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Die englischen und
streng die Grenze dieser verschiedenen Fächer respektirt, und keine
deutsche Zunftgenossenschaft kann strenger Wachen über den Cor-
don ihrer Gerechtsame, als jene Reporters über ihre Fachein-
theilung. — Es fällt denselben aber durchaus nicht ein, ihre
Nachrichten selbst auf- und einzufangen, bewahre! so ein Re-
porter der Times z. B. hat ein elegantes Boudoir zum Em-
pfang zahlreicher oft sehr bedeutender Besuche und zahlreicher
Einladungen zu diesen und jenen Festen und Sehenswürdigkei-
ten ; dabei ein Bureau mit 2—3 Schreibern und circa 8—10
Lauser; Zuträger, Spione rennen da ein und aus, werfen ihre
Blättchen in lange Kästen und überlassen es den Schreibern,
dieselben zu lesen, ihrem Chef darüber zu berichten, und je
nach Anweisung kurz oder lang, so oder so zu bearbeiten. Die
Hauptnotizen, die ganz besonderen, bearbeitet der Chef selbst. —
Natürlich sind auch alle jene Läufer genau instruirt über ihre
zu beobachtenden Grenzen, und es ist nicht zu befürchten, daß
sie dieselben überschreiten oder daß sie Lügen berichten, denn
sofortige Absetzung ist ihnen alsdann gewiß; sie werden sich
auch hüten, überhaupt unvorsichtig zu sein oder Unnöthiges zu
berichten, denn jede Notiz, die der Schreiber liest, ohne daß sie
benutzt werden kann, wird nach dem gleichen Verhältniß der
Honorirung von dem übrigen Honorar abgezogen. Nurbei großen
öffentlichen Trauer- oder Freudenfesten oder besonders wichtigen
Ereignissen hält es der Reporter der Mühe werth, selbst zu
erscheinen. Ein eleganter Tilbury oder ein schöner Hengst
bringen ihn dann dorthin und ein oder zwei seiner Zuträger
erscheinen dabei in Livree; für ihn ist stets ein guter Platz da,
wenn auch tausend Andere ihn nicht mehr finden. — Man
hat in London Hausbesitzer auf der City (und London weiß,
was das sagen will!) die solches wurden als Reporter. Ein
Reporter kann Redakteur, kann Parlamentsmitglied werden,
eben als Reporter. Kurz, ein Reporter an einer großen
englischen Zeitung ist ein Mann von tüchtigem Einkommen,
von einer gewissen Macht, von Ansehen und Stellung, und
kann mit der Zeit Minister werden.
Ein unendlich bescheideneres Dasein hat dagegen ein deut-
scher Reporter; im Ganzen theilt er sich in drei Classen: die
eine besteht meist aus alten Magistern, die es nie zu einem
Lehrstuhl brachten oder seit undenklichen Zeiten keinen mehr
besitzen; aus alten Pastoren, die nie zu einer Pfarre gelangten
oder sie irgend eines Grundes, vielleicht einer „schönen Sünde"
wegen bald verloren, oder nie eine Spur von Predigertalent
bekundeten; aus alten Wundärzten, denen in früheren Jahren
nie eine Amputation oder dergleichen glücken wollte; endlich aus
alten gelehrten, vertrockneten Advokaten, die vor lauter Gelehr-
samkeit nie einen Prozeß gewonnen. Diese eine Art trifft man
gewöhnlich bei den ältesten Zeitungen, die in einem gewissen
conservativ - liberal-demokratisch - constitutionell- monarchischen
Styl alle Phasen der Staatsentwickelung glücklich durchmachten.
Diese ehrwürdigen alten Herren sind dann gleichsam die
Ueberlieferungen von einer Redaktions-Generation auf die an-
dere. Ihre Stylistik und Orthographie ist hinter der neuen
Zeit zurückgeblieben; sie bauen ziemlich große Perioden, ver-
brauchen eine Menge altgriechische y und alle nur mögliche |
deutschen Reporters.
stumme h und Doppelvokale. — Sie lieben es, am Schluß
ihrer Berichte eine kleine moralische Nutzanwendung zu machen
und im Vertrauen auf den wohlwollenden und väterlichen
Sinn der betreffenden Behörde ans diesen und jenen Mangel,
auf diese und jene Vorsichtsmaßregel bescheiden hinzudeuten.
Sie werden nie persönlich, aber dann und wann erlauben sie
sich doch einen kleinen versteckten Hieb auf „eine andere ge-
schätzte Zeitschrift" oder deren „ehrenwerthen Berichterstatter",
wenn dieselben ein Ereigniß übertrieben, in ein falsches Licht
gesetzt oder richtiger berichtet haben, als sie selbst es gethan.
Sie wollen dann „durchaus keine Absicht" oder keinen „wis-
sentlichen Jrrthum" erkennen, indessen — und nun kommt die
„Berichtigung" und sie fühlen sich dann sehr stolz und selbst-
bewußt, und glauben, eine historische That gethan zu haben.
Besonders in solchen Stimmungen lassen sie sich gern mit „einem
Gläschen" oder „einem Löffel Suppe" regaliren, sind sonst aber
unbestechlich, sehen ihre Beschäftigung als eine ernste Amtspflicht
an, und sind ihr so treu, als ob sie ihr geschworen hätten. Sie
sagen, wenn von der Zeitung gesprochen wird, gern „Wir",
wie jener Bälgetreter zum Orgelspieler. Sie machen meist die
Gedichte in den Anzeigen, theils aus eigenem Antrieb, wenn es
einem „verdienstvollen Bürger und Gatten" gilt, theils auf Be-
stellung und unter Honorirung durch Viktualien. — Sie haben
auch gewöhnlich etwas im Selbstverläge oder „in der Druckerei"
eines gänzlich unbekannten Ortes herausgegeben, führen davon
stets ein Paar Exemplare bei sich, um es „nöthigen Falls" bei
der Hand zu haben, d. h. einestheils es sehen zu lassen, andern-
theils es „für den Ladenpreis von Sgr." zu verkaufen,
dieß aber immer mit einer gewissen Würde, gleichsam „aus
Gefälligkeit", oder „weil ich's zufällig da bei mir habe", oder
„nun ja, wenn Ihnen damit gedient wäre, spare ich Ihnen
schon den Weg in die Buchhandlung." — Auf dem hintern
Umschlag eines solchen Werkchens machen sie meist ihre Notizen,
und halten oder legen es dabei zufällig gerade so, daß die Be-
nachbarten den Titel recht gut lesen können. Sie sammeln
ihre Notizen nur in zwei Wirthschaftslocalen, Morgens gegen
11 Uhr bei „Schulze" und Abends von 5 Uhr an bei „Mül-
ler" . Hier haben sie seit undenklichen Jahren ihre bestimmten
Eckplätze, die Jeder gleichsam als legitim respektirt. — Ein
großer Fleck an der Rückwand zeigt deutlich die Breite ihres
Rückens, und Niemanden wird es einfallen, an den darüber
befindlichen Nagel seine Kopfbedeckung zu hängen. Morgens
erscheinen sie mit einer kurzen Pfeife, ausnahmsweise auch mit
einer sehr langen hölzernen, oder mit einer ganz kleinen Gutta-
percha-Cigarrenspitze und in Hut, Abends mit langer Pfeife
nebst Tabaksbeutel, aus einer Schweinsblase gemacht, und in
Mütze. Sie kommen dann stets „aus unserer Druckerei" oder
„von unserm Redaktions-Bureau", und nun erscheinen nach
und nach die Stammgäste, die „dem Herrn Doktor" ihre ge-
sammelten Stadtneuigkeiten mittheilen, wofür daun dieser die
eben erfahrenen Weltneuigkeiten erzählt. Die Stammgäste sind
glücklich auf diese Weise mit der Weltgeschichte stets au kalt
zu sein und in so direktem Verkehr mit der betreffenden Zeitung
zu stehen. Mancher bringt es sogar zu einem eigenen Artikel-
Die englischen und
streng die Grenze dieser verschiedenen Fächer respektirt, und keine
deutsche Zunftgenossenschaft kann strenger Wachen über den Cor-
don ihrer Gerechtsame, als jene Reporters über ihre Fachein-
theilung. — Es fällt denselben aber durchaus nicht ein, ihre
Nachrichten selbst auf- und einzufangen, bewahre! so ein Re-
porter der Times z. B. hat ein elegantes Boudoir zum Em-
pfang zahlreicher oft sehr bedeutender Besuche und zahlreicher
Einladungen zu diesen und jenen Festen und Sehenswürdigkei-
ten ; dabei ein Bureau mit 2—3 Schreibern und circa 8—10
Lauser; Zuträger, Spione rennen da ein und aus, werfen ihre
Blättchen in lange Kästen und überlassen es den Schreibern,
dieselben zu lesen, ihrem Chef darüber zu berichten, und je
nach Anweisung kurz oder lang, so oder so zu bearbeiten. Die
Hauptnotizen, die ganz besonderen, bearbeitet der Chef selbst. —
Natürlich sind auch alle jene Läufer genau instruirt über ihre
zu beobachtenden Grenzen, und es ist nicht zu befürchten, daß
sie dieselben überschreiten oder daß sie Lügen berichten, denn
sofortige Absetzung ist ihnen alsdann gewiß; sie werden sich
auch hüten, überhaupt unvorsichtig zu sein oder Unnöthiges zu
berichten, denn jede Notiz, die der Schreiber liest, ohne daß sie
benutzt werden kann, wird nach dem gleichen Verhältniß der
Honorirung von dem übrigen Honorar abgezogen. Nurbei großen
öffentlichen Trauer- oder Freudenfesten oder besonders wichtigen
Ereignissen hält es der Reporter der Mühe werth, selbst zu
erscheinen. Ein eleganter Tilbury oder ein schöner Hengst
bringen ihn dann dorthin und ein oder zwei seiner Zuträger
erscheinen dabei in Livree; für ihn ist stets ein guter Platz da,
wenn auch tausend Andere ihn nicht mehr finden. — Man
hat in London Hausbesitzer auf der City (und London weiß,
was das sagen will!) die solches wurden als Reporter. Ein
Reporter kann Redakteur, kann Parlamentsmitglied werden,
eben als Reporter. Kurz, ein Reporter an einer großen
englischen Zeitung ist ein Mann von tüchtigem Einkommen,
von einer gewissen Macht, von Ansehen und Stellung, und
kann mit der Zeit Minister werden.
Ein unendlich bescheideneres Dasein hat dagegen ein deut-
scher Reporter; im Ganzen theilt er sich in drei Classen: die
eine besteht meist aus alten Magistern, die es nie zu einem
Lehrstuhl brachten oder seit undenklichen Zeiten keinen mehr
besitzen; aus alten Pastoren, die nie zu einer Pfarre gelangten
oder sie irgend eines Grundes, vielleicht einer „schönen Sünde"
wegen bald verloren, oder nie eine Spur von Predigertalent
bekundeten; aus alten Wundärzten, denen in früheren Jahren
nie eine Amputation oder dergleichen glücken wollte; endlich aus
alten gelehrten, vertrockneten Advokaten, die vor lauter Gelehr-
samkeit nie einen Prozeß gewonnen. Diese eine Art trifft man
gewöhnlich bei den ältesten Zeitungen, die in einem gewissen
conservativ - liberal-demokratisch - constitutionell- monarchischen
Styl alle Phasen der Staatsentwickelung glücklich durchmachten.
Diese ehrwürdigen alten Herren sind dann gleichsam die
Ueberlieferungen von einer Redaktions-Generation auf die an-
dere. Ihre Stylistik und Orthographie ist hinter der neuen
Zeit zurückgeblieben; sie bauen ziemlich große Perioden, ver-
brauchen eine Menge altgriechische y und alle nur mögliche |
deutschen Reporters.
stumme h und Doppelvokale. — Sie lieben es, am Schluß
ihrer Berichte eine kleine moralische Nutzanwendung zu machen
und im Vertrauen auf den wohlwollenden und väterlichen
Sinn der betreffenden Behörde ans diesen und jenen Mangel,
auf diese und jene Vorsichtsmaßregel bescheiden hinzudeuten.
