D E R * F R Ü H L I N G
HOLZSCHNITT VON HERMANN VIRL
Frühlingsfreude
Von Gerva MenVelssobn-Schalri-7
Die ersten Krokusse blühten im Vorgarten,- eine Amsel
sang vom Giebel des Vachbarhauses, Herr Meyer befand
sich in der besten Stimmung, als er mit feiner Vachmittags-
zigarrc wieder in die Stadt ging. Auf halbem Wege kam
ihm sein Vachbar Müller entgegen. „Hallo, Herr Meyer,
es wird Frühling. Man vergißt alle Aktien und Preise.
Ich habe für heute Schluß gemacht!"' — — „Ja, ich sehe
es, und Sie haben sogar einen herrlichen Blumenstrauß
im Arm. Man wird wieder jung im Frühling. Süße
Abenteuer, was? Für welchen Vühnenstern wohl diese
zarten Blumen blühen?"-„Vckn, Herr Meyer, Spaß
beiseite, diesen Blumenstrauß schenk' ich meiner Frau - "
„Ihrer Frau? Blumen? Kann man das denn auch, seiner
Frau Blumen schenken?"-„Zawohl, Herr Meyer, und
das ist sogar ganz besonders nett. Wir vergessen ja viel
zu leicht, daß unsere Frauen im Grunde doch noch kleine
Mädchen sind, die sich wie Kinder über jede Freundlicbkcit
freuen,- deshalb schenke ich meiner Frau immer gerne Blu-
men. Besonders im Frühling. Es ist wirklich sehr hübsch.
Versuchen Sie es nur selbst einmal,- Sie werden Ihre
helle Freude erleben."
Im nächjten Blumenladen bestellt Herr Meyer einen
großen Strauß Tulpen. „Ja, bitte, es soll ein schöner,
großer Strauß werden,- vier Dutzend sagen Sie? na
meinetwegen, oder sagen wir dreieinhalb, es darf wirklich
was kosten,- es ist doch nur einmal Frühling im Jahr, und
dieser Strauß soll eine süße Überraschung sein. Also bitte,
um halb sieben muß der Strauß fertig sein,- ich hole ibn
selbst ab."
Kurz vor sieben wandert Herr Meyer mit seinem großen
Blumenstrauß durch die Abenddämmerung nach Hause. Alte
Erinnerungen steigen in ihm auf,- er summt ein Liedchen
vor sich hin, wie damals vor zwanzig fahren. Auf den
Zehenspitzen schleicht er in das Haus, niemand hört ihn,
leise öffnet er die Tür zum Zimmer seiner Frau und legt
ihr von hinten mit einem zarten Kuß auf dir Stirn den
Strauß in den Schoß.
Sie bricht in Tränen aus: „Ach, welch ein Tag! Die
Köchin hat gekündigt, Bubi hat seinen neuen Mantel total
zerrissen, die schöne chinesische Vase ist kaputt gegangen, und
jetzt kommst Du noch betrunken nach Hause!"
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HOLZSCHNITT VON HERMANN VIRL
Frühlingsfreude
Von Gerva MenVelssobn-Schalri-7
Die ersten Krokusse blühten im Vorgarten,- eine Amsel
sang vom Giebel des Vachbarhauses, Herr Meyer befand
sich in der besten Stimmung, als er mit feiner Vachmittags-
zigarrc wieder in die Stadt ging. Auf halbem Wege kam
ihm sein Vachbar Müller entgegen. „Hallo, Herr Meyer,
es wird Frühling. Man vergißt alle Aktien und Preise.
Ich habe für heute Schluß gemacht!"' — — „Ja, ich sehe
es, und Sie haben sogar einen herrlichen Blumenstrauß
im Arm. Man wird wieder jung im Frühling. Süße
Abenteuer, was? Für welchen Vühnenstern wohl diese
zarten Blumen blühen?"-„Vckn, Herr Meyer, Spaß
beiseite, diesen Blumenstrauß schenk' ich meiner Frau - "
„Ihrer Frau? Blumen? Kann man das denn auch, seiner
Frau Blumen schenken?"-„Zawohl, Herr Meyer, und
das ist sogar ganz besonders nett. Wir vergessen ja viel
zu leicht, daß unsere Frauen im Grunde doch noch kleine
Mädchen sind, die sich wie Kinder über jede Freundlicbkcit
freuen,- deshalb schenke ich meiner Frau immer gerne Blu-
men. Besonders im Frühling. Es ist wirklich sehr hübsch.
Versuchen Sie es nur selbst einmal,- Sie werden Ihre
helle Freude erleben."
Im nächjten Blumenladen bestellt Herr Meyer einen
großen Strauß Tulpen. „Ja, bitte, es soll ein schöner,
großer Strauß werden,- vier Dutzend sagen Sie? na
meinetwegen, oder sagen wir dreieinhalb, es darf wirklich
was kosten,- es ist doch nur einmal Frühling im Jahr, und
dieser Strauß soll eine süße Überraschung sein. Also bitte,
um halb sieben muß der Strauß fertig sein,- ich hole ibn
selbst ab."
Kurz vor sieben wandert Herr Meyer mit seinem großen
Blumenstrauß durch die Abenddämmerung nach Hause. Alte
Erinnerungen steigen in ihm auf,- er summt ein Liedchen
vor sich hin, wie damals vor zwanzig fahren. Auf den
Zehenspitzen schleicht er in das Haus, niemand hört ihn,
leise öffnet er die Tür zum Zimmer seiner Frau und legt
ihr von hinten mit einem zarten Kuß auf dir Stirn den
Strauß in den Schoß.
Sie bricht in Tränen aus: „Ach, welch ein Tag! Die
Köchin hat gekündigt, Bubi hat seinen neuen Mantel total
zerrissen, die schöne chinesische Vase ist kaputt gegangen, und
jetzt kommst Du noch betrunken nach Hause!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Frühling"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 160.1924, Nr. 4110, S. 186
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg