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Der Edelfalk.

Und eh' sie heimkommt, auf den Wegen
Tritt eine Freundin ihr entgegen,

Die bleibt neugier'gen Blickes steh'n,

Selma so hoch vergnügt zu seh'n.

„So froh sah ich Dich nicht seit Jahren!

Welch' Heil ist Selma widerfahren?"

— „'S ist ein Geheimniß, das ich nicht
Verrathen darf." Die Andre spricht:

„Wozu dies räthselhafte Wesen?

Auf Deiner Stirn ist klar zu lesen,

Was ganz umsonst Dein Mund verschweigt."

— „So sag' mir, was die Stirn Dir zeigt!" —

— „Dir selber brauch ich's nicht zu sagen,

Doch Andern sag' ich's, wenn sie fragen."

Das Wort fällt Selma auf's Gewissen;

Sie sagt sich selber: „Wer kann wissen.

Ob sie die Mähr' vom Falkenbratcn
Nicht wirklich halb und halb errathen?

'S ist besser, ganz sie einzuweih'n,

Als so in Angst und Zweifel sein.

Und ist's nicht schmählich, wenn die Frauen
Einander selber nicht recht trauen?"

Auf Selma lag's zu schwer, sie mußte
Vom Herzen wälzen, was sie wußte.

Sie nahm die Freundin mit in's Haus,

Und sagt' ihr Alles rund heraus:

„Doch schweig', die Wände haben Ohren,

Verräthst Du mich; bin ich verloren."

— „Trau mir, wir wollen zeigen.

Daß Frau'n auch können schweigen!" —

Sie ging, und eh' der Tag cntfloh'n,

Flüstert's das Laub im Walde schon.

Das freute Selim's Feinde sehr,

Den alten Zaubrer noch viel mehr.

Er sprach: „Die Bäume haben Zungen;

Der Falkenzauber ist gelungen."

Es sagten's im Vertrauen
Die Männer ihren Frauen;

Den Brüdern sagten's ihre Schwestern,

Die Vögel sangen's in den Nestern.

Laut durch die Welt, von Mund zu Munde
Scholl die geheimnißvolle Kunde.

Es hört's der Fürst im Schlachtgcwimmel,

Und heimwärts spornt er seinen Schimmel,

Auf keine Trostesstimme hörend.

Und Selim grimme Rache schwörend.

Umdüstert war ihm Aug' und Sinn,

Der Falk, sein Lebensglück, war hin.

Schmerz nagt in ihm und bittre Reue,

Daß er gebaut auf Selim's Treue.

„Wie waren Alle wohl berechtigt,"

Rief er, „die mir ihn stets verdächtigt!

Sie sollen Dank und Lohn erwerben,

Doch er schmachvollen Todes sterben!"

Und wie er hinzieht auf den Wegen,

Kommt ihm der Zaubrer schon entgegen,

Wirft sich vor ihm auf's Angesicht,

Und fleht: „Bestrafe Selim nicht!

Er ist ein Mensch, wir fehlen Alle.

Wohl Mancher hätt' in gleichem Falle
Gethan wie er; wer kann dem Fleh'n
Geliebter Weiber widersteh'n?"

Allein der Fürst siel zornig ein:

„Sprich nicht von Gnad' und von Verzeih'n!
Wer um ein Weib mir bricht die Treue,

Dem trau' ich nimmermehr auf's Neue.

Ich lieh dem Falschen Herz und Ohr,

Zog unverdient ihn Andern vor;

Ich liebt' ihn wahr und herzlich,

D'rum soll cr's büßen schmerzlich.

Dich aber Hab' ich ganz verkannt.

Du bist der beste Mann im Land,

Da für den eig'ncn Feind Du bittest,

Um den Du Schmach und Unbill littest.

An Selim's Statt will ich Dich setzen,
Belehnen Dich mit Land und Schätzen,

Als Richter soll er Dich erkennen,

Bor allem Volk soll er verbrennen.

Doch eh' die Flammen ihn umlodern,

Sollst Du zur Rechenschaft ihn fodern,

Und hören will ich selbst und seh'n.

Wie der Verräther wird bcsteh'n
Vor Deinem Blick, was er wird sagen.

Jetzt laß ihn gleich in Fesseln schlagen,

Im Kerker halt' ihn wohlgeborgen.

Leb' wohl! wir seh'n uns wieder morgen."
Nun ward von des Palastes Stufen
Die Macht des Zaubrers ausgerufen
Vor allem Volk, und Selim ward
Gefesselt und gebettet hart.

Er aber trug sein Mißgeschick
Mit festem Sinn und klarem Blick,

Und wie Ajuscha noch umklammert

Den Scheidenden und schluchzt und jammert,

Sprach er: „Die Strafe ist gerecht,

Ich war ein ungetreuer Knecht.

Die Strafe ward vorher verkündigt.

Ich büße nur, was ich gesündigt."

Die Nacht schlich hin in Weh und Sorgen,
Und der verhängnißvolle Morgen
Brach an. Früh kam in bunten Wogen
Das Volk zum Richtplatz angczogen.

Der Scheiterhaufen ward errichtet,

Aus dürrem Holz hoch aufgcschichtct,

Im Hof vor des Palastes Erker.

D'rauf führt man Selim aus dem Kerker,
Um zum Verhör ihn zu geleiten.

Vor seinen Richter, der zur Seiten
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