sie einmal niedergeschrieben, kümmerte er sich selbst nicht weiter
um sie; denn seine Muse gab ihm stets wieder neue Gedanken
und Verse, über denen er die alten schnell vergaß.

Einmal aber wandelte doch auch ihn die ewige Dichterschn-
sucht an, den anderen Menschen mitzuteilen, was er gefühlt, was
ihn bewegt, was er in Reime gebracht hatte. Tr war indes jetzt
sehr verlegen darum, wie er das anstellen sollte, weil er in seiner
Dichtereinsamkeit nie darangedacht, sich anderen Menschen zu
nähern, die er nun hätte Herbeirusen und mit seinen Liedern ver-
traut machen können. Die neue, vorher nicht gekannte Sehnsucht
aber ließ ihm von da an keine Ruhe mehr und er begann gegen
seine sonstige Art und Gewohnheit darüber nachzugrübeln, wie
er die Rinder seiner Muse unter die Leute bringen könnte.

Da sah er eines Tages, als er sich über die Dachrinne hin-
unterbeugte, ein ungewohntes lebhaftes Treiben in der sonst
stillen Gasse und vor seinem Sause. Tin großer Brückenwagen
hielt unten. Die Pferde wurden von munteren Feldgrauen ge-
lenkt. Frische Wehrkrastjungen gingen emsig daran, aus allen
Säufern päcke und Ballen, Risten und Rörbe mit Papier aller
Größen und Sorten herbeizuschlexpcn und auf den Wagen zn
schichte», wobei hin und wieder der mutwillige Wind, der eben
herrschte, dazwischensuhr und die aufgestapelten Vorräte bunt
und lustig durcheinanderwirbelte. „Altpapier-Woche" stand mit
großen Buchstaben an den Wagenseiten. Die Menschen in der
Straße wurden nicht müde, aus Zimmern und Schränken, von
Rellern und Speichern immer neue Lasten heranzuschleppcn und sie
den Sammelnden darznreichcn, die mit vergnügtem „vergelt's Gott!"
dankten, weil so die ungenützten Papierreste zu neuem Leben ge-
führt und für die Allgemeinheit fruchtbar gemacht werden sollten.

Tinen Augenblick sah der Dichter suchend in seinem engen
leeren Dachstüberl um. Tr fand aber nichts, was auch er hätte
beisteuern können. And doch wollte gerade er geben und immer
wieder geben; denn Geben und Scbcnkcn ist ja der Dichter heißeste
Leidenschaft von jeher gewesen; opfern sie doch willig ihr bestes,
zn Liedern gewordenes Serzblut mit Freuden der Menschheit hin.

plötzlich fiel sein Blick auf den Schrank, in dem die seit
Jahren anfgespeicherten und zu einem mächtigen Stoß angewach-
lenen Lieder lagen. Ts wurde ihm heiß und froh ums Scrz.
3m nächsten lut hatte er mit beiden Sänden den ganzen Reichtum
gefaßt und eilte damit nach der Türe. Tinen Moment nur be-
sann er sich noch, ob er bei dem winde nicht besser eine Schnur

Herumbinden und dadurch dem Ganzen festeren palt geben sollte.
Dann aber taten ihm seine Lieder leid, daß sic, die in der
Freiheit geboren waren, nun, da sie in's Leben hinaustraten,
plötzlich gefesselt werden sollten — und er trug sic frei, wie
sie waren, hinunter und übergab sie mit einem letzten liebevollen
Blick und einem stillen Aufseufzen den Jungen, die sic ans den
Wagen ansgossen.

Dann eilte er wieder in sein Dachstüberl hinauf und beugte
sich weit vor, um den stillen Genossen seiner Jahre ein letztes
Lebewohl zuzuwinken.

Da aber geschah ein Wunder, das sein perz mit lautem
Jubel erfüllte. Der Wind, der die Sehnsucht des Dichters und
seiner annoch stummen Lieder wohl verstanden, unter die Leute
zu kommen und ihnen ihr Weh und Glück in's perz zn gießen,
faßte in fröhlichem Spenderjubel die leichten Blätter und wirbelte
sie in die Luft, mitten unter die Menschen hinein und hoch über
die Dächer weg in die Fenster, lind der Dichter droben sah mit
froher Andacht, wie plötzlich sein sehnlichster Traum in Erfüllung
ging: Tin still und versonnen einherschrcitcndcs Mägdlein hielt
mit einemmal ein glühendes Liebeslied in pänden, das der glück-
lich Errötenden das verschwiegene Geheimnis des eigenen perzcns
enthüllte — dem in's Feld ausziehenden Rricger trug der letzte
peimathanch ein kraftvolles Soldatenlied vor die Füße — auf den
Schoß eines Rranken, der träumend am Fenster saß, wehte der
wind Verse voll poffnnng und Lenzzuversicht — dem Türmer
oben sang ein übcr's Geländer wirbelndes Blatt von der Sehn-
sucht derer drunten nach dem Frieden und de» Sternen. . . und
jeder und jede dankte mit stillem Augenleuchten dem unbekannten
Spender. Der Dichter aber fühlte sein pcrz und seine Angen übcr-
quellcn vor Freude und Glück: Seine Lieder, seine still entstan-
denen, st»»»» gebliebenen und doch der ganzen Menschheit gehören-
den Lieder waren mit einemmal ihrer Bestimmung teilhaftig ge-
worden: Schneller, als er gedacht und geahnt, waren sie unter die
Menschen gekommeil...

—--S- N efl cx i o ». •©-—

„Alaledetti Aiistriaclii! Da kommen diese Barbari in unsere
schöne Vaterland und Cadorna abcn »iiS dock, vor einem Jahr vcr-
sprokcn: Frühstück in Görz, Mittagessen in Graz und ,;» Abend
speisen in Wien."
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Reflexion"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Verschlagwortung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1916
Entstehungsdatum (normiert)
1911 - 1921
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Weltkrieg <1914-1918>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 144.1916, Nr. 3701, S. 326
 
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