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St. Urbans Kellerhals.
Und hast du dich als Mann erprobt
Wenn Tod und Weh dich hat umtobt,
Zum Süßen dann vom Herben!
Mit meinem Gast dann stoß ich an,
Gr soll Sankt Urbans Lohn empsahn
Und wird spät in Ehren sterben.
Michel war ganz starr vor Kälte und Schrecken, denn das
Klopfen und Küfern im einsamen Berge hatte ihm unheimlich
bang gemacht. Der Gesang aber hatte eine so wehmüthige
und doch herzliche Weise, daß er sich tief dadurch erschüttert
. fühlte. Nachdem der Gesang aufgehört hatte und der letzte
Widerhall desselben verhallt war, trat eine Todtenstille ein,
Michel faßte sich ein Her;. Das ist doch Niemand anders ge-
ivesen, dachte er, als der hellige Urbanus; ich will ihm rufen,
: er kann mir vielleicht in meinen Nöthen helfen, denn er ist ein
mächtiger Heiliger. Nicht sobald war dieser Entschluß gefaßt,
als den Michel wieder eine tödtliche Angst befiel. Er betete
; und nahm sich zusammen. Heiliger UrbanuS, komm! rief er
endlich, und wiederholte diesen Ruf dreimal.
Da erhellte sich das Innere der steinernen Hütte und strahlte
i jenen goldig grünen Schimmer aus, wie ivenn die Abendsonne
! durch Redenblütter scheint. Mitten in diesem lieblichen Lichte
stand aber der heilige Urbanus in der Gestalt eines alten Mannes.
; Er trug über ein blaues Wamms ein ledernes Goller, wie es
j die Weingartner zu haben pflegen, hatte lange leinene Bein-
I kleider an, ein Küferschurzfell um den Leib gebunden und auf
! dem Rücken eine große Butte. In der rechten Hand hielt er
einen goldenen Kelch und in der linken einen Karst; ein langer
; weißer Bart wallte von seinem ehrwürdigen Gesichte herab, ein
paar wohlwollende blaue Augen sahen mit väterlicher Milde
1 unter der sonnverbrannten Stirn hervor, und das über die Hälfte
! kahle Haupt war mir einem schwarzen ledernen Käpplein bedeckt,
! an dessen Rand ein frischer Kranz von Traubenlaub griinte.
— Was wist du von mir, Michel Stolz? fragte Urbanus
! mit derselben ivohlklingendcn Stimme, ivelche das Lied gesungen
; halte, und deren Klang Trost und Murh einflößte.
— Hilf mir, heiliger Urbanus! erwiderte Michel und beugte
l das Gesicht zu Boden.
— Tu hast dein Gut im sündlichen Spie! verloren, erwi-
; dcrte Urban. Arbeite und du wirst dir es ivieder verdienen.
Das wollte dem Michel nicht einleuchtcn, und er dachte: den
I Rath hätte ich mir allenfalls selber geben können; er antwor-
! tetc nicht.
— Arbeit bringt Segen, fuhr Urban nach einer Pause fort;
vertraue mir, Sohn, und ich will die Frucht deiner Arbeit
herrlich machen. Steh auf und nimm diesen Labctrunk, er wird
deine Glieder stärken und dein Herz zur Ausdauer ermuntern.
Michel erhob sich, ergriff den von Urban ihm dargebotcnen
Becher und setzte ihn an die Lippen. Bald zog er aber den
Mund zusammen und setzte ihn ab, denn der Wein, der recht
schön roth anzusehen war, schmeckte herber als Schlehwein.
— Trink ihn nur aus, sagte Urban mit Lächeln; er ist
zwar herb, aber ein guter Magenwein, und dich drückt der
Kummer im Magen.
Michel hätte den Kelch gern ungetmnken zurückgegeben, aber
es lag in dem Wesen des heiligen Urbans etwas, dem er sich
nicht getraute zu widersprechen; er stürzte daher den Inhalt des
Kelches hinab und sagte: Gott Vergelt es Euch, aber er ist herb.
— Wird schon bester kommen, sagte Urban; gut Glück zur
Arbeit! damit schlug er mit dem Stiele seines Karstes auf den
Boden und verschwand.
Michel rieb sich die Augen und guckte lange in die finstere
Höhlung der Hütte hinein. Er ging in die Hütte und fand
nichts als das Gerümpel, das immer darin lag; er klopfte an
den Felsen, und dieser gab nirgends einen hohlen Ton von sich.
