Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
122

Kais er Napoleon

i stellung festzuhalten und typisch zu concentriren strebten^), so
! hat die, ohnedieß phantastischer geartete französische Nation noch
; vor drei und neunzig Jahren das gleiche natürliche Bedürfniß
! der Zeit gefühlt, und demselben durch eine genial gedachte
i psychoplastische Schöpfung zweckdienlich und consequent Rech-
nung getragen. Durch ihrer letzten Ludwige sinnlos verschwen-
derisches Regiment verarmt, aller ihrer Rechte beraubt, und
> in ihren tiefsten Grundfesten erschüttert, bedurfte sie eines, ans
! ihr selbst entsprungenen geistigen Helden, eines Befreiers, Er-
lösers und Rächers; der „gute Theil" d. h. der Kern der
Nation schmachtete nach einem solchen, und der Geist der Volks-
dichtung — gebar sich ihn sofort, mußte sich ihn gebähren! —
Fern von dem entnervenden Lärm der Hauptstadt und
ihres Partheien-Getriebes mußte er geboren werden, der sehn-
süchtig gewünschte Befreier seines Vaterlandes — an Frank-
reichs äußerster Mittelmeer Grenze, auf der Insel Corsica, —
dem einzigen Orte der Welt, der noch die antiquirte Idee
der altheiligen „Blutrache" (vendetta) als uncntrcißbaren
Cnltns aufrecht erhielt. Seine Mutter, der Quell und die
Lust seiner mythischen Geburt, ward daher auch geradezu gleich
beim rechten Namen genannt, und „Lätitia" d. h. die Freude
geheißen^). Der mythisch-mystische Vater, — das strenge,
wahrhafte, gerechte Bedürfen der Zeit, das ihn gezeugt, mußte
nothwendig ein weiser Richter und strenger Kriegsmann zu-
gleich sein, und (im tactvollen Hinweis auf die Mission seines
Sprossen) den Namen des fabelhaften Stammherrn des Fran-
i kcnreiches, — Carolus — führen. Der zweitgeborcne Sohn sei-
ner fruchtbaren Mutter, (die „Freude" ist ja stets kinderreich
: d. h. fruchtbringend), unter der ominösen Geschwisterzahl 13,
mußte der junge Volksbefreier werden, einem antiquirten Aber-
glauben zufolgeZ und die Aja, die ihm die erste weibliche
Pflege geschenkt, mußte durch das beigefügte „accio“ (Ajaccio),
womit der Italiener bekanntlich das Kleine, Unscheinbare, ja
Verächtliche zu bezeichnen liebt, — so recht zum kleinen Beth-
lehem, der schlechten Wiege des erlösenden guten Theils „d. h.
j Napoleon Bonaparte's" gestempelt werden. Die Symbolik
! dieser beiden Namen liegt, wahrlich offen und ungesncht ge-
! nug, auf flacher Hand: Apolüon (arcoXvcov — anoXvELv —

! Ablösen, Erlösen!) der „Erlösende" ist durch das übliche Nü
ephelkisticon, (N EcpsXxvanxov) das jedem mit einem Vo-

5) Man denke bei Ersteren an den orphischen Mythus der Psyche,
des Herakles, Aleranders und Carls des Großen rc. rc. Bel
Letzteren an die bald weißen, bald schwarzen, bald weißschwar-
zen, bald schwarzweißen rc. rc. gespenstischen Frauen an den mei-
sten gebildeten Höfen Europa's, sowie an die speciellcn Fami-
lien-, Haus- und Privat-Geister einzelner Familien und Cor-
porationen im finsteren, — am finstersten und längsten in Süd-
dcutschland währenden — Mittelalter.

! G) Zugleich n«hl auch in der damals beliebten anagrammatischen
Hinweisung ans „I-ntetiae" den alten Namen der Stadt Paris,
als den künftigen Centralpunct der Größe ihres Sohnes.

7) Diese Tradition läßt, in bas Thierreich hinabmündend, darum
auch den sogenannten „ersten Wurf der Hausthiere", wie Hunde
und Katzen rc. rc. als nichtsnutzig betrachten, und die Producte
desselben namentlich in Stiddeutschland, schonungslos ertränken,
während der „zweiteWurf" als gut und brauchbar conservirt wird.

