Der Vetter Eduard.
„Das weiß man ja, wie das ist. Wenn man nicht schon
Etwas im Voraus hat, da hcißts dann: Ja, wo solls denn
schnell Herkommen? Da ist's gut, wenn Jemand da ist, der
hübsch hilft mit Rath und That!" — „O theurcr Onkel,
wie soll ich Ihnen das danken!" rief ich entzückt, aber der
großmüthige Oheim schnitt alle weiteren Dankausbrüche ab
und sagte: „Nun davon reden wir später noch ausführlich!"
Als wir wiederum zu Haus angekommcn, erfuhr ich auch,
daß Sophie musikalisch sei und Klavier spiele. Als ich be-
kannte, ich könne auch etwas spielen, entstand darüber ein
großer Jubel, und die Eltern ruhten nicht eher, als bis wir
Beide, die wir uns um die Wette sträubten und entschuldig-
ten, wir könnten viel zu wenig, cs sei nicht der Rede wcrth,
doch so weit gebracht waren, ein vierhändiges Stück zu spie-
le». Sophie spielte wirklich sehr gcläusig. Hintennach ist mir
allerdings klar geworden, daß sie wohl etwas längst Eingcüb-
tcs gespielt, aber damals dachte ich daran nicht. So wurde
denn musicirt, dann kam das Abendessen; auch dabei hatte
Sophie geholfen. Es war crcellcnt! Der Onkel brachte oben-
drein eine Flasche Wein herzu und jetzt lebte ich, eigentlich
zum ersten Mal in meinem Leben, etwas auf. Ich wagte
: nach ungeheure» Kämpfe» und mühsamen Entschlüssen unter
> tiefem Erröthen einige vorsichtig zusammengcsuchtc, schmeichel-
hafte Worte an Sophie zu richten, und wie groß war meine
stolze Freude, als dieselben nicht allein von ihr, fondcrn auch,
wie es schien, von Papa und Mama freundlich ausgenommen
j wurden. Meine Stimmung läßt sich in der That kaum be-
j schreiben, ich schwärmte im Stillen für diese vortreffliche Fa-
milie. Endlich fing der großmüthige Onkel an: „Aber der
Herr Vetter werden müde sein!" Ach wie gern hätte ich noch
lang in dieser Gesellschaft gesessen, ich fühlte mich nun so
heimisch in diesem Kreise; war es doch das erste Mal in
meinem Leben, daß ich überhaupt beachtet wurde, und nun
obendrein von solch vornehmen Verwandten; aus Furcht aber,
den theuren Verwandten lästig zu fallen, da sic pch vermut-
lich gern zur Ruhe begeben wollten, sagte ich, so wenig mir'ö
auch vom Herzen ging: „Nun allerdings... etwas müde..."
j — „Ja natürlich," siel die freundliche Tante ein, „Sic sind
' den ganzen Tag gereist! Nun wir werden Sic ja wohl noch
oft sehen! Sic kommen in Ihren freien Zeiten doch recht oft
zu uns, Herr Vetter, nicht wahr?" — Das war wieder eine
Frage, die ich mir nur schwer zurecht legen konnte. Indessen
erwiderte ich: „Gewiß, wenn Sie es erlauben, in meinen Va-
j canzcn!" „Ja, ja! so oft Sic können, Herr Vetter! Unser
Haus steht Ihnen offen!" Ich stammelte eine Fluth erneuter
j Danksagungen hervor, und die liebe Tante, nachdem sie die
j Gewißheit öfterer Besuche von meiner Seite empfangen, zün-
dete ein Licht au und sagte: „Nun bitte kommen Sie, Ihr
Stübchen ist bereit, Sic werden aber vorlieb nehmen müssen!"
Ich drückte der ganzen Familie mit unsäglich dankbarer Zärt-
lichkeit die Hand zur guten Nacht und stieg mit der wohl-
wollenden Tante hinauf in mein Stübchen. Meine glücklichen
j Blicke schweiften in dem nett eingerichteten Zimmer umher,
! das ich bereits als mein Absteigequartier in den Ferienzeiten
91
betrachtete. — „Nicht wahr," begann die Tante, als sie das
Licht auf dem Tische anzündetc, „die Vorhänge machen sich
ganz nett?" — „Allerliebst sind sic," fiel ich ein. — „Sophie
hat sic gestrickt," mar die Antwort. „Wir könnten ja auch
bunte Vorhänge anschaffcn, wie man sic in vornehmen Häu-
sern zuweilen sieht, darüber kämen wir schon noch allenfalls
weg, aber die Sophie ..." — „Natürlich, natürlich," fiel ich
ein, „das ist ja auch viel... viel..." — „So denken wir
auch!" crwicdcrte die Tante, und »erließ mit einem : „Nun
so schlafe» Sie nur recht wohl, und lassen Sic sich was Lie-
bes träumen!" das Zimmer. Es war eine wunderbare Ucbcr-
einstimmung der Gedanken zwischen uns. Sie dachte gerade
so wie ich, und ich dachte so zu sagen gar nichts. „Viel pro-
fitabler" hatte ich eigentlich sagen wollen, da durchzuckte mich
noch zeitig genug mit einem unsäglichen Schrecken der Ge-
danke an die unverzeihliche Unschicklichkeit, die darin lag, bei
solch' reichen Leuten den Kostenpunkt in Rechnung zu bringen.
Profitabel! das Wort durfte nicht über die Lippe», und ein
anderes fiel mir wahrhaftig nicht ein. Um so froher war ich,
daß sich die Tante nicht nur mit dem halben Satz begnügte,
sondern sogar erklärte, wie sie ganz derselben Meinung sei.
Mit unbeschreiblicher Wonne ging ich nun in dem klei-
nen netten Stübchen auf und ab. Welch' ein unerwartet
günstiges Ende dieser sorgenvoll begonnenen Wanderung! Die
gute Muhme! Ihr verdankte ich doch zum größtenthcil diese
glückliche Wendung. Hätte ich mich selbst einführen müssen,
ich hätte es gewiß so ungeschickt angcfangen, daß die lieben
Verwandten gleich von Anfang an gegen mich eingenommen
wären. — Nun begann ich, aufgeregt durch die ungewohnten
Genüsse, sowohl des Weins, als noch mehr der freundlichen
achtungsvollen Behandlung, die ich im Kreise der vornehmen
Verwandten erfahren, halblaut eine Lobrede auf diese vor-
trefflichen Leute. „Ja," sagte ich, „so können uns Vorurtheilc
blenden und ungerecht machen! Vorurtheilc, die sich auf nichts
gründen! Da haben wir nun zu Hause stets von den Satt-
lers gesprochen, wie von stolz unfreundlichen Leuten! mit wel-
cher Furcht bin ich hierher gekommen, und wo hätte ich eine
freundlichere Aufnahme finden können? Welche Leute! was für
ein Mädchen, diese Sophie! trotz all' ihrer Vorzüge, ihrer
erstaunlichen allseitigc» Kenntnisse so freundlich und liebevoll
gegen mich, den armen unbedeutenden Burschen! Nun ist ja
alle Noth zu Ende! Er will für mich sorgen, der redliche Onkel,
und er wird eS gewiß so thun, daß ich hinlänglich haben
werde. Welch ein glücklicher Tag!" — Zum erstenmalc stieg
die Aussicht auf das Studentenleben, ein heiteres ungetrübtes
Bild vor mir herauf. Ich öffnete das Fenster und blickte hin-
aus in den dunklen stillen Abend, der Marktplatz lag schwei-
gend vor mir, hie und da in den Häusern blinkten erleuchtete
Fenster.
(Schluß folgt.)
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„Das weiß man ja, wie das ist. Wenn man nicht schon
Etwas im Voraus hat, da hcißts dann: Ja, wo solls denn
schnell Herkommen? Da ist's gut, wenn Jemand da ist, der
hübsch hilft mit Rath und That!" — „O theurcr Onkel,
wie soll ich Ihnen das danken!" rief ich entzückt, aber der
großmüthige Oheim schnitt alle weiteren Dankausbrüche ab
und sagte: „Nun davon reden wir später noch ausführlich!"
Als wir wiederum zu Haus angekommcn, erfuhr ich auch,
daß Sophie musikalisch sei und Klavier spiele. Als ich be-
kannte, ich könne auch etwas spielen, entstand darüber ein
großer Jubel, und die Eltern ruhten nicht eher, als bis wir
Beide, die wir uns um die Wette sträubten und entschuldig-
ten, wir könnten viel zu wenig, cs sei nicht der Rede wcrth,
doch so weit gebracht waren, ein vierhändiges Stück zu spie-
le». Sophie spielte wirklich sehr gcläusig. Hintennach ist mir
allerdings klar geworden, daß sie wohl etwas längst Eingcüb-
tcs gespielt, aber damals dachte ich daran nicht. So wurde
denn musicirt, dann kam das Abendessen; auch dabei hatte
Sophie geholfen. Es war crcellcnt! Der Onkel brachte oben-
drein eine Flasche Wein herzu und jetzt lebte ich, eigentlich
zum ersten Mal in meinem Leben, etwas auf. Ich wagte
: nach ungeheure» Kämpfe» und mühsamen Entschlüssen unter
> tiefem Erröthen einige vorsichtig zusammengcsuchtc, schmeichel-
hafte Worte an Sophie zu richten, und wie groß war meine
stolze Freude, als dieselben nicht allein von ihr, fondcrn auch,
wie es schien, von Papa und Mama freundlich ausgenommen
j wurden. Meine Stimmung läßt sich in der That kaum be-
j schreiben, ich schwärmte im Stillen für diese vortreffliche Fa-
milie. Endlich fing der großmüthige Onkel an: „Aber der
Herr Vetter werden müde sein!" Ach wie gern hätte ich noch
lang in dieser Gesellschaft gesessen, ich fühlte mich nun so
heimisch in diesem Kreise; war es doch das erste Mal in
meinem Leben, daß ich überhaupt beachtet wurde, und nun
obendrein von solch vornehmen Verwandten; aus Furcht aber,
den theuren Verwandten lästig zu fallen, da sic pch vermut-
lich gern zur Ruhe begeben wollten, sagte ich, so wenig mir'ö
auch vom Herzen ging: „Nun allerdings... etwas müde..."
