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Der Vetter Eduard.

seiner Hand hinüber, und in der That, da prangte drüben j
über dem Laden eines ganz ansehnlichen Hauses ein Schild
und verkündete mit goldenen Buchstaben, daß sich hier die
Tabaks-, Spcccrci- und Matcrial-Waarcn-Handlung von E.
F. Sattler befinde. — Bebend trat ich in den Laden ein;
ein großer wohlhäbigcr Mann trat mir entgegen, und als ich
mit schüchterner Stimme fragte: „Habe ich vielleicht die Ehre,
Herrn Sattler zu sprechen?" so antwortete er mit freundlicher
Hast: „Vielleicht Vetter Eduard?" Nun heiße ich bekanntlich
Eduard, Herr Sattler war ein entfernter Onkel von mir, ich
konnte mich also mit Recht seinen Vetter nennen, und crwie-
derte also ganz erstaunt: „Ja allerdings ... aber ... wie
! wissen Sic denn?.." — „O herzlich willkommen!" fiel der
! Onkel ein, „die Tante hat geschrieben, liebster Herr Vetter.

Sic sind schon erwartet, von Ueberraschung ist hier keine Rede!

! Sie wohnen doch bei uns? Kommen Sie nur herauf!"

Ich segnete in meinem Herze» die gute, ehrliche Muhme;
sic hatte mich brieflich angemeldct die treue Seele! und ich
I wußte, wie schwer ihr das Schreiben falle, und wie ein Brief
eine wahre Riesenarbeit für sie sei. Unter solchen Betrach- :
hingen stieg ich mit dem freundlichen Onkel die Treppe hin-
auf. „Da ist Vetter Eduard!" mit diesen Worten schob mich
der Onkel in das Zimmer und mitten in die aufstehendc und
grüßende Familie hinein. Welch ein herzlicher Empfang wurde
! mir da zu Theil! Die Tante kam mir entgegen, drückte mir
i die Hand und meine Ankunft schien ihr die größte Freude zu
i bereiten. Die crröthcndcn Mädchen wurden mir vorgcstellt:

! „Meine Sophie, Herr Vetter! Hier Angelika, hier Louise!"

‘ Ich erschöpfte mich in tiefen ehrfurchtsvollen Verbeugungen. —
Nun muß ich nur gleich hier bemerken, fuhr der Pfarrer fort,
denn es wird euch längst klar geworden sein, daß meine Prinz-
Lischens-Rolle bereits begonnen, daß ich mein Lebtage nie
recht jugendlich ausgeschen; der Druck, unter dem ich einsam
hcrangewachscn, mochte auch das Seine dazu gcthan haben, j
kurz ich, der zwanzigjährige Bursche, konnte recht gut für einen
Fünfundzwanzigcr gelten. „Schon Kaffee getrunken, Herr
Vetter?" hieß eö; ich verneinte, und alsbald wurde der Nach-
mittagskaffee aufgetragen. Große, hohe Thürme ausgezeichneten
Gebäckes winkten mir, der ich das Mittagsessen umgangen
hatte, äußerst liebevoll zu, und da die gnädigen Verwandten
nicht müde wurden, anznbietcn, so aß und trank ich unsäglich
! viel, ganz wie es mein Appetit verlangte. Es ist mir heute
noch unerklärlich, daß sich im Laufe der lebhaften Unterhaltung
der seltsame Jrrthum, in dem wir Alle befangen waren, nicht
aufklärtc. Indessen, beide Thcile waren vollständig überzeugt,
daß alles in der besten Ordnung sei, und wie cs so geht,
man ging über manche dunkle und seltsame Erwiederung hin-
weg, ohne viel darüber ^u denken. Ich mcinesthcils beschränkte
mich ohnehin, vermöge meiner Schüchternheit, meist nur auf
kurze Antworten, und die redseligen Verwandten hatten so viel
zu thun, mich mit allen Verhältnissen ihres Hauses, mit den
interessantesten Neuigkeiten der Stadt und dergleichen zu un-
terhalten, daß meine Verhältnisse überhaupt nur wenig zur
Sprache kamen. Hin und wieder freilich däuchten mir manche

