42 Mißverständnisse.
Mit dcm zu Villafranca erfolgten Friedensschlüsse galt
auch für unsere Truppen der Feldzug als beendigt; ein großer
Thcil der einbcrufenen Mannschaft ward entlassen, das Haupt-
quartier aber, seiner nahen Auflösung gewärtig, nach Brun-
nen thal verlegt, nur wenige Stunden entfernt von meinem
häuslichen Herde, von welchem ick wenige Wochen zuvor den
bitter» Abschied genommen.
Da meine Dienstgcschästc nur die eine Hälfte des Tages
in Anspruch nahmen und ich, als Obcrauditor der Fclddivision,
außer meinem Reitpferde auch noch Equipage zu halten hatte,
so benützte ich die Nachmittage meist zu Ausflügen, sowohl zu
Roß als zu Wage», in die näheren Umgebungen meines der-
maligen Wohnsitzes. Meine Frau hatte vor meiner wahrschein-
lich baldigen Rückkehr noch große häusliche Revolutionen zu
beseitigen, und die Erfahrung mich belehrt, daß der Mann
; sicherer im Hauptquartiere, ja selbst im offenen Felde aufge-
hoben ist, als Angesichts der manövcrircndcn Kchr-
und anderer Wische, gar nicht zu gedenken des verlän-
gerten Antlitzes der thcucrn Ehehälfte bei einer
Störung ihres ordnenden Waltcns, und so hatte ich
bei mir beschlossen, die Freude des Wiedersehens für den Tag
der Wiedervereinigung aufzusparen, und inzwischen mich zu
zerstreuen, so gut es die Sehnsucht nach Haus und Herd eben
! zuließe.
Während der Badesaisvn ist kaum ein angenehmerer
Aufenthalt denkbar als Brunncnthal — ganz abgesehen von
dcm Zauber einer paradiesischen Umgebung, für welche Schön-
heiten ich übrigens ein sehr empfängliches Gemüth besitze.
Einige Schritte vom Hütcl, das ich bewohnte, in den Garten
hinab und man war sicher, anregende, ja anziehende Gesellschaft
zu finden, mochte man auch noch so anspruchsvoll in der Wahl
der Unterhaltung sein. Ich für meine Person ziehe ein gc-
müthliches Geplauder, das uns erlaubt auch den übrigen
Sinnen Rechnung zu tragen, jedem andern aufregenderen vor,
und so war es gekommen, daß ich mich seit einigen Abenden
! stets an der Seite eines ältlichen freundlichen Herrn aus dcm
Hoheloh'schcn befand, der mit einem bildhübschen Töchtcrlcin
j von etwa achtzehn Jahren als Brunnengast das gleiche Hütcl
wie ich bewohnte, und des Abends sicher an einem der so
! köstlich zwischen Gebüschen versteckten Tischen zu finden war,
; wo er seine Pfeife dampfte, während das junge Fräulein mit
j einer bunten Stickerei sich beschäftigte.
Das erste Mal, da ich grüßend an ihre Seite trat,
schien sie sichtlich betroffen bei meinem Anblick und ohne eitel
zu sei», konnte ich mir doch schmeicheln, daß der Eindruck,
welchen ick gemacht, kein unangenehmer gewesen sein mußte.
Den ganzen Abend — denn ick hatte mich neben dem Papa
niedergelassen — war das holde Kind äußerst befangen; sic
erröthcte bei jedem Worte, das ich an sie richtete, und warf
! mir nur halb verstohlene Blicke zu, wenn sie die meinen an-
derswo beschäftigt glaubte. Den folgenden Tag ging cs schon
besser; Rannchen (so nannte sic dcrPapa) mochte die Ncber-
zcugung gewonnen haben, daß, da in der glänzenden Uniform
ja doch nur ein harmloser Civil-Kern stecke, die Sache auch
nicht so gefährlich sein, und sic ein Paar freundliche Worte
und Blicke wohl wagen könne. Am dritten Abende machte sie mir
bei meinem Erscheinen im Garten schon ganz zutraulich Platz an
ihrer Seite, bot mir, mit einem holdseligen Blick aus den schönen,
braunen Augen, einen Teller mit Kaltschaalc an und schien, da
der alte Herr sich in eine Zeitung vertieft, entschlossen, durch
das liebenswürdigste Geplauder von der Welt die dadurch
entstandene Lücke in der Konversation ausfüllen zu wollen.
Ich meines Theils hatte mir vorgenommen gehabt, des Um-
standes, daß ich bereits in Hymens Rosenfesseln gebunden
lag, heute Erwähnung zu thun; da cs mich aber stets schwer
ankömmt, gegen meine Grundsätze zu handeln, und einer der-
selben der ist: so wenig als möglich von meinem Ich zu
spreche», — ich ferner meine Frau für mein zweites und
zwar besseres Ich zu betrachten gewöhnt bin, so umging ich
heute dieses Thema, indem ich mich auf eine, zu derlei Erör-
terungen passendere Stunde vertröstete.