j — „Ja natürlich," siel die freundliche Tante ein, „Sic sind
' den ganzen Tag gereist! Nun wir werden Sic ja wohl noch
oft sehen! Sic kommen in Ihren freien Zeiten doch recht oft
zu uns, Herr Vetter, nicht wahr?" — Das war wieder eine
Frage, die ich mir nur schwer zurecht legen konnte. Indessen
erwiderte ich: „Gewiß, wenn Sie es erlauben, in meinen Va-
j canzcn!" „Ja, ja! so oft Sic können, Herr Vetter! Unser
Haus steht Ihnen offen!" Ich stammelte eine Fluth erneuter
j Danksagungen hervor, und die liebe Tante, nachdem sie die
j Gewißheit öfterer Besuche von meiner Seite empfangen, zün-
dete ein Licht au und sagte: „Nun bitte kommen Sie, Ihr
Stübchen ist bereit, Sic werden aber vorlieb nehmen müssen!"
Ich drückte der ganzen Familie mit unsäglich dankbarer Zärt-
lichkeit die Hand zur guten Nacht und stieg mit der wohl-
wollenden Tante hinauf in mein Stübchen. Meine glücklichen
j Blicke schweiften in dem nett eingerichteten Zimmer umher,
! das ich bereits als mein Absteigequartier in den Ferienzeiten
91
betrachtete. — „Nicht wahr," begann die Tante, als sie das
Licht auf dem Tische anzündetc, „die Vorhänge machen sich
ganz nett?" — „Allerliebst sind sic," fiel ich ein. — „Sophie
hat sic gestrickt," mar die Antwort. „Wir könnten ja auch
bunte Vorhänge anschaffcn, wie man sic in vornehmen Häu-
sern zuweilen sieht, darüber kämen wir schon noch allenfalls
weg, aber die Sophie ..." — „Natürlich, natürlich," fiel ich
ein, „das ist ja auch viel... viel..." — „So denken wir
auch!" crwicdcrte die Tante, und »erließ mit einem : „Nun
so schlafe» Sie nur recht wohl, und lassen Sic sich was Lie-
bes träumen!" das Zimmer. Es war eine wunderbare Ucbcr-
einstimmung der Gedanken zwischen uns. Sie dachte gerade
so wie ich, und ich dachte so zu sagen gar nichts. „Viel pro-
fitabler" hatte ich eigentlich sagen wollen, da durchzuckte mich
noch zeitig genug mit einem unsäglichen Schrecken der Ge-
danke an die unverzeihliche Unschicklichkeit, die darin lag, bei
solch' reichen Leuten den Kostenpunkt in Rechnung zu bringen.
Profitabel! das Wort durfte nicht über die Lippe», und ein
anderes fiel mir wahrhaftig nicht ein. Um so froher war ich,
daß sich die Tante nicht nur mit dem halben Satz begnügte,
sondern sogar erklärte, wie sie ganz derselben Meinung sei.
Mit unbeschreiblicher Wonne ging ich nun in dem klei-
nen netten Stübchen auf und ab. Welch' ein unerwartet
günstiges Ende dieser sorgenvoll begonnenen Wanderung! Die
gute Muhme! Ihr verdankte ich doch zum größtenthcil diese
glückliche Wendung. Hätte ich mich selbst einführen müssen,
ich hätte es gewiß so ungeschickt angcfangen, daß die lieben
Verwandten gleich von Anfang an gegen mich eingenommen
wären. — Nun begann ich, aufgeregt durch die ungewohnten
Genüsse, sowohl des Weins, als noch mehr der freundlichen
achtungsvollen Behandlung, die ich im Kreise der vornehmen
Verwandten erfahren, halblaut eine Lobrede auf diese vor-
trefflichen Leute. „Ja," sagte ich, „so können uns Vorurtheilc
blenden und ungerecht machen! Vorurtheilc, die sich auf nichts
gründen! Da haben wir nun zu Hause stets von den Satt-
lers gesprochen, wie von stolz unfreundlichen Leuten! mit wel-
cher Furcht bin ich hierher gekommen, und wo hätte ich eine
freundlichere Aufnahme finden können? Welche Leute! was für
ein Mädchen, diese Sophie! trotz all' ihrer Vorzüge, ihrer
erstaunlichen allseitigc» Kenntnisse so freundlich und liebevoll
gegen mich, den armen unbedeutenden Burschen! Nun ist ja
alle Noth zu Ende! Er will für mich sorgen, der redliche Onkel,
und er wird eS gewiß so thun, daß ich hinlänglich haben
werde. Welch ein glücklicher Tag!" — Zum erstenmalc stieg
die Aussicht auf das Studentenleben, ein heiteres ungetrübtes
Bild vor mir herauf. Ich öffnete das Fenster und blickte hin-
aus in den dunklen stillen Abend, der Marktplatz lag schwei-
gend vor mir, hie und da in den Häusern blinkten erleuchtete
Fenster.
(Schluß folgt.)
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