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Das Tafelluch der Seligen.

Der große Saal war in einen Waldtempel verwandelt; Tan-
nen, mit ihrem frischen Grün und erquickenden Duft, deckten
die Wände; mitten darin war eine mächtig lange Tafel auf-
geschlagen, der Altar, auf welchem die Opfergabcn der Liebe sich
sammeln sollten. Der Graf stand jetzt davor und befahl,
das größte Tafeltuch herbei zu fchaffeu. Nach einer kleinen
Weile erschien die Schließerin mit zwei kleineren Exemplaren
und erklärte, das einzige Tuch, das in der Länge passen würde,
könne sie unmöglich geben, es sei dies das Prachtstück des
Wäschschrankes, von der eigenen Hand der seligen Frau Na-
men und Krone eingestickt. Nur an den Tauftagen der Kin-
der sei es benützt worden und die gnädige Frau habe immer
befohlen, es ganz besonders in Acht zu nehmen, ihr Herz
hinge an dem Tuche. Kronen, der gleich zu Anfang jeden
Aberglauben, jedes Gerede über seine Anordnungen nach dem
Tode seiner Gattin abschneiden wollte, befahl in ernstem Ton,
grade dieses werthe Stück zu ihm zu bringen. Kopfschüttelnd
gehorchte die Schließerin, und bald prangten unter dem gro-
ßen Tannenbaum, der mitten auf dem Tische stand, auf dem
weißen Tuche die bunten Geschenke für die Kinder und Haus-
leute. Freundlich winkten aus den dunklen Taunenzweigen
strahlende Lichtlein, als am Abend der Vater die Thür öff-
nete und umringt von seinen Kindern eintrat. Bald hatte
der Jubel der beiden jüngsten Knaben die drückende Stille
überwunden und auf den Zügen Aller war Heiterkeit und herz-
liche Freude. Der Graf ging von einem Kinde zum andern;
jedes rief dem Papa, ihm die glänzende Bescheerung zu zeigen;
er mußte bewundern und loben, von dem reichen Schmuck der
beiden ältesten Töchter bis zu dem Steckenpferde des jüngsten
Knaben. Kronen stand oben am einen Ende der Tafel,
da fiel sein Blick auf die niederhängende Ecke des Tuches.
Unter der Grafenkrone waren zwei Buchstaben zierlich einge-
stickt, der Namenszug seiner Frau. Schnell verschloß sich sein
Ohr den lauten Tönen des Jubels, er sah nieder auf die
Krone und das Herz schnürte sich ihm zusammen im heißen
Weh um die Geliebte, die heute fehlte in diesem Kreise, die
hier niemals wieder das Fest der Liebe mit ihnen feiern
sollte. Langsam träufelte eine Thräne nieder und siel aus
die Buchstaben. Da griff eine feste Hand des Grafen Arm,
und der alte Schäfer sprach, ihn schnell vom Tische ziehend:
„Hütet Euch, Herr, darauf zu weinen; gönnt der Frau die
Ruhe der Seligen, stört sie nicht; dieTodten müssen kommen
und die Thränen sammeln, die um sie aus treuem Herzen
geweint werden." — „Aberglauben! schweige, Paul!" befahl
der Graf. „Aberglauben? nun ja, die Vornehmen nennen
Alles so, was Unsereins sagt," brummte Paul. „Nun, nichts
für ungut; gute Nacht, Herr Graf, und Gottes Segen für
die reiche Bescheerung!" Die Leute entfernten sich jetzt dan-
kend Alle. Die Kinder aber hatten beschlossen, daß morgen
wieder Weihnachten sein solle, und mühten sich ab, alle ihre
Geschenke genau wieder so zu legen, wie sie heute gefunden
worden. Der Vater mußte ihnen helfen, und nicht eher gin-
gen die Kleinen, bis sie die Ueberzeugung hatten, jetzt sei
Alles in schönster Ordnung; dann küßten sie den liebevollen

Geber und gingen dankend fort, ini Traum noch einmal den
Abend zu durchleben.

Kronen löschte die Kerzen am Weihnachtsbauni, wie die
Lampen in der Vorhalle; verschloß dicThür, welche nach dem
Zimmer seiner Gattin führte, und zog sich in sein Schlafge-
mach zurück. Die Worte seines Schäfers summten noch im-
mer vor seinen Ohren; es war ihni, als vernähme er im
Saal nebenan ein leises Geräusch; er lauschte, konnte aber
nichts mehr hören, und dann kam der Schlaf und hüllte ihn
fest in seinen dichten Schleier. Plötzlich erwachte der Graf
aus tiefen Träumen, deren wirre Bilder sogleich dem Gedächt-
niß entschwanden; ein unerklärlicher Drang zog ihn nach dem
Saale. Langsam schlug die Uhr viermal; Kronen zündete
Licht an und öffnete die Thür; regungslos aber blieb er auf
der Schwelle stehen — da war der große Tisch, in der Mitte
der mächtige Tanneubauin, alle Geschenke, — aber auf der
kahlen Platte! Das weiße Tuch, das so festlich ansgebreitet
worden — war verschwunden! Er trat näher und legte.die
Hand auf die Platte, ein Traum nmßte ihn necken — aber
nein, er fühlte das Holz des Tisches, die Hülle war und
blieb verschwunden. Mechanisch überblickte er die reichen Ga-
ben : unangerührt war der kostbare Schmuck, Diebe konnten
unmöglich hier ihr Werk getrieben haben, nichts war von
seinem Platze gerückt, nichts fehlte, als das weiße Tafeltuch,
das Lieblingsstück der seligen Frau. Kalt überrieselte es den
Erstaunten, unaufhörlich mußte er der Worte seines alten
Schäfers gedenken: „Laßt keine Thräne darauf fallen, die

Todten müssen sie alle sammeln!" Das Licht in seiner Hand
flackerte hoch auf, ein eisiger Hauch berührte seine Stirn, die
Thür zu dem Zimmer seiner Gattin, die er selbst verschlossen,
stand offen, ebenso ein Fenster, das nach dem Garten führte.

Der Graf trat näher, da entdeckte er Spuren nackter
Füße im Schnee; sogleich sprang er hinunter, er mußte dies
genau untersuchen; Fußtapfen führten nach einem kleinen
Bach, wo eine Rasenbank angelegt war, daun aber gingen
sie rechts ab, tiefer in den Garten, wo das Grab der Frau
sich befand. Dort, kaum drei Schritte von dem Hügel, lag
das Tuch. — Kronen hob es ans, es fehlte die Ecke mit
dem Namenszuge. Betäubt stand er da, endlich raffte er sich
auf und eilte beflügelten Laufes quer durch den Garten nach
dem Pfarrhause. Sein Pochen weckte den Geistlichen, der ihn
mit seiner Bürde einließ. Noch halb verwirrt, erzählte der
Ankömmling, was ihm begegnet; das Tuch betrachtend,
schüttelte der Pastor den Kopf. „Die Ecke fehlt, das läßt sich
nicht leugnen", sprach er, „doch glaube ich, daß hier Menschen-
hände thätig waren." Lebhaft bestritt dieß der Graf, dem
Freunde aus allen vorhandenen Umständen die Unmöglichkeit
dieser Annahme beweisend. Neues heftiges Pochen an der
äußern Thür des Pfarrhauses unterbrach ihr Gespräch. Die
alte Maria stand fast athemlos da und beschwor den Prediger
in Worten der höchsten Angst, sogleich nach dem Schloß zu
kommen, der Graf sei verschwunden und das große Tischtuch
ebenfalls. Kaum wollte sie sich überzeugen lassen, daß cs
der Herr leibhaftig sei, der da in des Pfarrers Zimmer auf
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