Sie werden nie persönlich, aber dann und wann erlauben sie
sich doch einen kleinen versteckten Hieb auf „eine andere ge-
schätzte Zeitschrift" oder deren „ehrenwerthen Berichterstatter",
wenn dieselben ein Ereigniß übertrieben, in ein falsches Licht
gesetzt oder richtiger berichtet haben, als sie selbst es gethan.
Sie wollen dann „durchaus keine Absicht" oder keinen „wis-
sentlichen Jrrthum" erkennen, indessen — und nun kommt die
„Berichtigung" und sie fühlen sich dann sehr stolz und selbst-
bewußt, und glauben, eine historische That gethan zu haben.
Besonders in solchen Stimmungen lassen sie sich gern mit „einem
Gläschen" oder „einem Löffel Suppe" regaliren, sind sonst aber
unbestechlich, sehen ihre Beschäftigung als eine ernste Amtspflicht
an, und sind ihr so treu, als ob sie ihr geschworen hätten. Sie
sagen, wenn von der Zeitung gesprochen wird, gern „Wir",
wie jener Bälgetreter zum Orgelspieler. Sie machen meist die
Gedichte in den Anzeigen, theils aus eigenem Antrieb, wenn es
einem „verdienstvollen Bürger und Gatten" gilt, theils auf Be-
stellung und unter Honorirung durch Viktualien. — Sie haben
auch gewöhnlich etwas im Selbstverläge oder „in der Druckerei"
eines gänzlich unbekannten Ortes herausgegeben, führen davon
stets ein Paar Exemplare bei sich, um es „nöthigen Falls" bei
der Hand zu haben, d. h. einestheils es sehen zu lassen, andern-
theils es „für den Ladenpreis von Sgr." zu verkaufen,
dieß aber immer mit einer gewissen Würde, gleichsam „aus
Gefälligkeit", oder „weil ich's zufällig da bei mir habe", oder
„nun ja, wenn Ihnen damit gedient wäre, spare ich Ihnen
schon den Weg in die Buchhandlung." — Auf dem hintern
Umschlag eines solchen Werkchens machen sie meist ihre Notizen,
und halten oder legen es dabei zufällig gerade so, daß die Be-
nachbarten den Titel recht gut lesen können. Sie sammeln
ihre Notizen nur in zwei Wirthschaftslocalen, Morgens gegen
11 Uhr bei „Schulze" und Abends von 5 Uhr an bei „Mül-
ler" . Hier haben sie seit undenklichen Jahren ihre bestimmten
Eckplätze, die Jeder gleichsam als legitim respektirt. — Ein
großer Fleck an der Rückwand zeigt deutlich die Breite ihres
Rückens, und Niemanden wird es einfallen, an den darüber
befindlichen Nagel seine Kopfbedeckung zu hängen. Morgens
erscheinen sie mit einer kurzen Pfeife, ausnahmsweise auch mit
einer sehr langen hölzernen, oder mit einer ganz kleinen Gutta-
percha-Cigarrenspitze und in Hut, Abends mit langer Pfeife
nebst Tabaksbeutel, aus einer Schweinsblase gemacht, und in
Mütze. Sie kommen dann stets „aus unserer Druckerei" oder
„von unserm Redaktions-Bureau", und nun erscheinen nach
und nach die Stammgäste, die „dem Herrn Doktor" ihre ge-
sammelten Stadtneuigkeiten mittheilen, wofür daun dieser die
eben erfahrenen Weltneuigkeiten erzählt. Die Stammgäste sind
glücklich auf diese Weise mit der Weltgeschichte stets au kalt
zu sein und in so direktem Verkehr mit der betreffenden Zeitung
zu stehen. Mancher bringt es sogar zu einem eigenen Artikel-