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Der trauernde Hase.
Es sitzt im Gras der alte Hase
So gramerfüllt und kummervoll;
Heut' ist's im Herzen ihm so wehe,
Nicht munden will ihm Reps und Kohl.
Ach, neben ihm in ihrem Blute
Walzt seine Gattin sich, die gute.
In Brust und Herz ist ihr gedrungen
Des wilden Jägers tödtlich Schrot;
Nun liegt sic in den letzten Zügen,
Todt findet sie das Morgcnroth.
Verzweiflungsvoll, mit stummem Harme,
Sieht sie verenden schon der Arme.
Und also Hub er an zu klagen:
„Ach, wenn statt ihrer mich zerfetzt
Doch nur des Jägers Kugel hätte!
Ach, hätt' er doch auf mich gehetzt
Die wilde Meute! Gern erkalten
Wollt ich, könnt' ich nur sie erhalten!
„Ach, könnte ich mich doch erdolchen,
Daß mein Blut mit dem ihrem fließt!
Was hilft der fette Reps im Felde,
Wenn sie ihn nicht mit mir genießt!
Aus ist cs nun mit meinem Glücke!
Kommt, Hunde, kommt, reißt mich in Stücke!
Die Thränen fließen ihm in Strömen
Die Wang' herab um Kinn und Bart.
Er merkt es nicht in seinem Harme,
Daß lüstern sich ein Fuchs ihm naht.
Der schleicht heran wie eine Katze,
Packt ihn mit mörderischer Tatze.
Erbärmlich schreit der alte Hase,
Als er nun fühlt des Fuchses Zahn:
„Herr Reineckc, ach laßt mich leben!
O geht und rühret mich nicht an!
Der letzte Botengang.
Herr Fuchs, warum denn mich zerreissen?
Wollt ihr nicht meine Frau verspeisen?"
Ihr Weiber, Euch zu Nutz und Frommen
Hab' ich geschrieben dies Gedicht.
O trauet nur den schönen Worten
Und Reden Eurer Männer nicht;
Und sprächen sic die schönste» Phrasen,
Sic denken just doch wie die Hasen!
Der letzte Botengang.
(Schluß.)
Der Wind blicß ihm scharf in's Gesicht und trieb ihm
Regentropfen und Schneeflocken in die Augen; kurz cs war
ein so günstiges Wetter'! wie man's nur wünschen könnt' und
der Seppl war ganz munter. —
Weil er heute keine besonders kostbare Last hatte und
das Wetter so war, daß die Grünen lieber in den Federn
blieben, als draußen sich ausblasen zu lassen, so brauchte er
ja keine gar große Vorsicht anzuwenden. Er wählte deßhalb
eine Furth, die nicht gar weit von der Brücke abwärts lag.
Nach einem halbstündigen Marsch an entblätterten Obstgärten
vorbei und über durchweichte Felder, dann durch ein langhin-
gedehntes Wicscnthal, das der Regen in einen Sumpf ver-
wandelt hatte, lag jetzt der Fluß vor ihm, umsäumt von dich-
tem Röhricht und Saal-Wcidengebüsch, ans welchem sich schwarze
Erlen gruppenweise in die Höhe reckten bis an den finstern
Nachthimmcl, und so stolz den nieder» Anwuchs überragten,
wie der lange Herr Schulmeister und der Küster aus dem
Zug ihrer Schulkinder bei der Prozession.
Mit sicherm Fuße schlich jetzt der Scpp'l durch die Schneu-
sen des Gestrüpps und stand nun am User. Er hielt die
hohle Hand an's Ohr und lauschte und lugte scharf hinüber
an's andre Ufer, wo sich ein paar alte, knorrige Weiden gar
seltsam über's Wasser neigten. Aber so sehr er auch Augen
und Ohren anstrengte, war's doch »it möglich, etwas genau
zu unterscheiden in der Dunkelheit, und hören könnt er auch
Nichts, als von Zeit zu Zeit, wenn der Sturm just schwieg,
das ferne Rauschen des Wassers über das eine halbe Stunde
aufwärts gelegene Mühlenwchr; jetzt aber saußte die Winds-
braut wieder mit voller Macht über die Wasserfläche hin und
peitschte die Fluth auf's sandige Gestade, als hätte sich Herr
Boreas das ganze Jahr über, all' seine Kraft für die einzige
Nacht ausgespart und die langen Erlen bogen sich knarrend, äch-
zend und stöhnend, wie bis auf's Leben verwundet von der
Wuth des Sturmes.
Scppel entschloß sich jetzt aus Glück und Geschick hinü-
bcrzuwaten und zog die langen Schäfte seiner Wasserstiefel
über die Schenkel herauf, — da meinte er plötzlich, als hätt'
er durch den Wind von drüben herüber ein Pfeifen gehört,
wie den Ruf eines Käuzleins — und nun wieder! — »nd
jetzt hörte er auch den halblauten Anruf einer Grenzwache. —
Rasch und vorsichtig zog sich der Schwärzer durch das raschelnde
j Röhricht zurück, indem er mürrisch vor sich hinbrummte:
Der trauernde Hase.