Es war ihm, als hätte er geträumt. Jetzt aber machte er sich
auf den Heimweg und dachte über sein Schicksal nach. Seine
Verzweiflung lvar einer resignirten aber ruhigen Entschlossenheit
gewichen; er dachte, ich kann arbeiten, bin geschickt im Graben
und Mauern führen, was kümmert mich am Ende der Wein-
berg. Spielen thu ich nimmer, das ist gewiß, und mein Brod werde
ich verdienen, und noch 'was drüber. Traum oder nicht Traum,
der Urban hat Recht gehabt. Ich arbeite bei Straßen und
Eisenbahnen, da gibts einen hohen Lohn; ich brauche nicht viel,
mein Weib ist sparsam, und «ach ein paar Jahren ist wohl
schon ein Gärtlein verdient. Mein Weib pflanzt dann Gemüse,
ich taglohne wie vorher, und vom Ertrag der Gemüse wird in
wenigen Jahren ein Wingert angeschafft, dann bin ich wieder
gut daran. Das mit meinem Bruder, was der Fremde erzählte,
war sicher erlogen, und wärs auch lvahr, so will ich doch lieber
arbeiten, als mich von meinem Bruder füttern lasten.
Mit diesen löblichen Vorsätzen ging Michel seine Straße
dem Dorfe zu. Da sah er von Weitem den Krämer gegen sich
kommen und ärgerte sich darüber, denn er begegnete ihm nicht
gern. Hätte der verteufelte Krämer nicht den Würfelbecher her-
gegeben, es wäre sicher nicht so weit gekommen, dachte er, und
beschloß barsch au dem unheinilichen Gesellen vorüberzugehen.
— Guten Abend, Michel! sagte der Krämer; Ihr habt
einen kühlen Spaziergang gemacht.
— Guten Abend, sagte Michel mürrisch, und wollte vorbei
gehen.
— Ei seht doch, Ihr habt ivohl einen Groll auf mich.
— Ja, mär Euer verfluchter Würfelbecher nicht gewesen. —
— So hättet Ihr Euren Weinberg noch. Das ist wahr,
aber habt Ihr nicht verlangt zu würfeln? Hattet Ihr nicht dem
Spiel ein schönes Geld zu verdanken? Hat Euch nicht mein
Würfelbecher Glück gebracht? Wer hieß Euch das Glück mit
Füßen treten? Hab ich Euch etwa zugeredet? Nein, Michel,
Ihr verkennt Eure Freunde.
— Ihr brauchtet den Becher gar nicht herzugeben, sag' ich;
das Spiel ist ohnehin sündlich!
— Ei Michel, wer hat Euch das gesagt? Das, Spiel ist
eine nette Unterhaltung, und wenn es je sündlich ist, so wird
es dies nur dadurch, daß man's sündlich treibt.
Das sagt der Herr Pfarrer und der Sankt Urban. Spiel
ist sündlich, und wer dazu hilft, ist nicht mein Freund. Damit
wollte Michel weiter gehen.
St. Urbans Kellerhals.
Und hast du dich als Mann erprobt
Wenn Tod und Weh dich hat umtobt,
Zum Süßen dann vom Herben!
Mit meinem Gast dann stoß ich an,
Gr soll Sankt Urbans Lohn empsahn
Und wird spät in Ehren sterben.
Michel war ganz starr vor Kälte und Schrecken, denn das
Klopfen und Küfern im einsamen Berge hatte ihm unheimlich
bang gemacht. Der Gesang aber hatte eine so wehmüthige
und doch herzliche Weise, daß er sich tief dadurch erschüttert
. fühlte. Nachdem der Gesang aufgehört hatte und der letzte
Widerhall desselben verhallt war, trat eine Todtenstille ein,
Michel faßte sich ein Her;. Das ist doch Niemand anders ge-
ivesen, dachte er, als der hellige Urbanus; ich will ihm rufen,
: er kann mir vielleicht in meinen Nöthen helfen, denn er ist ein
mächtiger Heiliger. Nicht sobald war dieser Entschluß gefaßt,
als den Michel wieder eine tödtliche Angst befiel. Er betete
; und nahm sich zusammen. Heiliger UrbanuS, komm! rief er
endlich, und wiederholte diesen Ruf dreimal.
Da erhellte sich das Innere der steinernen Hütte und strahlte
i jenen goldig grünen Schimmer aus, wie ivenn die Abendsonne
! durch Redenblütter scheint. Mitten in diesem lieblichen Lichte
stand aber der heilige Urbanus in der Gestalt eines alten Mannes.
; Er trug über ein blaues Wamms ein ledernes Goller, wie es
j die Weingartner zu haben pflegen, hatte lange leinene Bein-
I kleider an, ein Küferschurzfell um den Leib gebunden und auf
! dem Rücken eine große Butte. In der rechten Hand hielt er
einen goldenen Kelch und in der linken einen Karst; ein langer
; weißer Bart wallte von seinem ehrwürdigen Gesichte herab, ein
paar wohlwollende blaue Augen sahen mit väterlicher Milde
1 unter der sonnverbrannten Stirn hervor, und das über die Hälfte
! kahle Haupt war mir einem schwarzen ledernen Käpplein bedeckt,
! an dessen Rand ein frischer Kranz von Traubenlaub griinte.
— Was wist du von mir, Michel Stolz? fragte Urbanus
! mit derselben ivohlklingendcn Stimme, ivelche das Lied gesungen
; halte, und deren Klang Trost und Murh einflößte.
— Hilf mir, heiliger Urbanus! erwiderte Michel und beugte
l das Gesicht zu Boden.
— Tu hast dein Gut im sündlichen Spie! verloren, erwi-
; dcrte Urban. Arbeite und du wirst dir es ivieder verdienen.
Das wollte dem Michel nicht einleuchtcn, und er dachte: den
I Rath hätte ich mir allenfalls selber geben können; er antwor-
! tetc nicht.
— Arbeit bringt Segen, fuhr Urban nach einer Pause fort;
vertraue mir, Sohn, und ich will die Frucht deiner Arbeit
herrlich machen. Steh auf und nimm diesen Labctrunk, er wird
deine Glieder stärken und dein Herz zur Ausdauer ermuntern.
Michel erhob sich, ergriff den von Urban ihm dargebotcnen
Becher und setzte ihn an die Lippen. Bald zog er aber den
Mund zusammen und setzte ihn ab, denn der Wein, der recht
schön roth anzusehen war, schmeckte herber als Schlehwein.
— Trink ihn nur aus, sagte Urban mit Lächeln; er ist
zwar herb, aber ein guter Magenwein, und dich drückt der
Kummer im Magen.
Michel hätte den Kelch gern ungetmnken zurückgegeben, aber
es lag in dem Wesen des heiligen Urbans etwas, dem er sich
nicht getraute zu widersprechen; er stürzte daher den Inhalt des
Kelches hinab und sagte: Gott Vergelt es Euch, aber er ist herb.
— Wird schon bester kommen, sagte Urban; gut Glück zur
Arbeit! damit schlug er mit dem Stiele seines Karstes auf den
Boden und verschwand.
Michel rieb sich die Augen und guckte lange in die finstere
Höhlung der Hütte hinein. Er ging in die Hütte und fand
nichts als das Gerümpel, das immer darin lag; er klopfte an
den Felsen, und dieser gab nirgends einen hohlen Ton von sich.
Es war ihm, als hätte er geträumt. Jetzt aber machte er sich
auf den Heimweg und dachte über sein Schicksal nach. Seine
Verzweiflung lvar einer resignirten aber ruhigen Entschlossenheit
gewichen; er dachte, ich kann arbeiten, bin geschickt im Graben
und Mauern führen, was kümmert mich am Ende der Wein-
berg. Spielen thu ich nimmer, das ist gewiß, und mein Brod werde
ich verdienen, und noch 'was drüber. Traum oder nicht Traum,
der Urban hat Recht gehabt. Ich arbeite bei Straßen und
Eisenbahnen, da gibts einen hohen Lohn; ich brauche nicht viel,
mein Weib ist sparsam, und «ach ein paar Jahren ist wohl
schon ein Gärtlein verdient. Mein Weib pflanzt dann Gemüse,
ich taglohne wie vorher, und vom Ertrag der Gemüse wird in
wenigen Jahren ein Wingert angeschafft, dann bin ich wieder
gut daran. Das mit meinem Bruder, was der Fremde erzählte,
war sicher erlogen, und wärs auch lvahr, so will ich doch lieber
arbeiten, als mich von meinem Bruder füttern lasten.
Mit diesen löblichen Vorsätzen ging Michel seine Straße
dem Dorfe zu. Da sah er von Weitem den Krämer gegen sich
kommen und ärgerte sich darüber, denn er begegnete ihm nicht
gern. Hätte der verteufelte Krämer nicht den Würfelbecher her-
gegeben, es wäre sicher nicht so weit gekommen, dachte er, und
beschloß barsch au dem unheinilichen Gesellen vorüberzugehen.
— Guten Abend, Michel! sagte der Krämer; Ihr habt
einen kühlen Spaziergang gemacht.
— Guten Abend, sagte Michel mürrisch, und wollte vorbei
gehen.
— Ei seht doch, Ihr habt ivohl einen Groll auf mich.
— Ja, mär Euer verfluchter Würfelbecher nicht gewesen. —
— So hättet Ihr Euren Weinberg noch. Das ist wahr,
aber habt Ihr nicht verlangt zu würfeln? Hattet Ihr nicht dem
Spiel ein schönes Geld zu verdanken? Hat Euch nicht mein
Würfelbecher Glück gebracht? Wer hieß Euch das Glück mit
Füßen treten? Hab ich Euch etwa zugeredet? Nein, Michel,
Ihr verkennt Eure Freunde.
— Ihr brauchtet den Becher gar nicht herzugeben, sag' ich;
das Spiel ist ohnehin sündlich!
— Ei Michel, wer hat Euch das gesagt? Das, Spiel ist
eine nette Unterhaltung, und wenn es je sündlich ist, so wird
es dies nur dadurch, daß man's sündlich treibt.
Das sagt der Herr Pfarrer und der Sankt Urban. Spiel
ist sündlich, und wer dazu hilft, ist nicht mein Freund. Damit
wollte Michel weiter gehen.