Daß sch, als derzeitiger Besitzer eines hübschen, mit zwei
muthigen Rossen bespannten Charabanc, gegen meine anziehende
Bekanntschaft den Galanten machte, sic jeden zweiten Tag
wenigstens nach einem der umliegenden Dörfer oder Weiler
spazieren führte, wird Jedem als eine sich von selbst ver-
stehende Sache cinleuchten. Johann, mein Kutscher, mußte
uns dann zu Pferde begleiten, ich nahm selbst die Zügel zur
Hand und Papa Wirth (so hieß der alte Herr) theiltc sich
mit Schön-Nannchen in den Rücksitz. Während der vierten
Fahrt aber meinte das kleine Fräulein, cs müßte doch weit
lustiger sein aus dem vorder» Sitz — neben „Johann" setzte
sic lachend hinzu. Daß ich nicht dagegen protcstirtc, versteht
sich, und so saß Rannchen im nächsten Augenblicke an meiner
Seite; der alte Herr aber, nun Alleinbesitzer des Rücksitzes,
dehnte sich mit einem behaglichen „Ah!" zu seinem gewöhn-
lichen Umsange aus.
Ich habe mir völlige Aufrichtigkeit, Dir gegenüber,
lieber Leser, gelobt, Du darfst dcßhalb auch meiner Versicher-
ung glauben, daß es ein recht harmloses, fast kindisches Ge-
plauder war, welches sich nun zwischen mir und meiner schönen
Nachbarin entspann; nicht verhehlen will ich Dir aber, daß
ich meinte, sic nie so hinreißend lieblich gesehen zu haben, als
heute in dieser kindlichen Fröhlichkeit, und meine Frau mag
cs meinen Rappen danke», die große Lust zu haben schienen,
mit uns durchgehen zu wollen, daß ich nicht auf Kosten
meiner ehelichen Treue zu viel und zu tief in die wie zwei
Sonnen leuchtenden braunen Augen schaute. Etwas schwül
wurde mir übrigens doch um's Herz, als Rannchen mit be-
zauberndem Muthwillcn ausrief: „So sollte cs fortgehen, immer
fort! — bis an's Ende der Welt!" und die unter dcm runden
Strohhut hcrvorflatterndcn blonden Locken mit jedem Lufthauch
meine Schulter berührten. Ich bog dcßhalb mein Haupt rück-
wärts nach dem Papa, — der aber schlief, von keiner schlim-
men Ahnung gestört, fest und süß auf den weichen Polstern;
— ich schaute rechts nach den vorübcrtanzcnden Bäumen, —
ich blickte gerade aus, — ich schloß endlich die Augen, —
unnütze Mühe! selbst noch auf dcm Halbdunkeln Grunde meiner
Mit dcm zu Villafranca erfolgten Friedensschlüsse galt
auch für unsere Truppen der Feldzug als beendigt; ein großer
Thcil der einbcrufenen Mannschaft ward entlassen, das Haupt-
quartier aber, seiner nahen Auflösung gewärtig, nach Brun-
nen thal verlegt, nur wenige Stunden entfernt von meinem
häuslichen Herde, von welchem ick wenige Wochen zuvor den
bitter» Abschied genommen.
Da meine Dienstgcschästc nur die eine Hälfte des Tages
in Anspruch nahmen und ich, als Obcrauditor der Fclddivision,
außer meinem Reitpferde auch noch Equipage zu halten hatte,
so benützte ich die Nachmittage meist zu Ausflügen, sowohl zu
Roß als zu Wage», in die näheren Umgebungen meines der-
maligen Wohnsitzes. Meine Frau hatte vor meiner wahrschein-
lich baldigen Rückkehr noch große häusliche Revolutionen zu
beseitigen, und die Erfahrung mich belehrt, daß der Mann
; sicherer im Hauptquartiere, ja selbst im offenen Felde aufge-
hoben ist, als Angesichts der manövcrircndcn Kchr-
und anderer Wische, gar nicht zu gedenken des verlän-
gerten Antlitzes der thcucrn Ehehälfte bei einer
Störung ihres ordnenden Waltcns, und so hatte ich
bei mir beschlossen, die Freude des Wiedersehens für den Tag
der Wiedervereinigung aufzusparen, und inzwischen mich zu
zerstreuen, so gut es die Sehnsucht nach Haus und Herd eben
! zuließe.
Während der Badesaisvn ist kaum ein angenehmerer
Aufenthalt denkbar als Brunncnthal — ganz abgesehen von
dcm Zauber einer paradiesischen Umgebung, für welche Schön-
heiten ich übrigens ein sehr empfängliches Gemüth besitze.
Einige Schritte vom Hütcl, das ich bewohnte, in den Garten
hinab und man war sicher, anregende, ja anziehende Gesellschaft
zu finden, mochte man auch noch so anspruchsvoll in der Wahl
der Unterhaltung sein. Ich für meine Person ziehe ein gc-
müthliches Geplauder, das uns erlaubt auch den übrigen
Sinnen Rechnung zu tragen, jedem andern aufregenderen vor,
und so war es gekommen, daß ich mich seit einigen Abenden
! stets an der Seite eines ältlichen freundlichen Herrn aus dcm
Hoheloh'schcn befand, der mit einem bildhübschen Töchtcrlcin
j von etwa achtzehn Jahren als Brunnengast das gleiche Hütcl
wie ich bewohnte, und des Abends sicher an einem der so
! köstlich zwischen Gebüschen versteckten Tischen zu finden war,
; wo er seine Pfeife dampfte, während das junge Fräulein mit
j einer bunten Stickerei sich beschäftigte.
Das erste Mal, da ich grüßend an ihre Seite trat,
schien sie sichtlich betroffen bei meinem Anblick und ohne eitel
zu sei», konnte ich mir doch schmeicheln, daß der Eindruck,
welchen ick gemacht, kein unangenehmer gewesen sein mußte.
Den ganzen Abend — denn ick hatte mich neben dem Papa
niedergelassen — war das holde Kind äußerst befangen; sic
erröthcte bei jedem Worte, das ich an sie richtete, und warf
! mir nur halb verstohlene Blicke zu, wenn sie die meinen an-
derswo beschäftigt glaubte. Den folgenden Tag ging cs schon
besser; Rannchen (so nannte sic dcrPapa) mochte die Ncber-
zcugung gewonnen haben, daß, da in der glänzenden Uniform
ja doch nur ein harmloser Civil-Kern stecke, die Sache auch
nicht so gefährlich sein, und sic ein Paar freundliche Worte
und Blicke wohl wagen könne. Am dritten Abende machte sie mir
bei meinem Erscheinen im Garten schon ganz zutraulich Platz an
ihrer Seite, bot mir, mit einem holdseligen Blick aus den schönen,
braunen Augen, einen Teller mit Kaltschaalc an und schien, da
der alte Herr sich in eine Zeitung vertieft, entschlossen, durch
das liebenswürdigste Geplauder von der Welt die dadurch
entstandene Lücke in der Konversation ausfüllen zu wollen.
Ich meines Theils hatte mir vorgenommen gehabt, des Um-
standes, daß ich bereits in Hymens Rosenfesseln gebunden
lag, heute Erwähnung zu thun; da cs mich aber stets schwer
ankömmt, gegen meine Grundsätze zu handeln, und einer der-
selben der ist: so wenig als möglich von meinem Ich zu
spreche», — ich ferner meine Frau für mein zweites und
zwar besseres Ich zu betrachten gewöhnt bin, so umging ich
heute dieses Thema, indem ich mich auf eine, zu derlei Erör-
terungen passendere Stunde vertröstete.
Daß sch, als derzeitiger Besitzer eines hübschen, mit zwei
muthigen Rossen bespannten Charabanc, gegen meine anziehende
Bekanntschaft den Galanten machte, sic jeden zweiten Tag
wenigstens nach einem der umliegenden Dörfer oder Weiler
spazieren führte, wird Jedem als eine sich von selbst ver-
stehende Sache cinleuchten. Johann, mein Kutscher, mußte
uns dann zu Pferde begleiten, ich nahm selbst die Zügel zur
Hand und Papa Wirth (so hieß der alte Herr) theiltc sich
mit Schön-Nannchen in den Rücksitz. Während der vierten
Fahrt aber meinte das kleine Fräulein, cs müßte doch weit
lustiger sein aus dem vorder» Sitz — neben „Johann" setzte
sic lachend hinzu. Daß ich nicht dagegen protcstirtc, versteht
sich, und so saß Rannchen im nächsten Augenblicke an meiner
Seite; der alte Herr aber, nun Alleinbesitzer des Rücksitzes,
dehnte sich mit einem behaglichen „Ah!" zu seinem gewöhn-
lichen Umsange aus.
Ich habe mir völlige Aufrichtigkeit, Dir gegenüber,
lieber Leser, gelobt, Du darfst dcßhalb auch meiner Versicher-
ung glauben, daß es ein recht harmloses, fast kindisches Ge-
plauder war, welches sich nun zwischen mir und meiner schönen
Nachbarin entspann; nicht verhehlen will ich Dir aber, daß
ich meinte, sic nie so hinreißend lieblich gesehen zu haben, als
heute in dieser kindlichen Fröhlichkeit, und meine Frau mag
cs meinen Rappen danke», die große Lust zu haben schienen,
mit uns durchgehen zu wollen, daß ich nicht auf Kosten
meiner ehelichen Treue zu viel und zu tief in die wie zwei
Sonnen leuchtenden braunen Augen schaute. Etwas schwül
wurde mir übrigens doch um's Herz, als Rannchen mit be-
zauberndem Muthwillcn ausrief: „So sollte cs fortgehen, immer
fort! — bis an's Ende der Welt!" und die unter dcm runden
Strohhut hcrvorflatterndcn blonden Locken mit jedem Lufthauch
meine Schulter berührten. Ich bog dcßhalb mein Haupt rück-
wärts nach dem Papa, — der aber schlief, von keiner schlim-
men Ahnung gestört, fest und süß auf den weichen Polstern;
— ich schaute rechts nach den vorübcrtanzcnden Bäumen, —
ich blickte gerade aus, — ich schloß endlich die Augen, —
unnütze Mühe! selbst noch auf dcm Halbdunkeln Grunde meiner