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Der Vetter Eduard.

bic »öthigc Zeit dazu geben müsse. Doch dazu fehlte aller
Muth! Die beständige Erinnerung an meine Armuth, und
wie ich für all die schwer aufgebrachten Kosten so wenig vor-
wärts käme, hatten mir alle Selbstständigkeit geraubt und
mich ganz verschüchtert. Eben so schüchtern war ich in den
Claffen und meinen sämmtlichc» Mitschülern stand ich ferne,
denn auch die unschuldigsten und wohlfeilsten Vergnügungen,
die sich junge Leute mitunter gemeinsam erlauben, waren für
mich nicht vorhanden, und außerdem war mein Anzug immer
von der Art, daß ich mich lieber vor meinen Kameraden ver-
barg, als ihre Gesellschaft aufsuchte, da sie sich nicht wenig
über meine langen sackartigen Röcke auszuhalten und lustig zu
machen pflegte». Zch verbrauchte nach und nach die hinter-
lassene Garderobe des scl. Meister Girbich, und Farbe und
Schnitt meiner Kleidung waren gewöhnlich von solcher Be-
schaffenheit, daß ich froh war, wenn ich mich den Augen mei-
ner Kameraden entziehen und mich und meine wunderliche
Tracht daheim verbergen konnte. Es ist merkwürdig, aber ich
habe es noch immer und überall so gefunden: wo bei der
Kleidung gespart werden soll, da wird dieselbe mit einer^ un-
geheuren Verschwendung von überflüssigem Zeug angefertigt.
Die Knaben wohlhabender Eltern gehen in einem kurzen net-
ten Röckchen, und dem Armen, bei dem cs auf eine Elle Tuch
mehr oder weniger gar sehr ankommt, denk fallen die Rock- 1
schößc bis auf die Fersen und Aermel und Leib sind von einer
Weite, daß noch zwei Jungen seiner Größe hineinpaßten.
Kleider aber machen Leute, das ist in mehr als einer Bezie-
hung wahr, und ein Junge, der unter seinen Kameraden
immer nur wie eine Vogelscheuche herumgeht, der das bestän- 1
digc Ziel ihrer offnen oder versteckten Neckereien ist, der wird
endlich verscheucht und verschüchtert. — So hatte ich mich
langsam genug bis Prima hcraufgearbcitet, ich war bereits
zwanzig Jahr alt, groß gewachsen, mußte mich schon seit ge-
raumer Zeit rasiren, denn Muhme Girbich duldete auch nicht
den leisesten Anflug von Bart, war aber, Dank meiner be-
drängten, bevormundeten Lage, noch immer der schüchterne,
scheue Mensch, verachtet von meinen Kameraden, übersehen von
! den Lehrern.

Das Abiturienten-Eramen war gemacht; No. 1 hatte ich
freilich nicht erhalten, war indessen doch auch nicht durchge-
fallen, und konnte also die Universität beziehen. Nun aber
entstand eine nicht geringe Verlegenheit. Jetzt war Geld »ö-
thig und kcins da! Bisher hatte ich Alles bei meiner Muhme !
gesunde», was zum Leben gerade nöthig war; nun lag die
Reise vor mir, die Beschaffung eines Quartiers in der Uni- j
vcrsität und die Collcgicngcldcr. Meine Ausstattung aber
hatte die Mittel meiner Muhme vor der Hand völlig erschöpft.
Des seligen GirbichS Röcke waren nach und nach alle aufgc-
braucht, ich hatte bereits einen Rock von neuem Tuch und in
Anbetracht meines künftigen Standes gingen mir die Schößc
desselben doch nur bis an's Knie. Das war ein unbeschreiblich
wohlthuendcs Gefühl, als ich den Rock zum ersten Mal an-
zog. Mein Selbstgefühl stieg in jenen Augenblicken wirklich
I um einige Grade.

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Aber wie das Geld herbcischaffcn zur Reise und zur Ein-
richtung in der Musenstadt? Meine ganze Verwandtschaft hatte
beigcstcuert, aber es langte auch bei dem genausten Ucbcrschlag
auf keiner Ecke. Es war nur noch eine Hoffnung vorhanden.
— Zehn Meilen von uns wohnte in einem kleinen Land-
städtchen ein entfernter Verwandter, der Kaufmann Sattler,
der in dem Gerüche eines ansehnlichen Vermögens stand. Er
hatte sich nie um uns, und wir nie um ihn gekümmert. Jetzt
aber sollten, so war es im Familienrat!) beschlossen, die Vcr-
wandtschaftsrcchtc einmal geltend gemacht, und der reiche Onkel
um eine Beisteuer angesprochcn werden.

Ich selbst war zu meinem unaussprechlichen Schrecken
dazu auserkoren, das Bittgesuch persönlich und mündlich an-
zubringen. Man wagte den Pfennig, um den Thalcr zu
gewinnen; ich wurde mit einigem Reisegeld ausgestattct, meine
neuen Kleider trug ich in einem Bündel, um mich am Ziel
meiner Wanderung vorthcilhaft vor den Blicken meiner vor-
nehmen Verwandten produziren zu können, und mit vielen
guten Ermahnungen und Rathschlägcn versehen, wie ich mir
mein Geld und meine Kleider nicht sollte stehlen lassen, und
wie ich mich vor allen Verführungen der bösen Welt hüten
sollte, trat ich meine Wanderung an.

Zch kann mich des Tages noch entsinnen, als wären cs
erst wenige Wochen her; cs war ein Heller schöner Morgen,
als mich meine gute Muhme mit tausend Segenswünschen
entließ. Ich wandertc zur Stadt hinaus in die freie frische
Welt hinein, aber ich kann nicht sagen, daß ich etwas empfun-
den von der frohen seligen Reiselust, die ei» junges Herz beim
Beginn einer Wanderung ergreift.

(Fortsetzung folgt.)

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Vetter Eduard"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Sohn <Motiv>
Abschied <Motiv>
Karikatur
Reise
Mutter <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 29.1858, Nr. 689, S. 83

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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