Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters.
(Fortsetzung.)
Aach und nach vergaß Meister Thomas seine Noth, die dicke
Hausfrau, die Gauner, kurz Alles, was ihn sonst härmte; er sang
und zechte wacker mit den lustigen Burschen, denen seine muntern
I Schwänke und witzigen Reden Beifall entlockten. Im Taumel der
Begeisterung machte er Liedlein von Liebe und Wein, und sang sie
! nach eigener Melodie auf eine höchst rührende Weise, zumal da
j seine Stimme ganz rauh und heiser durch das lange Fasten geworden,
und außerdem fürs Singen wenig geeignet war. Auf das allge-
meine Dringen der Gesellschaft mußte er seinen bisherigen Lebens-
lauf erzählen. Nach einigem Räuspern begann er folgendermaßen:
Wenn die Herren meinen, daß ein großer Geist nicht in
; Elend und Noth gerathen könne, so lehrt die Geschichte gerade
das Gegentheil. Wenn wir ihre inhaltschweren Blätter aufschla-
gen. so sehen wir schon in den Urzeiten, ich möchte fast sagen
j in der Kindheit des Menschengeschlechtes den göttlichen Homer,
trotz seiner Talente, die ihn vielleicht zu einem Nestor oder
Odysseus gemacht hätten, mit seiner Harfe im Arme das Land
durchstreichen. und ums liebe Brod singen, auf den Hochzeiten
und Kirchweihen und Jahrmärkten der 'griechischen Bauern. Ge-
hen wir weiter, meine Herren, so finden wir im Lateinerland un-
ter dem vielgepriesenen Augustus einen Dichter, der, wenn auch
nicht ausgezeichnet, doch einzig in seiner Art. den schwärmerischen
Naso. welchen der Haß und die Rache des Tyrannen, ob mit Recht
oder Unrecht, das laste ich dahingestellt sein, in die wüsten Gegen-
i den des schwarzen Meeres verwies. Man lese seine Trauerlieder;
man fühlt seinen Schmerz, seine Klagen, man sieht den Mann,
gewohnt des milden Klimas, im Schnee des Nordens zittern,
man sieht ihn hinschwinden und ermatten an Körper und Geist; 1
seine Saiten sind verstummt, seine Sinne sind krank aus immer-
währender Sehnsucht nach der Heimath. nach dem treuen Weibe,
nach dem Töchterlein, nach dem heimischen Herde. Hätte ich die
Gabe der unerschöpflichen überraschenden Gleichniste, der spielenden
Witze, des tönelndcn schwebenden Ganges der Verse, die Gabe.
Alles darstellen zu können, das Hohe wie das Niedrige, ich wäre
zufrieden. Lasten wir ihn ruhen im Lande der Barbaren und
gehen einige Särula weiter. Wir sehen den alle Herzen erschüt-
ternden Sänger der Hölle, des Fegfeurrs und des Himmels, ir-
rend von Land zu Land, verstoßen und verbannt, von der Gnade
launischer Fürstlein lebend. Ich will nichts sagen von Tasto.
den sie Jahre lang als toll ins Irrenhaus sperrten; ich will nichts
reden vom einhändigen Verfaffcr des Ritters von der Mancha,
noch vom weitgereisten Sänger der Lusiade. der in den Straßen
zum Betteln gezwungen war. dem armen Camoens; aber unsre
großen Geister will ich betrachten, unsre Helden der Literatur durch-
gehen. Wer hat uns schönere, wer anmuthigere Gedichte gelie-
fert, als Bürger, der edle Bürger, dem sie rauben wollten den
Namen eines Volksdichters, und doch singt heut zu Tag noch
das Volk die Lieder, die er gedichtet; er aber litt Mangel an
Allem, als das Alter ihm nahte, obgleich viele Schuld ans seine
eigene Rechnung fallen mag. Und Hölty, der sanfte gutmüthige
Jüngling? ich will schweigen von ihm. Aber Schiller? er. den
die eine Hälfte Deutschlands zu den Sternen hob. dessen Werke
meines Lobes nicht bedürfen, litt sein ganzes Leben hindurch Man-
gel, und als kurz nach seinem Tode ein kunstliebender Fürst die
Asche des Frühverblichenen besuchen wollte, wußte keine Seele ihm
die Stätte zu zeigen, wo die sterbliche Hülle moderte. — O Welt-
undank, du bist groß! Und Sie meine Herren. Sie können sich
noch wundern, daß ein großer Geist widrige Schicksale erdulden
muß, daß er zu kämpfen hat mit Noth. Entbehrung. Mangel, kurz
mit allen möglichen Uebeln? Ich wundere mich nicht, sondern freue
Bestellungen werden in alle» Buch- und Kunst-
handlungen. sowie von allen Postämtern 4-~t
und Zeitungsexpeditionen angenommen.
Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis für den; tt j3ntIv
Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.W. od.jUl
2 Rthlr. Einzclne N » m mer »> kosten l 2 kr. R.W. od. 3 ggr.
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Aach und nach vergaß Meister Thomas seine Noth, die dicke
Hausfrau, die Gauner, kurz Alles, was ihn sonst härmte; er sang
und zechte wacker mit den lustigen Burschen, denen seine muntern
I Schwänke und witzigen Reden Beifall entlockten. Im Taumel der
Begeisterung machte er Liedlein von Liebe und Wein, und sang sie
! nach eigener Melodie auf eine höchst rührende Weise, zumal da
j seine Stimme ganz rauh und heiser durch das lange Fasten geworden,
und außerdem fürs Singen wenig geeignet war. Auf das allge-
meine Dringen der Gesellschaft mußte er seinen bisherigen Lebens-
lauf erzählen. Nach einigem Räuspern begann er folgendermaßen:
Wenn die Herren meinen, daß ein großer Geist nicht in
; Elend und Noth gerathen könne, so lehrt die Geschichte gerade
das Gegentheil. Wenn wir ihre inhaltschweren Blätter aufschla-
gen. so sehen wir schon in den Urzeiten, ich möchte fast sagen
j in der Kindheit des Menschengeschlechtes den göttlichen Homer,
trotz seiner Talente, die ihn vielleicht zu einem Nestor oder
Odysseus gemacht hätten, mit seiner Harfe im Arme das Land
durchstreichen. und ums liebe Brod singen, auf den Hochzeiten
und Kirchweihen und Jahrmärkten der 'griechischen Bauern. Ge-
hen wir weiter, meine Herren, so finden wir im Lateinerland un-
ter dem vielgepriesenen Augustus einen Dichter, der, wenn auch
nicht ausgezeichnet, doch einzig in seiner Art. den schwärmerischen
Naso. welchen der Haß und die Rache des Tyrannen, ob mit Recht
oder Unrecht, das laste ich dahingestellt sein, in die wüsten Gegen-
i den des schwarzen Meeres verwies. Man lese seine Trauerlieder;
man fühlt seinen Schmerz, seine Klagen, man sieht den Mann,
gewohnt des milden Klimas, im Schnee des Nordens zittern,
man sieht ihn hinschwinden und ermatten an Körper und Geist; 1
seine Saiten sind verstummt, seine Sinne sind krank aus immer-
währender Sehnsucht nach der Heimath. nach dem treuen Weibe,
nach dem Töchterlein, nach dem heimischen Herde. Hätte ich die
Gabe der unerschöpflichen überraschenden Gleichniste, der spielenden
Witze, des tönelndcn schwebenden Ganges der Verse, die Gabe.
Alles darstellen zu können, das Hohe wie das Niedrige, ich wäre
zufrieden. Lasten wir ihn ruhen im Lande der Barbaren und
gehen einige Särula weiter. Wir sehen den alle Herzen erschüt-
ternden Sänger der Hölle, des Fegfeurrs und des Himmels, ir-
rend von Land zu Land, verstoßen und verbannt, von der Gnade
launischer Fürstlein lebend. Ich will nichts sagen von Tasto.
den sie Jahre lang als toll ins Irrenhaus sperrten; ich will nichts
reden vom einhändigen Verfaffcr des Ritters von der Mancha,
noch vom weitgereisten Sänger der Lusiade. der in den Straßen
zum Betteln gezwungen war. dem armen Camoens; aber unsre
großen Geister will ich betrachten, unsre Helden der Literatur durch-
gehen. Wer hat uns schönere, wer anmuthigere Gedichte gelie-
fert, als Bürger, der edle Bürger, dem sie rauben wollten den
Namen eines Volksdichters, und doch singt heut zu Tag noch
das Volk die Lieder, die er gedichtet; er aber litt Mangel an
Allem, als das Alter ihm nahte, obgleich viele Schuld ans seine
eigene Rechnung fallen mag. Und Hölty, der sanfte gutmüthige
Jüngling? ich will schweigen von ihm. Aber Schiller? er. den
die eine Hälfte Deutschlands zu den Sternen hob. dessen Werke
meines Lobes nicht bedürfen, litt sein ganzes Leben hindurch Man-
gel, und als kurz nach seinem Tode ein kunstliebender Fürst die
Asche des Frühverblichenen besuchen wollte, wußte keine Seele ihm
die Stätte zu zeigen, wo die sterbliche Hülle moderte. — O Welt-
undank, du bist groß! Und Sie meine Herren. Sie können sich
noch wundern, daß ein großer Geist widrige Schicksale erdulden
muß, daß er zu kämpfen hat mit Noth. Entbehrung. Mangel, kurz
mit allen möglichen Uebeln? Ich wundere mich nicht, sondern freue
Bestellungen werden in alle» Buch- und Kunst-
handlungen. sowie von allen Postämtern 4-~t
und Zeitungsexpeditionen angenommen.
Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis für den; tt j3ntIv
Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.W. od.jUl
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