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Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters.

mich vielmehr, darin den großen Geistern ähnlich zu sein, und werde
fast versucht, bei mir selbst zu denken, du wirst entweder noch ein
großer Mann, oder ein Narr. Das ist nun einmal der Gang der
Welt; so lange man lebt, kümmert sich keine Maus um den großen
Geist, hat er aber auf seinem ärmlichen Strohlager seinen himniel-
anstrebenden Geist ausgchaucht, dann baut man ihm Monumente
und Statuen, gleich als ob sich die Menschen schämten, ihn im
Leben verkannt zu haben."

„Beim Teufel aber auch!" sprach einer, den die Herrn
Zeisig nannten, „wer will denn die Aehnlichkeit wissen, die du
mit den großen Geistern aller Nationen zu haben dir cinbildest?
Deine Lebensbegebenheiten sollst du uns erzählen."

„Alles zu seiner Zeit," entgegenredete Thomas und fuhr fort,
nachdem er erst seine Kehle angefcuchtet hatte: „In einem stillen an-
muthigen Thal mit silberglänzenden, dunkelfarbigen Erlen, himmel-
anragcnden Eichen und säuselnden Birken geziert, bewässert von ei-
nem Bächlein, in besten klarer Fluth muntere Forellen scherzen und
Wasterspinnen sich tummeln, besten Ufer mit einem Kranze von
Bachweiden, Schilfrohr und wildem KalmuSgestaude bewachsen .
sind, liegt ein Weiler ank Fuße eines steilaufragenden BergeS, von
welchem die stolze Burg SeyfriedSberg herabschaut über die schwar-
zen Tannenwälder, die gelben Eichenbühle unll breiten Thalgegen-
den, weit hinein in die blauen Schneeberge. Zerstreut liegen unten
am Berg umher die ärmlichen Hütten der ziegenmelkenden Bewoh-
ner, und blicken düster und finster um sich. Sind sie außen unan-
sehnlich, schmutzig und abstoßend, so sind sie innen dies in erhöh-
term Maaße. Selten raucht hier ein Kamin bei festlichen Gelagen;
i nie vernimmt das Ohr den Schall beim Tanze stampfender Füße,

! oder die Walzer und Ländler vagabundirender Musikanten, weil
• kein WirthshauS da ist; nie läutet die Glocke zur Vesper. eS müß-
> ten nur die Glöcklein der am Abende heimkehrenden Ziegen sein,
hier wurde ich geboren. Mein Vater ist Ziegenhirte im Ort. und
heißt der krumme Märtin, weil er auf einem Fuße hinkt, waS er
den Franzosen zu danken hat, und hütet vielleicht noch heutigen
TageS seine Heerde, wenn er nicht unterdeß gestorben ist. wie meine
Mutter, die mit Zunder, Feuerstein und Schwefelhölzlein handelte,
wobei sie mich mitnahm auf ihre Handelsreisen weit und breit im
Schwabenland umher. Da kamen die kongrev'schen Zündhölzlein in
die Mode, und dies kostete dem guten Weiblein viele Zähren, und
auch ihrem Söhnlein, das nun nicht mehr so herrliche Tage er-
leben sollte, und so unbesorgt und unbekümmert in die Welt
hineinschauen, wie ein junger Spatze." —

„Stoßt an Brüder! der Poet soll leben! Vivat hoch!" —

Nach manchen Unterbrechungen erzählte nun der betrunkene
Dichter, wie seine Mutter gestorben, und er mit seinem Kameraden,

! dem bucklichten Kasparle im Lande herumgebettelt, wie sein Vater,

' der krumme Märtin. eine Scheerenschleifertochter geheirathet. und
! diese seine zweite Mutter ihn nicht wohl leiden mochte; wie er ihr
deßhalb einen Posten spielte, indem er nämlich alle Häfen und
Schüsteln und Fensterscheiben mit der Ofengabel zertrümmerte, ein
Loch in den irdenen Ofen stieß und davon lief und im Allgäu Hir-

tenbube wurde; wie ein menschenfreundlicher Pfarrer ihn studiren
ließ, und wie nach dem Tode destelben seine Noth anging, da er
ohne Geld, ohne Freunde und Rekommandationen nicht weiter sein
Brodstudium fortsetzen konnte, und sich am Ende auf die Schrift-
stellerei verlegte, und wie er diese schon eine lange Reihe von Jah-
ren getrieben bis auf de» heutigen Tag. Zuletzt wollte die Zunge
mit den Gedanken nicht mehr gut Harmoniken, und es kostete große
Geduld, den Unsinn, den er oft schwatzte, anzuhören. Der lange
Hans drückte ihm den Hut so tief an den Kopf, daß er nicht
mehr sehen und hören konnte, und unmuthig vor sich hinmur-
melte: „Sogar das Licht ist erloschen und wie ein Rauschen

vieler Gewässer dringt es in meine Ohren, u—" er konnte nicht
mehr weiter reden, denn Zeisig zerwalkte mit seinen Fäusten den
Hut und das Haupt des armen Poeten dergestalt, daß derselbe
vom Stuhl auf den Boden sank und betäubt liegen blieb.

„Erzähl weiter. Dichter, erzähl weiter!" schrieen Alle dem
auf dem Boden liegenden Poeten zu; aber der murmelte noch
einige unzusammenhängende Worte, und streckte sich lautschnarchend
zum Schlafe.

„Der Held der Verse ist selig," sprach der lange Hans lachend
und zündete seine Pfeife an; „aber sagt mir einmal, was fangen
denn wir an; ich glaube gar, sie läuten schon in die Kirchen?"

„Hast du Geld gefischt, Brüderchen?" fragte der mit der
Narbe im Gesicht; „ich brauche jetzt Kniffe."

„Keinen Deut," war die kurze Antwort.

„Will die Tante nicht spinnen? Mußt sie bearbeiten; altes
Fleisch will starke Beize."

„Morgen, morgen!"

Während dessen suchte Zeisig vergebens seinen Krug aus dem
auf der Neige stehenden Fasse zu füllen. So sehr er rüttelte
und das Faß neigte, der köstliche Inhalt floß nur tropfenweise.

„Hol mich der Teufel! die Kufe ist rein ausgepicht," sprach
er verdrießlich und stellte seinen Krug auf den Tisch.

„Laßt uns ausbrechen," schrieen Andere;' „für heute sei
unser Tagewerk geschloffen."

Ein fideler Streich, meinten die einen, sollte heute das über-
standcne Tagewerk krönen, ein recht fideler Streich, von dem die
ganze Philisterschaft reden würde.

„Geht nur mit mir," sprach Zeisig; „da sollt ihr des
Lachens genug finden; nicht wahr, Hans?"

„Ja, ja!" bekräftigte, der lange Hans; „geht mit, es wird
euch bei meiner Seele kaum reuen."

Einige entschlossen sich mitzuwandern, indeß die übrigen schlaf-
und biertrunken nach Hause taumelten, und den versäumten Schlaf
nachzuholen suchten, indem sie ein großes Stück vom folgenden
Tage dazu benützten. Beim allgemeinen Aufbruche hätten sie bei-
nahe den Dichter vergesteü, wenn nicht der erst eingetretcne Kellner
an den auf dem Boden liegenden Herrn erinnert und gefragt
hätte, ob man ihn soll in ein Bett oder nach Hause schaffen. Mit
großer Anstrengung und gewaltigem Lärm wurde er auf die Beine
gebracht, und folgte taumelnd den Lautlärmenden auf die Straße.
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