Fragen und manche scherzhafte Anspielung so fremd und son-
derbar, daß, wie ich mich wohl besinne, zwei- bis dreimal,
verbunden mit einer ungeheuren Bangigkeit, der Gedanke in
mir aufstieg, man möchte mich am Ende gar für Jemand
Anderen halten. Doch wies ich diesen Gedanken augenblicklich
als einen thörichtcn zurück. Wie war denn dies möglich?
Muhme Girbich hatte mich angemeldet — ich war ja doch
Vetter Eduard!

Meine liebe Cousine Sophie aber mußte in der That
ein wahres Ideal sein; was schön und vortrefflich im Hause
war, daran hatte sie irgendwie Theil genommen. Die herr-
lichen Kringel und Plätzchen, die schaarenweis zwischen meinen
Zähnen verschwanden, hatte sie gebacken; die zierliche Tischdecke
hatte sie gearbeitet; sic lernte, nach der Versicherung der Tante,
französisch, und cs kam auf nichts die Rede, was sie nicht
konnte, oder doch zu lernen im Begriff stand. — Nach dem
Kaffee führte mich der freundliche Oheim im ganzen Hause
herum, zeigte mir dessen Einrichtung, ließ mich all die Vor-
räthe bewundern und gab mir zu verstehen, daß er sein Schäf-
chen ganz ordentlich im Trocknen habe. Ich ging verwundert
und beschämt über diese Herablassung und Freundlichkeit neben
ihm her und bat ihm viel tausendmal im Herzen den Arg-
wohn ab, mit welchem ich mich, wie mit einer schweren Last,
den ganzen Weg hierher getragen hatte, cs würden die vor-
nehmen Verwandten mich kalt und kurz abweisen. Als wir
solchergestalt das Haus von oben bis unten besichtigt, hieß es:
„Herr Vetter, machen wir einen kleinen Spaziergang? was
meinen Sie?" Ich stotterte etwas von nicht beschwerlich fallen
wollen, aber da hieß es: „Nicht doch, nicht doch! das ist unS !

ein Vergnügen! Sie müssen doch unser Städtchen sehen, müs- l

sen sich vorläufig ein wenig bekannt machen!" — Vorläufig
bekannt machen? was hieß nun das? das gehörte mit, zu den
Dunkelheiten, die ich unverstanden hinnahm. Ich lächelte des-
halb nur verlegen, und wir zogen — die ganze Familie be-
gleitete uns — hinaus. Da wurden mir nun einige Häuser

gezeigt, die zum Verkauf stünden, hier ein schönes Logis, das

vermielhct werden sollte. Das bewunderte ich denn Alles pflicht-
schuldigst, indem ich meinte, das müsse wohl zu den Sehens-
würdigkeiten und Seltenheiten einer kleinen Stadt gehören. —
„Nun, Herr Vetter, jetzt werde» Sic wohl auch Ihren Stand
verändern, nicht wahr?" fragte der Oheim mit schmunzelndem
Lächeln. Es schien mir, als bliebe in dem Augenblick unsre
jugendliche Begleitung ein beträchtliches Stück zurück. Ich
armer Bursche lächelte blöde und sagte: „Allerdings, wenn
sich nur Jemand finden will..." — „Ha, ha! finden?" fiel
der Oheim ein, „unbesorgt, unbesorgt! Darum grämen Sie sich
nicht, dafür wollen wir schon sorgen!" Jetzt durchging mich
ein Entzückungsschauer, da war ja alle Noth gehoben! Also
der gute Onkel wollte mich unterstützen! denn von was an-
derem konnte er denn gesprochen haben, als von der Verän-
derung des Gymnasiasten zum Studenten?

„O, theurcr Onkel!" rief ich aus, „Sie wollen mir
wirklich behülflich sein..?" — „Verlassen Sie sich auf uns,"
crwiederte der Obeim lächelnd und klopfte mir auf die Achsel.
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