I. ein Mythus.

cal beginnenden griechischen Worte, um der leichteren Aus-
sprache willen, vorausgesetzt wurde, „Napolione", — „Napo-
leon"^) (französisirt) geworden, und „Buona parte“ d. h.
der „gute Theil" des Volkes, der sich einen solchen „Ablö-
ser" von dem verhaßt gewordenen Königthume gewünscht, ist
geradezu unverändert geblieben. Höchst characteristisch und zeit-
gemäß ist der — rein politisch tendenziöse Vorname der
rauhen Sprache Altgriechenlands, (der Heimath aller mythischen
Volksmänner), der bürgerliche Familienname dagegen sinnvoll
der weichen Sprache Latiums abgeborgt, die an Frankreichs
letzter Meeresgrenze noch gesprochen wird. Um auch dem bei
dieser kühn genetischen Fiction nicht ganz zu umgehenden
orthodoxen Clerns ein wohlfeiles Zngcständniß zu machen,
ward der löte Tag des Monats August (Thermidor!) das
katholische Fest der Himmelfahrt der Madonna, der antiguir-
ten Protectorin Frankreichs, zum Geburtstag des Volksablö-
sers gemacht, welchen die Himmelaufschwebende sofort unmit-
telbar ihrem schutzbefohlenen Lande herabgesendet zu haben
schien. Mitten im Lärm des Lagers einer verfrühten Revo-
lution, von welcher Mutter Lätitia überrascht ward, mußte er
auf einem mit Lilien^) durchwcbten Teppich geboren werden.
Daß die neuerlich angenommene Jahreszahl 1769 eine rein
willkührliche ist, erhellt am Schärfsten aus der Thatsache, daß
Frankreich bis zur Stunde noch über das Geburtsjahr seines
großen Phantoms selbst nicht vollkommen einig werden konnte.
Ein ultramontaner Oheim, Archidiacon „Lucian", den Namen
von Altgriechenlands größtem satyrisch-rhetorischen Philosophen
mit einer homogenen kirchlichen Würde vereinigend, mußte
vorbildlich die Keime dieser beiden Aemtcr auch in das wiß-
begierige, finstere, Gcmüth des Wunderknaben legen8 9 10), der
bald darauf in einer von Mönchen geleiteten Kriegsschule —
d. h. durch die beiden Grundpfeiler des Absolntismns selber —
zu seinem künftigen Rächcramte herangcbildet ward. Den Frei-
platz in dieser Schule mußte ihm — mit echt französischem
Witz gezeichnet, — der Hausfreund seiner Eltern, der Com-
mandeur seiner Vaterstadt, Graf Marboeuf, verschaffen, und
der ganze tief glühende Volkshaß gegen jene in den Pfützen
des Lasters herumtrabcnde Aristokratie hat in dem trefflich er-
fundenen Namen Marboeuf (mare-boeuf— Pfützen-Ochse—)
prägnantesten Ansdruck gewonnen. Auch an episodischen Ver-
suchungen des Heranwachsenden Volksgcistes „Napoleon" durfte
es in der trefflichen Dichtung nicht fehlen, und, nachdem der-
selbe die Urkunden seines vorgeblichen alten Fanülienadels mit

8) Selbst in den dickleibigst ultramontanen Kalendern Süddcutsch-
lands ist keine Spur von einem „Heiligen" dieses Namens zu
finden!

9) Bekantlich das alte Wappen der französischen Könige, das dem
Napoleon-Mythus weichen mußte, demselben zwar anfänglich
zur ersten Grundlage diente, dadurch aber auch schon — in
sinniger Allegorie — unaustilgbare, andersfarbige Flecken erhielt.
Wer denkt hier nicht au den verwandten Taufbecken-Mythus
König Wenzels, des erbitterten Gegners des Ultramontanism?! —

10) Daher wurden die Werke des Lucian, des Hcrodot, Plutarchs
und Thukidides späterhin noch als vorzugsweise LicblingSlectüre
des imaginären Kaisers bezeichnet.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen