St. Urbans Kellerhals.
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— Halt, sagte der Krämer und hielt ihn am Arme fest;
halt, Michel, so lasse ich Euch nicht von mir gehen. Der Herr
Pfarrer hat gut sprechen, aber er hilft Euch doch nicht wieder
zu Eurem Weinberg, und was den Sankt Urban betrifft, so
schwatzt Ihr im Schlaf; der existirt ja gar nicht oder nur bei
Träumern, die er mit einem Schluck Wendewein aus dem
Morgenschlafe weckt. Aber ich will Euch etwas sagen: ich weiß
ein Mittel, daß Ihr Euren Weinberg wieder gewinnen könnt
und zwar noch diese Nacht. Freilich weiß davon weder der
Herr Pfarrer, noch der Sankt Urban etwas.
— So! — ei das wäre der Rede noch einmal wcrth, sagte
Michel und sperrte Mund und Nase auf.
— Ja, aber Ihr müßt mir einen Gefalle» thun, Michel;
ein Dienst ist des andern werth.
— Gut, was ve langt Ihr; umsonst ist der Tod.
— Und nicht einmal der, guter Michel. Seht, ich bin ein
Krämer, der allerlei Raritäten sammelt; nun habe ich eine be-
sondere Freude an allerlei Zähnen; wenn Ihr mir einen Zahn
gebt, verhelfe ich Euch zu Eurem Weinberg und geb' Euch noch
gern ein Dutzend Goldfüchse in den Kauf. Ihr habt einen
schönen Mund voll Zähne und einen könnt Ihr wohl missen.
Das ist ein kurioser Handel, dachte Michel, und kratzte sich
hinter den Ohren.
— Ich ziehe Euch den Zahn ohne Schmerz heraus, fuhr
der Krämer fort, ohne auf Michels Verlegenheit Rücksicht zu
nehmen. Meine Großmutter hat einen Zahnarzt im Ouartier
gehabt und von diesem das Zahnausziehen gelernt; sic hat mich
darin unterwiesen und es geht vortrefflich; es hat noch keiner
über Schmerz geklagt. Nun? ist Euer Weinberg keinen Zahn
werth? Mit diesen Worten zog der Krämer eine Zange aus
der Tasche und näherte sich einer steinernen Bank, welche am
Wege stand. Der Vollmond kam hinter dem Gewölk hervor
und beschieu die Bank hell. Der Krämer aber zog die Börse
und legte auf die Bank zwölf neue funkelnde doppelte Louisdor,
und sprach zum Michel, der noch unschlüflig dastand: — nun?
seht einmal, ich halte Wort. Setzt Euch, ich nehme den hinter-
sten Backzahn, das sieht kein Mensch.
Dem Michel stachen die Goldstücke ganz sonderbar in die
Augen; er setzte sich und der Krämer zog ihm den Zahn schmerz-
los aus.
Aber um Lebens- und Sterbenswillen müßt Ihr quit-
tiren, sagte der Krämer, das ist nur Gerichtsform; damit nahm
er eine Rabenfeder, tauchte. sie in ein an der Wurzel des Zahnes
hängendes Tröpfchen Blut und ließ dem Michel eine Quittung
unterschreiben.
— So! jetzt geht hinein in das Wirthshaus, wahrscheinlich
sitzen noch Alle dort; dann sagt Ihr: Mein Weinberg ist ver-
spielt, aber die Pfühle gehören nicht dazu, ich will um die
Pfähle würfeln. Behaltet dabei die Goldstücke in der linken
Westentasche, und eßt nichts und trinkt nichts, dann spielt Ihr
glücklich und gewinnt Euren Weinberg wieder. Die Dublonen
sind Euch jedenfalls im Spiel eine gute Reserve. Nun Glück auf!
— Obs wahr ist oder nicht, ich wills probiren; der Zahn
ist immerhin das Dutzend Goldstücke werth, sagte Michel, indem
er das Geld einsteckte.
— Wenns nicht geht, so ersetz' ich Euch den Weinberg,
sagte der Krämer. Und wenn Ihr sonst etwas braucht, so steh
ich zu Diensten.
— Wie heißt Ihr denn eigentlich und wo wohnet Ihr?
— Ich bin immer auf dem Wege und mein Name thut
eigentlich nichts zur Sache. Wenn Ihr aber am Hahnwald bei
Böhmisreute nach dem Butzli fragt, so kann man Euch meine
Wohnung weisen. Gute Nacht.
Trunkene Freude im Herzen, aber nicht ohne ängstliche Be-
sorgniß, ging Michel rasch dem Dorfe zu. Einen Augenblick
hielt er still und besann sich; er war vom Glanze des Goldes
ganz geblendet worden. Um einen Zahn? fragte er sich, da
steckt etwas Böses dahinter, was kann der Krämer mit dem
Zahn wollen? So ein wohlfeiler Handel ist ein böser Handel
— und er dachte zurückzulaufen und dem Mann sein Geld
wiederzugcben. Was stand wohl auf der Quittung? Ich habe
sie nicht gelesen, sagte er bei sich selbst, und lief zurück, was er
konnte. Aber der Krämer war nirgends zu finden; er rief, ver-
gebens. Endlich dachte er, er ist eben ein wunderlicher Kauz
und kennt noch andere solche Raritätensammler, die cs ihm dop-
pelt und dreifach bezahlen; dann zog er die Goldstücke aus der
Tasche, sah sie lange an und steckte sie mit den Worten ein:
Mein seid ihr und ich will euch schon kommandiren. Vorwärts!
rief er sich zu und ging ins Dorf.
Die Sache ging, wie es der Krämer vorhcrgesagt hatte;
Michel setzte die Pfähle und gewann nach und nach seine ganze
Habe wieder.
Nachdem Michel sein Gut wieder gewonnen hatte, ging er nach
Hause und achtete weder auf die erst dringlichen dann spöttischen
Aufmunterungen seines Mitspielers, der ihn zum Fortsctzen des
Würsclns anreizen wollte.
— Wir sind quitt, sagte er. Gute Nacht.
— Kommt Ihr morgen Abend wieder? fragte der Fremde.
— Weiß nicht. Vielleicht.
— Wenn Euch das Kreuzerlcin nicht reut, spottete jener.
Michel schlug die Thüre zu und ging nach Hause.
Als er gegen sein Haus kam, sah er zu seinem Erstaunen
Licht in seiner Stube, denn es war schon spät und konnte jeden
Augenblick Mitternacht schlagen. Er trat ein. Da quoll ihm
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— Halt, sagte der Krämer und hielt ihn am Arme fest;
halt, Michel, so lasse ich Euch nicht von mir gehen. Der Herr
Pfarrer hat gut sprechen, aber er hilft Euch doch nicht wieder
zu Eurem Weinberg, und was den Sankt Urban betrifft, so
schwatzt Ihr im Schlaf; der existirt ja gar nicht oder nur bei
Träumern, die er mit einem Schluck Wendewein aus dem
Morgenschlafe weckt. Aber ich will Euch etwas sagen: ich weiß
ein Mittel, daß Ihr Euren Weinberg wieder gewinnen könnt
und zwar noch diese Nacht. Freilich weiß davon weder der
Herr Pfarrer, noch der Sankt Urban etwas.
— So! — ei das wäre der Rede noch einmal wcrth, sagte
Michel und sperrte Mund und Nase auf.
— Ja, aber Ihr müßt mir einen Gefalle» thun, Michel;
ein Dienst ist des andern werth.
— Gut, was ve langt Ihr; umsonst ist der Tod.
— Und nicht einmal der, guter Michel. Seht, ich bin ein
Krämer, der allerlei Raritäten sammelt; nun habe ich eine be-
sondere Freude an allerlei Zähnen; wenn Ihr mir einen Zahn
gebt, verhelfe ich Euch zu Eurem Weinberg und geb' Euch noch
gern ein Dutzend Goldfüchse in den Kauf. Ihr habt einen
schönen Mund voll Zähne und einen könnt Ihr wohl missen.
Das ist ein kurioser Handel, dachte Michel, und kratzte sich
hinter den Ohren.
— Ich ziehe Euch den Zahn ohne Schmerz heraus, fuhr
der Krämer fort, ohne auf Michels Verlegenheit Rücksicht zu
nehmen. Meine Großmutter hat einen Zahnarzt im Ouartier
gehabt und von diesem das Zahnausziehen gelernt; sic hat mich
darin unterwiesen und es geht vortrefflich; es hat noch keiner
über Schmerz geklagt. Nun? ist Euer Weinberg keinen Zahn
werth? Mit diesen Worten zog der Krämer eine Zange aus
der Tasche und näherte sich einer steinernen Bank, welche am
Wege stand. Der Vollmond kam hinter dem Gewölk hervor
und beschieu die Bank hell. Der Krämer aber zog die Börse
und legte auf die Bank zwölf neue funkelnde doppelte Louisdor,
und sprach zum Michel, der noch unschlüflig dastand: — nun?
seht einmal, ich halte Wort. Setzt Euch, ich nehme den hinter-
sten Backzahn, das sieht kein Mensch.
Dem Michel stachen die Goldstücke ganz sonderbar in die
Augen; er setzte sich und der Krämer zog ihm den Zahn schmerz-
los aus.
Aber um Lebens- und Sterbenswillen müßt Ihr quit-
tiren, sagte der Krämer, das ist nur Gerichtsform; damit nahm
er eine Rabenfeder, tauchte. sie in ein an der Wurzel des Zahnes
hängendes Tröpfchen Blut und ließ dem Michel eine Quittung
unterschreiben.
— So! jetzt geht hinein in das Wirthshaus, wahrscheinlich
sitzen noch Alle dort; dann sagt Ihr: Mein Weinberg ist ver-
spielt, aber die Pfühle gehören nicht dazu, ich will um die
Pfähle würfeln. Behaltet dabei die Goldstücke in der linken
Westentasche, und eßt nichts und trinkt nichts, dann spielt Ihr
glücklich und gewinnt Euren Weinberg wieder. Die Dublonen
sind Euch jedenfalls im Spiel eine gute Reserve. Nun Glück auf!
— Obs wahr ist oder nicht, ich wills probiren; der Zahn
ist immerhin das Dutzend Goldstücke werth, sagte Michel, indem
er das Geld einsteckte.
— Wenns nicht geht, so ersetz' ich Euch den Weinberg,
sagte der Krämer. Und wenn Ihr sonst etwas braucht, so steh
ich zu Diensten.
— Wie heißt Ihr denn eigentlich und wo wohnet Ihr?
— Ich bin immer auf dem Wege und mein Name thut
eigentlich nichts zur Sache. Wenn Ihr aber am Hahnwald bei
Böhmisreute nach dem Butzli fragt, so kann man Euch meine
Wohnung weisen. Gute Nacht.
Trunkene Freude im Herzen, aber nicht ohne ängstliche Be-
sorgniß, ging Michel rasch dem Dorfe zu. Einen Augenblick
hielt er still und besann sich; er war vom Glanze des Goldes
ganz geblendet worden. Um einen Zahn? fragte er sich, da
steckt etwas Böses dahinter, was kann der Krämer mit dem
Zahn wollen? So ein wohlfeiler Handel ist ein böser Handel
— und er dachte zurückzulaufen und dem Mann sein Geld
wiederzugcben. Was stand wohl auf der Quittung? Ich habe
sie nicht gelesen, sagte er bei sich selbst, und lief zurück, was er
konnte. Aber der Krämer war nirgends zu finden; er rief, ver-
gebens. Endlich dachte er, er ist eben ein wunderlicher Kauz
und kennt noch andere solche Raritätensammler, die cs ihm dop-
pelt und dreifach bezahlen; dann zog er die Goldstücke aus der
Tasche, sah sie lange an und steckte sie mit den Worten ein:
Mein seid ihr und ich will euch schon kommandiren. Vorwärts!
rief er sich zu und ging ins Dorf.
Die Sache ging, wie es der Krämer vorhcrgesagt hatte;
Michel setzte die Pfähle und gewann nach und nach seine ganze
Habe wieder.
Nachdem Michel sein Gut wieder gewonnen hatte, ging er nach
Hause und achtete weder auf die erst dringlichen dann spöttischen
Aufmunterungen seines Mitspielers, der ihn zum Fortsctzen des
Würsclns anreizen wollte.
— Wir sind quitt, sagte er. Gute Nacht.
— Kommt Ihr morgen Abend wieder? fragte der Fremde.
— Weiß nicht. Vielleicht.
— Wenn Euch das Kreuzerlcin nicht reut, spottete jener.
Michel schlug die Thüre zu und ging nach Hause.
Als er gegen sein Haus kam, sah er zu seinem Erstaunen
Licht in seiner Stube, denn es war schon spät und konnte jeden
Augenblick Mitternacht schlagen. Er trat ein. Da quoll ihm
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"St. Urbans Kellerhals."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
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Public Domain Mark 1.0
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Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 44, S. 155
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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