Es sitzt im Gras der alte Hase
So gramerfüllt und kummervoll;
Heut' ist's im Herzen ihm so wehe,
Nicht munden will ihm Reps und Kohl.
Ach, neben ihm in ihrem Blute
Walzt seine Gattin sich, die gute.
In Brust und Herz ist ihr gedrungen
Des wilden Jägers tödtlich Schrot;
Nun liegt sic in den letzten Zügen,
Todt findet sie das Morgcnroth.
Verzweiflungsvoll, mit stummem Harme,
Sieht sie verenden schon der Arme.
Und also Hub er an zu klagen:
„Ach, wenn statt ihrer mich zerfetzt
Doch nur des Jägers Kugel hätte!
Ach, hätt' er doch auf mich gehetzt
Die wilde Meute! Gern erkalten
Wollt ich, könnt' ich nur sie erhalten!
„Ach, könnte ich mich doch erdolchen,
Daß mein Blut mit dem ihrem fließt!
Was hilft der fette Reps im Felde,
Wenn sie ihn nicht mit mir genießt!
Aus ist cs nun mit meinem Glücke!
Kommt, Hunde, kommt, reißt mich in Stücke!
Die Thränen fließen ihm in Strömen
Die Wang' herab um Kinn und Bart.
Er merkt es nicht in seinem Harme,
Daß lüstern sich ein Fuchs ihm naht.
Der schleicht heran wie eine Katze,
Packt ihn mit mörderischer Tatze.
Erbärmlich schreit der alte Hase,
Als er nun fühlt des Fuchses Zahn:
„Herr Reineckc, ach laßt mich leben!
O geht und rühret mich nicht an!
Der letzte Botengang.
Herr Fuchs, warum denn mich zerreissen?
Wollt ihr nicht meine Frau verspeisen?"
Ihr Weiber, Euch zu Nutz und Frommen
Hab' ich geschrieben dies Gedicht.
O trauet nur den schönen Worten
Und Reden Eurer Männer nicht;
Und sprächen sic die schönste» Phrasen,
Sic denken just doch wie die Hasen!
Der letzte Botengang.
(Schluß.)
Der Wind blicß ihm scharf in's Gesicht und trieb ihm
Regentropfen und Schneeflocken in die Augen; kurz cs war
ein so günstiges Wetter'! wie man's nur wünschen könnt' und
der Seppl war ganz munter. —
Weil er heute keine besonders kostbare Last hatte und
das Wetter so war, daß die Grünen lieber in den Federn
blieben, als draußen sich ausblasen zu lassen, so brauchte er
ja keine gar große Vorsicht anzuwenden. Er wählte deßhalb
eine Furth, die nicht gar weit von der Brücke abwärts lag.
Nach einem halbstündigen Marsch an entblätterten Obstgärten
vorbei und über durchweichte Felder, dann durch ein langhin-
gedehntes Wicscnthal, das der Regen in einen Sumpf ver-
wandelt hatte, lag jetzt der Fluß vor ihm, umsäumt von dich-
tem Röhricht und Saal-Wcidengebüsch, ans welchem sich schwarze
Erlen gruppenweise in die Höhe reckten bis an den finstern
Nachthimmcl, und so stolz den nieder» Anwuchs überragten,
wie der lange Herr Schulmeister und der Küster aus dem
Zug ihrer Schulkinder bei der Prozession.
Mit sicherm Fuße schlich jetzt der Scpp'l durch die Schneu-
sen des Gestrüpps und stand nun am User. Er hielt die
hohle Hand an's Ohr und lauschte und lugte scharf hinüber
an's andre Ufer, wo sich ein paar alte, knorrige Weiden gar
seltsam über's Wasser neigten. Aber so sehr er auch Augen
und Ohren anstrengte, war's doch »it möglich, etwas genau
zu unterscheiden in der Dunkelheit, und hören könnt er auch
Nichts, als von Zeit zu Zeit, wenn der Sturm just schwieg,
das ferne Rauschen des Wassers über das eine halbe Stunde
aufwärts gelegene Mühlenwchr; jetzt aber saußte die Winds-
braut wieder mit voller Macht über die Wasserfläche hin und
peitschte die Fluth auf's sandige Gestade, als hätte sich Herr
Boreas das ganze Jahr über, all' seine Kraft für die einzige
Nacht ausgespart und die langen Erlen bogen sich knarrend, äch-
zend und stöhnend, wie bis auf's Leben verwundet von der
Wuth des Sturmes.
Scppel entschloß sich jetzt aus Glück und Geschick hinü-
bcrzuwaten und zog die langen Schäfte seiner Wasserstiefel
über die Schenkel herauf, — da meinte er plötzlich, als hätt'
er durch den Wind von drüben herüber ein Pfeifen gehört,
wie den Ruf eines Käuzleins — und nun wieder! — »nd
jetzt hörte er auch den halblauten Anruf einer Grenzwache. —
Rasch und vorsichtig zog sich der Schwärzer durch das raschelnde
j Röhricht zurück, indem er mürrisch vor sich hinbrummte:
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der trauernde Hase"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Biss <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 29.1858, Nr. 704, S. 206
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg