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Fliegende Blätter — 32.1860 (Nr. 757-782)

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Nr. 762
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https://doi.org/10.11588/diglit.3266#0048
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Mißverständnisse.

Augcudeckel schwebte vor mir das liebliche Köpfchen mit den
Sonnenaugen, den flatternden Locken, den glühenden Wangen,
öcm kleinen rosigen Mund mit seinem muthwilligcn, entzücken-
den Lächeln! — da schob sich plötzlich ein dickes Haupt zwischen
uns hinein, — der Papa, eben erwacht, war der Meinung,
cs mache sehr warm, wenigstens vicrundzwanzig Grad und
ei» Gewitter wäre keines von den unmöglichen Dingen. Ich
war ganz derselben Meinung, nur in anderem Sinne, doch
dem Himmel sei Dank! der Zauber war gelöst und ohne er-
neuerte Anfechtungen kamen wir in Au an und begaben uns
in den Garte», wo sich größere Gesellschaft vorfand. Das
er>t noch fast ausgelassene Mädchen war sehr still geworden
und saß mit halb gesenktem Köpfchen mir gegenüber, schein-
bar nur damit beschäftigt, eine vom nahen Strauche gebrochene
Ro>c zu entblättern, die zarten Blättchen zu einem lateini-
schen E auf dem Tische zusammenzufügen, und das vollendete
Werk alsbald wieder zu zerstören. Wenn ich Dich, geneigter
^cser! nun belehre, daß mein Taufname Eugen ist, wirst
Du mich der Eitelkeit beschuldigen, wenn ich dieses E in
Zusammenhang mit meiner Person brachte, und in dieser
Voraussetzung eine neue Unruhe sich meiner bemächtigte? Der
alte Herr war glücklicher Weise in der gesprächigsten Laune,
und besänftigte dadurch einigermaßen meine aufgeregten Le-
bensgeister; er wurde im Verlause des Abends so heiter und
liebenswürdig, wie ich ihn zuvor nicht gesehen, er drückte mir
die Hände, als wäre ich der Gegenstand einer zärtlichen Ncig-
ung, versicherte mich wiederholt seiner Freude, meine Bckannt-
schaft gemacht zu haben, und ich mußte ihm in die Hand gelo-
ben, ihn einmal aus seinem Landsitze zu besuchen. Ganz wohl
war mir übrigens bei der Sache doch nicht. — „Beide," so
lagtc ich mir im Stillen, „Vater und Tochter finden Wohl-
gefallen an Dir, das ist nicht abzuläugncn, — sollte sich da-
mit ein gewisser Plan verbinden? — Nimm Dich zusammen,
eas könnte Dir schlimme Verlegenheiten bereiten!" so schloß
1 ) meinen lautlosen Monolog, indem ich mir Vorsicht gelobte.

Auch während der Rückfahrt blieb Nannchcn still und
!” 'l ^ gekehrt; sic hatte sich ohne ein Wort darüber zu vcr-
~ater gesetzt, was mir nicht ganz unlieb war,
gewesen"^""' Herfahrt war doch hübscher

SriiBfturf i°lrbCU borgen traf ich meine Leutchen zum
üNlystuck, das-wir seit D . ,s

! nommen hatten, meiner ^ . ^-n ^ets zusammen emge-

... meine» . ^M'end im Garten. Ich setzte mich

ans ibrcr Hand d"e» ^latz neben Nannchcn und erhielt

war sie stiller aH ” ^'""^schcn Morgentrank. Auch heute

bleich mein ^wvsnllch, s,x schim mir sogar ein wenig

bleich, -- meine thnlnehmcnde ' J r J

Fahrt nicht gut bekommen? erwiderte - 2 '' Ocstnge

,Müsch,., „v doch!" Der . ''!'. ““ ”'!

SrCr'k‘'wfä,',;rt bi. U..ÄL-7L7 - !"

bteim Umstanden jebcn Augenblick einen Riß 2>a trat u,
ZTJX0*] 'in Zunge mit Nelkensträußchen an den Tisch;
lch luchte einige der farbenreich,ten aus, und legte sie vor
Nannchcn Heu. - „Ach, ich liebe diese Blumen so sehr,"

sagte sie, indem sic den Strauß an ihr Näschcn hielt, „sie !
sollen mit mir »ach Hause wandern, als Andenken an das
schöne Brunncnthal!"

„Recht schmeichelhaft für mich," cntgcgncte ich lächelnd, !
„dem Geber also fällt kein freundlicher Gedanke beim Anblick 1
der Blumen zu — so haben Sie cs doch gemeint?"

„Bah! sie schwatzt Unsinn!" fiel, von seinem Blatte aus-
blickcnd, der Papa ein, „wenn ich einen welken Strauß auf-
bcwahre, so gcschieht's dem zu lieb, von welchem ich ihn er-
halten habe. Glauben Sic mir nur Herr Oberauditor, sie
weiß das wohl!" und der alte Herr lachte und warf Nann-
chen einen bedeutsamen Blick zu, der ihr das Blut in die I
Wangen jagte. Wahrscheinlich um ihre Verlegenheit zu ver-
bergen, beugte sie sich abermals tief auf die duftenden Blumen
nieder; da plötzlich schrie sic auf, sprang von der Bank em-
por, und der Nelkenstrauß flog zur Erde; eine in den Blumen
versteckt gewesene Wespe hatte das arme Kind in's Näschcn
gestochen, Thräncn heftigen Schmerzes flössen über die erbleich-
ten Wangen hinab. Als sie aber die ängstliche Sorge ihres i
Vaters und meinen Schrecken wahrnahm — da versuchte sie i
zwischen die Thräncn hindurch zu lächeln, und ich rannte j
jetzt in's HauS, um geeignete Mittel zur Linderung des
Wehes hcrbcizuschaffen.

Nannchcn hatte inzwischen einen kleinen Spiegel aus
ihrem Nähzeug hervorgcsucht, und betrachtete, das Köpfchen
aus den einen Arm gestützt, das angerichtcte Unglück. „Ich
werde recht garstig werden," meinte sie und versuchte abermals
ein Lächeln, „doch thut cs nicht mehr sehr weh!" Der Strauß,
welchen sic im ersten Schrecken von sich geworfen, lag, wie ich
jetzt bemerkte, wieder vor ihr; — dieses zarte Benehmen
während eines so peinlichen Wch's, rührte mich innigst, und
ohne zu überlegen, waö ich that, ergriff ich eines der feinen
Händchen und drückte cs an die Stelle der Uniform, unter
welcher mein Herz, stärker als cs gut war, klopfte. „Werden
Sic mir nicht böse sein?" flüsterte ich, — sanft entzog sic
mir die Hand, und indem sie ihr Nähzeug zusammcnnahm
und sich erhob, crwicdertc sie freundlich: „Sic tragen ja keine >
Schuld an dem Unglück! aber ich kann mich nicht länger !
sehen lassen, und Sic müssen schon so gut sein und Papa
allein Gesellschaft leisten." Damit entfernte sie sich, und j
ließ mich ziemlich niedergeschlagen bei dem alten Herr» zurück, j

Den ganzen und auch den folgenden Tag blieben Ba- j
tcr und Tochter für mich unsichtbar, und ich ward nachgerade
unruhig, die Verwundung durch das häßliche Thierchcn könnte
ernstere Folgen nach sich gezogen haben; da ich jedoch Anstand
nahm, mich persönlich nach dem Befinden der Patientin zu
erkundigen, so that ich dies in einem Billct, welches ich
zur Besorgung meinem Bedienten übergab.

(Fortsetzung folgt.)

6

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