Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters.
131
3.
Gefährlich ists den Leu zu wecken.
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Doch der schrecklichste der Schrecken
Ist der Mensch in seinem Wahn.
Bettlerinnen zu Königinnen erhoben worden sind. Manche süße
Stunde verträumten diese zwei harmlosen Leutchen in jenen
Schlaraffenländern, und denken sich Prinz und Prinzessin, Rit-
ter und fahrende Ritterin, und oft läßt der Vater unmuthig die
Nadel fahren, wenn er hört, wie dort Alles Geld gehabt und
lustig gelebt, und er muß sich jetzt schinden und plagen um sein
Schiller.
In der Pavianstraße steht ein hohes altmodisches Haus, das
vielleicht schon den Einzug der Schweden mitangesehen, in wel-
; chem gar verschiedene Arten von Menschen wohnen. Jedes Fen-
sterlein ist besetzt vom Dachgiebel bis zu den Kellerlöchern, und
es müßte ein wunderbarer Anblick sein, alle diese Menschen,
vom Hafenbinder an, der unter den Ziegeln horstet, bis zum
Salzstößler, der die Regionen um de» Keller behauptet, mit
ihren Familien auf einem Haufen versammelt zu sehen. Welch
ein Gemisch von Trachten, Physiognomien und Dialekten würde
sich da zeigen und mancher Künstler dürfte vielleicht hier fin-
den, was er vergebens in Bierkneipen und Trödelbuden, in
Schnapsstübchen und Wursthäusern für seine Staffelet gesucht.
> Bon allen Bewohnern des Hauses ist jedoch unstreitig am merk-
würdigsten ein Schneiderlein mit seiner Familie, nicht so fast
. wegen der Kunstfertigkeit seiner Nadel, als vielmehr wegen sei-
ner Figur, seinem Benehmen, und der Gabe, Alles zu wissen,
> über Alles zu raisonnircn, jeden Vortheil sowohl im Spiel als
in Raufereien los zu haben, überall gewesen zu sein. Jedermann
überlisten zu können, Gott und den Teufel nicht zu fürchten
und Staat und Religion reformiren zu wollen. War doch das
kleine bleiche Männlein mit seinen stahlgrauen Haaren weit her-
umgekommen in der Welt in früheren Zeiten, und hat mit man-
cher Jungfer Schwester geliebäugelt, und mancher grobe Bauern-
hund hat in seinen Stock gebissen oder das Kittelein ihm zer-
fetzt, und er weiß manches Kloster zu nennen, wo treffliche Ka-
puzinersuppe und köstliches Schwarzbrod den Gebrüdern Baga-
bundus gereicht wird, und manches Bauernhäuslein ist ihm be-
' kannt, wo man umsonst auf duftendem Heu oder rauschendem
Stroh beherbergt wird. Und, wie kennt sich der kleine Mann
in seinem wolligen Röcklein erst in der deutschen Belletristik aus?
Mögen sich Andere rühmen, gelesen zu haben die Mysterien von
Paris, oder den ewigen Juden und andere Abenteuerlichkeiten,
oder Romane von Spindler und Spieß und Kramer, Novellen
von Tieck und Goethe und.anderes schöngeistige Geschreibe, das
heißt ihm nichts; aber die abenteuerliche Historie von der schö-
nen Magelone und vom Doktor Faust, die witzigen Streiche
von Till Eulenspiegel und die gräßlichen Thateu vom Schinder-
' Hannes und bayerischen Hiesel, die anmulhige Legende.von For-
tunatus mit dem Glücksscckel und dem Wünschhütlein, und ähn-
! liche treffliche Marktbüchlern ziechen seinen Geist, an; diese sind
seine Lektüre, und er und sein Töchterlein, welche ihm diese Ge-
schichten bei der Arbeit vorliest, bedauern gar sehr, daß sie so
spät in die Welt gekommen, zu einer Zeit, da jene glücklichen
Tage verflogen, in denen Quellnymphen und Feen an die Wiege
der Kinder traten, sie aus der Taufe hoben, und drei. Wünsche
zu bitten erlaubten; wo der Nibelungenhort versenkt wurde, und
bischen Brod, und in jenen Zeiten wäre er sicher ein Paladin
geworden oder an König Arthurs Tafel ein berühmtes Mit-
glied. Gerade das Gegentheil vom Schneiderlein und seiner -
Tochter ist die Frau. Sie findet größeren Gefallen an der nack-
ten Wirklichkeit, und fühlt sich behaglicher bei Bier und Wurst, i
und macht auch nicht den geringsten Versuch, den Idealen ihres
Gemahls und ihrer Fräulein Tochter nachzufliegcn; zwar mag
dies auch daher kommen, weil die Flügel ihres Geistes ziemlich
erlahmt sind, und überhaupt ihr nur die sichtbare Wirklichkeit
zum Aufenthalt angewiesen worden. Trotzdem hat sic einen
ungeheuren Respekt vor dem Alles erfassenden Geiste ihres Man-
nes, der ihr oft Stundenlang vorraisonnirt, und ihr zeigt, was
Rechtens ist, und nur, wenn er in rauchigen Wirthsstuben po-
litisirt, wagt sie es, mit Fräulein Tochter auch einige Mäßlcin
auf sein ferneres Wohl zu trinken.
Noch muß ich, um das Bild dieser Familie ganz auszu-
malcn, hinzufügen. daß das Töchterlein, etwa siebcnzehn Jahr
alt, eine Schönheit zweiten Ranges sich däucht, obgleich ihr
ein Auge in der Bataille mit den Blattern verloren gegangen,
l und ihr Wuchs also beschaffen ist, daß, wenn man einem Aeff-
lein in ihre Garderobe Zutritt gestattete, und sein Gesicht-
lein mit Kalk änwcißete, der Unterschied kaum merkbar wäre.
Sie ist noch njckst über alle Vorurtheile, die in Schulen einge- j
impft iverdenT hinaus, hat aber eine bedeutende Portion Hoch- j.
muth und Eigendünkel, und stolzirt wie eine Noblesse durch die
Straßen, und rümpft gar oft das zarte Spitznäschen über das
elendige Bettelgesindel; nur Schade ist es, daß sie wegen ihrer
Duodezfigur nicht bemerkt wird, was sie gar sehr ärgert, und !
' den^LeuM, hei. Jeder (Gelegenheit In erkennen gibt, welche über
das naseweise Kind lachen und spotten.
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Gefährlich ists den Leu zu wecken.
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Doch der schrecklichste der Schrecken
Ist der Mensch in seinem Wahn.
Bettlerinnen zu Königinnen erhoben worden sind. Manche süße
Stunde verträumten diese zwei harmlosen Leutchen in jenen
Schlaraffenländern, und denken sich Prinz und Prinzessin, Rit-
ter und fahrende Ritterin, und oft läßt der Vater unmuthig die
Nadel fahren, wenn er hört, wie dort Alles Geld gehabt und
lustig gelebt, und er muß sich jetzt schinden und plagen um sein
Schiller.
In der Pavianstraße steht ein hohes altmodisches Haus, das
vielleicht schon den Einzug der Schweden mitangesehen, in wel-
; chem gar verschiedene Arten von Menschen wohnen. Jedes Fen-
sterlein ist besetzt vom Dachgiebel bis zu den Kellerlöchern, und
es müßte ein wunderbarer Anblick sein, alle diese Menschen,
vom Hafenbinder an, der unter den Ziegeln horstet, bis zum
Salzstößler, der die Regionen um de» Keller behauptet, mit
ihren Familien auf einem Haufen versammelt zu sehen. Welch
ein Gemisch von Trachten, Physiognomien und Dialekten würde
sich da zeigen und mancher Künstler dürfte vielleicht hier fin-
den, was er vergebens in Bierkneipen und Trödelbuden, in
Schnapsstübchen und Wursthäusern für seine Staffelet gesucht.
> Bon allen Bewohnern des Hauses ist jedoch unstreitig am merk-
würdigsten ein Schneiderlein mit seiner Familie, nicht so fast
. wegen der Kunstfertigkeit seiner Nadel, als vielmehr wegen sei-
ner Figur, seinem Benehmen, und der Gabe, Alles zu wissen,
> über Alles zu raisonnircn, jeden Vortheil sowohl im Spiel als
in Raufereien los zu haben, überall gewesen zu sein. Jedermann
überlisten zu können, Gott und den Teufel nicht zu fürchten
und Staat und Religion reformiren zu wollen. War doch das
kleine bleiche Männlein mit seinen stahlgrauen Haaren weit her-
umgekommen in der Welt in früheren Zeiten, und hat mit man-
cher Jungfer Schwester geliebäugelt, und mancher grobe Bauern-
hund hat in seinen Stock gebissen oder das Kittelein ihm zer-
fetzt, und er weiß manches Kloster zu nennen, wo treffliche Ka-
puzinersuppe und köstliches Schwarzbrod den Gebrüdern Baga-
bundus gereicht wird, und manches Bauernhäuslein ist ihm be-
' kannt, wo man umsonst auf duftendem Heu oder rauschendem
Stroh beherbergt wird. Und, wie kennt sich der kleine Mann
in seinem wolligen Röcklein erst in der deutschen Belletristik aus?
Mögen sich Andere rühmen, gelesen zu haben die Mysterien von
Paris, oder den ewigen Juden und andere Abenteuerlichkeiten,
oder Romane von Spindler und Spieß und Kramer, Novellen
von Tieck und Goethe und.anderes schöngeistige Geschreibe, das
heißt ihm nichts; aber die abenteuerliche Historie von der schö-
nen Magelone und vom Doktor Faust, die witzigen Streiche
von Till Eulenspiegel und die gräßlichen Thateu vom Schinder-
' Hannes und bayerischen Hiesel, die anmulhige Legende.von For-
tunatus mit dem Glücksscckel und dem Wünschhütlein, und ähn-
! liche treffliche Marktbüchlern ziechen seinen Geist, an; diese sind
seine Lektüre, und er und sein Töchterlein, welche ihm diese Ge-
schichten bei der Arbeit vorliest, bedauern gar sehr, daß sie so
spät in die Welt gekommen, zu einer Zeit, da jene glücklichen
Tage verflogen, in denen Quellnymphen und Feen an die Wiege
der Kinder traten, sie aus der Taufe hoben, und drei. Wünsche
zu bitten erlaubten; wo der Nibelungenhort versenkt wurde, und
bischen Brod, und in jenen Zeiten wäre er sicher ein Paladin
geworden oder an König Arthurs Tafel ein berühmtes Mit-
glied. Gerade das Gegentheil vom Schneiderlein und seiner -
Tochter ist die Frau. Sie findet größeren Gefallen an der nack-
ten Wirklichkeit, und fühlt sich behaglicher bei Bier und Wurst, i
und macht auch nicht den geringsten Versuch, den Idealen ihres
Gemahls und ihrer Fräulein Tochter nachzufliegcn; zwar mag
dies auch daher kommen, weil die Flügel ihres Geistes ziemlich
erlahmt sind, und überhaupt ihr nur die sichtbare Wirklichkeit
zum Aufenthalt angewiesen worden. Trotzdem hat sic einen
ungeheuren Respekt vor dem Alles erfassenden Geiste ihres Man-
nes, der ihr oft Stundenlang vorraisonnirt, und ihr zeigt, was
Rechtens ist, und nur, wenn er in rauchigen Wirthsstuben po-
litisirt, wagt sie es, mit Fräulein Tochter auch einige Mäßlcin
auf sein ferneres Wohl zu trinken.
Noch muß ich, um das Bild dieser Familie ganz auszu-
malcn, hinzufügen. daß das Töchterlein, etwa siebcnzehn Jahr
alt, eine Schönheit zweiten Ranges sich däucht, obgleich ihr
ein Auge in der Bataille mit den Blattern verloren gegangen,
l und ihr Wuchs also beschaffen ist, daß, wenn man einem Aeff-
lein in ihre Garderobe Zutritt gestattete, und sein Gesicht-
lein mit Kalk änwcißete, der Unterschied kaum merkbar wäre.
Sie ist noch njckst über alle Vorurtheile, die in Schulen einge- j
impft iverdenT hinaus, hat aber eine bedeutende Portion Hoch- j.
muth und Eigendünkel, und stolzirt wie eine Noblesse durch die
Straßen, und rümpft gar oft das zarte Spitznäschen über das
elendige Bettelgesindel; nur Schade ist es, daß sie wegen ihrer
Duodezfigur nicht bemerkt wird, was sie gar sehr ärgert, und !
' den^LeuM, hei. Jeder (Gelegenheit In erkennen gibt, welche über
das naseweise Kind lachen und spotten.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 41, S. 131
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg